Handelsvertreter-Ausgleichsanspruch
1. Was sind die Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs?
Zweck des Ausgleichsanspruchs nach §89b Handelsgesetzbuch ist es, dem Handelsvertreter (HV) auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses eine angemessene Gegenleistung für den von ihm geschaffenen Kundenstamm zu gewähren.
Voraussetzungen für den Anspruch sind:
- Das Handelsvertreterverhältnis muss beendet sein. Der Grund spielt hierfür keine Rolle. Beendet werden kann die Vertragsbeziehung durch Kündigung, Aufhebungsvereinbarung, Zeitablauf oder auch Insolvenz des Unternehmens.
- Der HV hat Neukunden geworben oder die Geschäftsverbindung mit bestehenden Altkunden intensiviert (mindestens 100% Umsatzsteigerung; nach vereinzelt neuerer Rechtsprechung 50%, wobei abzuwarten bleibt, ob sich diese Rechtsprechung durchsetzt). Diese zählen dann als Neukunden.
- Der Unternehmer profitiert auch nach Beendigung der Handelsvertreterbeziehung von den neu geschaffenen oder intensivierten Geschäftsverbindungen. Die Neukunden oder intensivierten Altkunden müssen daher Nachfolgeschäfte abgeschlossen haben, d.h., es muss in der Regel ein Erst- und ein Folgegeschäft gegeben haben, damit für Unternehmer aus dem Kundenstamm Vorteile bestehen.
- Der Anspruch ist angemessen und darf nicht ausgeschlossen sein.
2. Wann ist der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen?
Der Anspruch ist gesetzlich ausgeschlossen, wenn
- der HV das Vertragsverhältnis von sich aus gekündigt hat. Ausnahme: der HV kündigt, weil ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat,
- der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag, oder
- es eine Nachfolgevereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem HV gibt, d.h., dass ein Dritter anstelle des HV in das Vertragsverhältnis eintritt. Die Vereinbarung kann nicht vor Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen werden.
Der Ausgleichsanspruch entfällt auch dann nicht, wenn der Handelsvertreter den Vertrag aus Alters- oder Krankheitsgründen kündigt.
Wichtig: Der Ausgleichsanspruch kann vertraglich nicht im Voraus ausgeschlossen werden. Eine solche Abrede wäre unwirksam.
3. Bis wann muss der Ausgleichsanspruch geltend gemacht werden?
Der Ausgleichsanspruch ist innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses geltend zu machen. Andernfalls kann der Anspruch nicht mehr gestellt werden. Wird der Anspruch innerhalb eines Jahres geltend gemacht, muss er unter Umständen gerichtlich eingeklagt werden. Dies muss innerhalb einer dreijährigen Verjährungsfrist erfolgen, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem das Vertragsverhältnis endete. Diese Frist spielt also dann eine Rolle, wenn sich die Parteien nicht zeitnah außergerichtlich einigen können.
Achtung: Die gesetzliche Verjährungsfrist ist oft vertraglich auf 12 Monate ab Entstehung des Anspruchs und Kenntnis von den Anspruch begründenden Umständen verkürzt.
4. In welcher Höhe besteht der Ausgleichsanspruch?
Die Höhe des Ausgleichsanspruchs ist nicht gesetzlich geregelt, sondern beruht auf der Praxis der Rechtsprechung. Es sind zwei Berechnungen vorzunehmen, die sich in mehreren Schritten vollziehen.
Im ersten Schritt wird der sogenannte „Rohausgleich” berechnet. Dieser wird aus den Bruttoprovisionen der letzten zwölf Monate ermittelt.
Zweitens wird eine sogenannte „Obergrenze” (auch Höchstbetrag genannt) ermittelt. Die Obergrenze errechnet sich nach § 89b Abs. 2 HGB aus der durchschnittlichen Jahresprovision der vergangenen fünf Jahre der Handelsvertretertätigkeit, bei kürzerer Vertragsdauer aus dieser. Die Höhe des Ausgleichsanspruchs ist maximal auf die Obergrenze beschränkt.
Im ersten Schritt wird der sogenannte „Rohausgleich” berechnet. Dieser wird aus den Bruttoprovisionen der letzten zwölf Monate ermittelt.
Zweitens wird eine sogenannte „Obergrenze” (auch Höchstbetrag genannt) ermittelt. Die Obergrenze errechnet sich nach § 89b Abs. 2 HGB aus der durchschnittlichen Jahresprovision der vergangenen fünf Jahre der Handelsvertretertätigkeit, bei kürzerer Vertragsdauer aus dieser. Die Höhe des Ausgleichsanspruchs ist maximal auf die Obergrenze beschränkt.
Im Folgenden wird der Ausgleichsanspruchs anhand eines (vereinfachten) Rechenbeispiels dargestellt.
Das Berechnungsbeispiel geht davon aus, dass das Handelsvertreterverhältnis am 01.01.2010 begonnen hat und zum 31.12.2019 beendet wurde.
Ausgangsbetrag ermitteln
Zunächst muss der Ausgangsbetrag (Rohausgleich) für den Kundenstamm, für den ein Ausgleich geltend gemacht werden kann, ermittelt werden. Dieser wird gebildet aus den Bruttoprovisionen aus Geschäften mit Neukunden aus den letzten zwölf Monaten des Vertragsjahres. Dabei sind nur Provisionen aus Abschluss- und Vermittlungstätigkeit mit Kunden, die jeweils mehrfach Geschäfte (also ein Erst- und Folgegeschäft) getätigt haben, zu berücksichtigen. Nicht einzubeziehen sind Vergütungen für verwaltende Tätigkeiten, die nicht auf Vermittlung/Abschluss von Geschäften beruhen, wie z.B. Lagerhaltung, Auslieferung oder Inkasso.
Beispielhaft gehen wir von folgenden Angaben aus.
Ausgangsjahr für die Berechnung: 01.01.2019 bis 31.12.2019
Gesamtprovisionen des HV im Ausgangsjahr 2019: 71.161,98 Euro
Gesamtprovisionen des HV im Ausgangsjahr 2019: 71.161,98 Euro
Ausgangsbetrag (davon zu berücksichtigende Provisionen mit Neukunden inkl. intensivierten Altkunden): 26.511, 35 Euro
Praxishinweis: Gerichte verlangen vom HV häufig eine Kundenliste aus der Erstgeschäft, Folgegeschäft und die Geschäfte aus den letzten 12 Monaten hervorgehen. Während der laufenden Vertragsbeziehung sollte der HV deshalb Umsatz- und Provisionsunterlagen aufbewahren. Bei Abschluss des Handelsvertretervertrags sollte eine Liste der Bestandskunden beigefügt werden. Dies kann bei Vertragsbeendigung Diskussionen vermeiden, welche Kunden neu geworben worden sind.
Prognosezeitraum und Abwanderungsquote schätzen
Ausgehend von diesem Ausgangsbetrag muss geschätzt werden, wie lange der Unternehmer in den Folgejahren mit den Neukunden Geschäfte tätigen kann (die Möglichkeit mit diesen Kunden Geschäfte zu tätigen reicht aus. Es kommt nicht darauf an, ob der Kundenstamm tatsächlich genutzt wurde). Die Ermittlung der Unternehmervorteile erfolgt anhand einer Zukunftsprognose. Je nach Branche und Produkt kann der Prognosezeitraum variieren. In der Regel wird ein Zeitraum von drei bis fünf Jahre angenommen (im Einzelfall aber auch kürzer oder länger je nach Langlebigkeit des Wirtschaftsguts). Wenn erkennbar ist, dass mit bestimmten Neukunden keine Geschäftsverbindung mehr besteht (u.a. wegen Insolvenz, oder Beendigung der Geschäftsbeziehung), werden diese Kunden nicht in die Berechnung einbezogen.
Vorliegend gehen wir von einem Prognosezeitraum von fünf Jahren aus.
Nicht sämtliche neu geworbenen Kunden verbleiben beim Unternehmer, sondern durch Umsatzfluktuationen schmilzt der Kundenstamm in der Regel im Laufe der Zeit ab. Der Ausgangsbetrag nimmt im Prognosezeitraum also durch Kunden-Umsatz-Fluktuation ab (sogenannte Provisionsverluste). Deshalb ist für jedes Folgejahr eine geschätzte Abwanderungsquote für den Anteil der Kunden abzuziehen, die keine Folgegeschäfte abschließen. Diese Quote liegt üblicherweise zwischen 10 – 30%.
Beispielhaft beläuft sich die Abwanderungsquote für jedes der fünf Prognosejahre auf 14,32% bei einem Ausgangsbetrag von 26.511,35 Euro.
Beispielhaft beläuft sich die Abwanderungsquote für jedes der fünf Prognosejahre auf 14,32% bei einem Ausgangsbetrag von 26.511,35 Euro.
Ausgangsbetrag
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26.511,35 Euro
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1. Folgejahr
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26.511,35 ./. 14,32%
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22.714,93 Euro
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2. Folgejahr
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22.714, 93 ./. 14,32%
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19.462,15 Euro
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3. Folgejahr
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19.462,15 ./. 14,32%
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16.675,17 Euro
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4. Folgejahr
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16.675, 17 ./. 14,32 %
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14.287,28 Euro
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5. Folgejahr
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14.287,28 ./. 14,32%
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12.241,35 Euro
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Gesamtsumme Provisionsverluste | 85.380,88 Euro |
Bei einer Prognosdauer von fünf Jahren und einer Abwanderungsquote von 14,32% pro Jahr ergibt sich also eine Summe von 85.380,88 an zu erwartenden Verlusten.
Der Ausgleichsanspruch besteht nur, soweit nicht weitere Umstände dazu führen, dass sich der Anspruch verringert oder erhöht. Dabei handelt es sich um Fallgruppen, die in der Rechtsprechung entwickelt worden sind (sogenannte „Billigkeitsaspekte“).
Ausgsleichserhöhend wirkt beipielsweise die Abwanderung von Kunden wegen schlechter Leistungen des Unternehmers (z.B. zu lange Lieferzeiten) oder Erhöhung der Preise auf ein nicht wettbewerbsfähiges Niveau.
Ausgleichsmindernd ist vor allem die Sogwirkung der Marke zu berücksichtigen. Das Produkt vermittelt sich leichter wegen des Bekanntheitsgrads seiner Marke. Daher wird nach der Rechtsprechung hier ein Abschlag von 10 bis zu 30% gemacht. Steht bei Beendigung der Vertragsbeziehung fest, dass der HV anschließend ein Konkurrenzunternehmen vertritt, ist ihm dies (wenn kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart wurde) gestattet. Dieser Umstand ist aber auch pauschal abzugsfähig.
Ausgsleichserhöhend wirkt beipielsweise die Abwanderung von Kunden wegen schlechter Leistungen des Unternehmers (z.B. zu lange Lieferzeiten) oder Erhöhung der Preise auf ein nicht wettbewerbsfähiges Niveau.
Ausgleichsmindernd ist vor allem die Sogwirkung der Marke zu berücksichtigen. Das Produkt vermittelt sich leichter wegen des Bekanntheitsgrads seiner Marke. Daher wird nach der Rechtsprechung hier ein Abschlag von 10 bis zu 30% gemacht. Steht bei Beendigung der Vertragsbeziehung fest, dass der HV anschließend ein Konkurrenzunternehmen vertritt, ist ihm dies (wenn kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart wurde) gestattet. Dieser Umstand ist aber auch pauschal abzugsfähig.
Beispielhaft nehmen wir im Rahmen dieser Billigkeitsprüfung einen Abschlag an von:
- 20% wegen Sogwirkung der Marke und
- 20% wegen feststehender nachvertraglicher Wettbewerbstätigkeit des HV
Gesamt also 40%.
Dem gegenüber steht eine Erhöhung von 15% weil Kunden wegen Umständen, die der Unternehmer zu vertreten hat (z.B. schlechte Service- und Lieferleistungen) abgewandert sind.
Zusammengefasst:
- Provisionsverluste 85.380,88 Euro
- Abzüglich 40%
- Erhöhend 15%
Dies ergibt einen Saldo von 25%.
85.380,88 x 25% = 21.345,22 Euro
Dieser Betrag ist vom bisher ermittelten Rohausgeich abzuziehen: 85.380,88 ./. 21.345,22 = 64.035,66 Euro
Abzinsung
Dieser Wert ist auf den Gegenstandswert abzuzinsen, denn der HV erhält den Ausgleichsanspruch in der Regel vollständig im Voraus mit einer Einmalzahlung und nicht erst über mehrere Jahre verteilt. Die Rechtsprechung greift für eine Abzinsung auf anerkannte Abzinsungstabellen zurück, wie die sogenannte Gillardon-Multifaktorentabellen.
Beispielhaft werden die 64,035,66 Euro durch den Abzinsungszeitraum dividiert (5 Jahre = 60 Monate) und anschließend mit dem Gillardon-Faktor für fünf Jahre und einem Zinssatz von beispielsweise 4% p.a. (54,2991) multipliziert.
Abgezinster Ausgleichsbetrag
- 64.035,88/ 60 = 1.067,26 Euro
- 1.067,26 Euro x 54,2991 Gillardon-Faktor (5 Jahre, 4%)
- 1.067,26 Euro x 54,2991 = 57.951,31
Der abgezinste Rohausgleich beträgt 57.951,31 Euro.
Ermittlung der Obergrenze (Höchstbetrag)
Als letzter Schritt ist der Höchstbetrag/Obergrenze zu ermitteln. In die durchschnittliche Jahresprovision fließen sämtliche Provisionen und Vergütungen ein, die dem HV zugeflossen sind: Vermittlungsprovisionen mit Alt- und Neukunden, Bezirks-, Verwaltungs- und Überhangprovisionen.
Bei beispielhaften unterstellten 10% Provision für die Umsätze der letzten fünf Vertragsjahre ergibt sich:
Zeitraum
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Umsatz (in Euro)
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Provision (in Euro)
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2015
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991.527,68
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99.152,77
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2016
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977.235,10
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97.723,51
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2017
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935.168,87
|
93.516,89
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2018
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735.620,44
|
73.562,04
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2019
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711.619,83
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71.161,98
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Gesamtprovisionen aus fünf Jahren | 435.117,19 | |
Jahresdurchschnitt aus den letzten fünf Jahren
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435.117,19 Euro/5 Jahre
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87.023,44 |
Die durchschnittliche Provision aus den letzten fünf Jahren beträgt 87.023,44 Euro (netto). Dieser Betrag bildet die Obergrenze.
Ermittlung der konkreten Höhe des Ausgleichsanspruchs
Rohausgleich und Obergrenze sind nun miteinander zu vergleichen. Liegt der Rohausgleich unter der Obergrenze, besteht der Ausgleichsanspruch in Höhe des Rohausgleichs. Übersteigt der Rohausgleich den Höchstbetrag, ist der Höchstbetrag als Ausgleichsbetrag anzusetzen.
In diesem Beispiel liegt der Rohausgleich in Höhe von 57.951,31 Euro (netto) unter der Obergrenze. Der HV kann also 57.951, 31 Euro als Ausgleichsanspruch verlangen.
Angenommen der Rohausgleich wäre höher als die Obergrenze, z.B. 111.222,33 Euro, so bestünde der Ausgleichsanspruch nur in Höhe der Obergrenze von 87.023,44 Euro (netto). Der Rohausgleich wird also durch die Obergrenze „gekappt”.
In diesem Beispiel liegt der Rohausgleich in Höhe von 57.951,31 Euro (netto) unter der Obergrenze. Der HV kann also 57.951, 31 Euro als Ausgleichsanspruch verlangen.
Angenommen der Rohausgleich wäre höher als die Obergrenze, z.B. 111.222,33 Euro, so bestünde der Ausgleichsanspruch nur in Höhe der Obergrenze von 87.023,44 Euro (netto). Der Rohausgleich wird also durch die Obergrenze „gekappt”.
Merke: Der Ausgleichsbetrag entspricht dem geringeren der beiden Werte!
Das folgende Beispiel ist eine vereinfachte Berechnung und soll zunächst nur als Anhaltspunkt dienen. Je nach Wertung der Umstände (insbesondere bei der Billigkeitsprüfung) können die einzelnen Vertragsparteien, aber auch ein Gericht, zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Es ist daher empfehlenswert, dass Unternehmer und Handelsvertreter gemeinsam eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden.
Quelle Rechenbeispiel: Anwaltskanzlei KÜSTNER, v. MANTEUFFEL & WURDACK Göttingen