Internationale Geschäftsbeziehungen

Was das neue Sorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen bedeutet

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Nachdem die Bundesregierung die Selbstregulierung der Wirtschaft als gescheitert angesehen hat, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Initiative für ein Sorgfaltspflichtengesetz (im Gesetz selbst als „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ bezeichnet) übernommen. In diesem Kontext wurde am 16. Juli 2021 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erlassen. Das Gesetz tritt am 1. Januar 2023 in Kraft.
Das Gesetz legt rechtlich verbindliche Sorgfalts- und Handlungspflichten hinsichtlich international anerkannter Menschenrechte fest. Unternehmen werden im eigenen Interesse dazu angehalten, drohende Verstöße gegen die Menschenrechte zu erkennen und abzustellen.

Welchen Zweck hat das Gesetz

Grundgedanke des Gesetzes ist der Schutz von Leib, Leben, Freiheit und Eigentum, wobei sich das Sorgfaltspflichtengesetz an dem weiten Menschenrechtsbegriff der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und der Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung orientiert, der auch arbeits- und sozialrechtliche Standards sowie den Umweltschutz umfasst. Soweit also bestimmte Umweltrisiken zu Menschenrechtsverletzungen führen können, werden auch diese vom Gesetzentwurf umfasst.
Unabhängig von öffentlich-rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten wie Bußgeldern geht mit der Verantwortung multinational agierender Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte auch die Möglichkeit der privaten Rechtsdurchsetzung als Teil des Menschenrechtsschutzes einher. So können sich Geschädigte künftig vor deutschen Gerichten von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften vertreten lassen und sie zur Prozessführung ermächtigen, wenn sie sich durch einen Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfaltspflicht in überragend wichtigen Rechtspositionen verletzt sehen.

Für wen gilt das Sorgfaltspflichtengesetz?

Das Sorgfaltspflichtengesetz ist in sechs Abschnitte unterteilt und hat insgesamt 24 Paragrafen. Das Gesetz ist ab 2023 für Unternehmen mit in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmern und Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder Sitz in Deutschland anwendbar. Ab 2024 sinkt die Anwendbarkeitsschwelle auf 1.000 Arbeitnehmer, wobei anschließend eine erneute Evaluierung stattfinden soll.

Das Risikomanagementsystem

Unternehmen werden diverse Sorgfaltspflichten auferlegt, die zudem von organisatorischen Pflichten und Veröffentlichungspflichten flankiert werden. Von zentraler Bedeutung ist die Einrichtung und wirksame Umsetzung eines angemessenen Risikomanagementsystems. Hierzu ist die Zuständigkeit einer Person zu benennen, die die Geschäftsleitung regelmäßig, mindestens einmal jährlich, über die Arbeit informiert. In diesem Zusammenhang sollen potenzielle und tatsächliche Risiken von Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit, Sklaverei, Kinderarbeit, Diskriminierung, problematische Anstellungs- und Arbeitsbedingungen oder auch Umweltschädigungen identifiziert, ihrer Verwirklichung vorgebeugt sowie Verletzungen beendet werden. Das Risikomanagement beinhaltet auch die Risikoanalyse, nämlich die Prüfung, an welcher Stelle der Lieferkette ein potenzielles Risiko für Menschenrechte besteht. Darunter fällt die Betrachtung sämtlicher Prozesse von der Gewinnung der Rohstoffe über die Produktherstellung bis hin zur Lieferung an den Endkunden beziehungsweise der (End-)Verwertung. Unternehmen müssen anschließend Maßnahmen ergreifen, um Verstößen gegen die Menschenrechte vorzubeugen, diese zu minimieren und zu beheben.

Unmittelbare und mittelbare Zulieferer

Betroffene Unternehmen müssen gewährleisten, dass es sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch bei ihren eigenen Lieferanten, also den unmittelbaren Zulieferern, zu keinen Menschenrechtsverstößen kommt. Mittelbare Zulieferer bis hin zum Lieferanten der Rohstoffe müssen abgestuft überprüft werden, eine Risikoanalyse jedoch muss nur dann vorgenommen werden, wenn Beschwerden der Mitarbeiter des mittelbaren Zulieferers das deutsche Unternehmen erreichen.
Sowohl bei der Pflicht zur Risikoanalyse als auch bei der Verpflichtung zur Ergreifung von Folgemaßnahmen soll es sich nicht um eine Erfolgspflicht, sondern um eine Bemühenspflicht handeln und der Abbruch der Geschäftsbeziehungen sollte nur ultima ratio sein.

Vereinbarungen mit Lieferanten treffen

So könnten im Vorfeld beispielsweise Lieferantenvereinbarungen geschlossen werden, die auf einen verbindlichen Verhaltenskodex verweisen oder es könnten Lieferantenverpflichtungen festgelegt werden, die dafür sorgen, dass Compliance-Standards entlang der Lieferkette eingehalten werden. Als Folge ist die vertragliche Fixierung von Sanktionen wie Kündigungsrechten und Schadensersatzansprüchen ebenso denkbar wie der Nachweis von Schulungen. Neben der Wirksamkeit muss das Risikomanagement angemessen sein, wobei unklar ist, was die Angemessenheit im Einzelfall bedeutet. Jedenfalls richten sich die in der Lieferkette zu ergreifenden Maßnahmen nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit, dem Einflussvermögen des Unternehmens auf Verletzer, der Wahrscheinlichkeit einer Verletzung und der Schwere eines möglichen Schadens.

Risikoanalyse und Maßnahmen veröffentlichen

In einer Grundsatzerklärung müssen betroffene Unternehmen zudem insbesondere die Ergebnisse der Risikoanalyse und die getroffenen Maßnahmen zur Vorbeugung von Menschenrechtsverletzungen niederlegen und jährlich auf der Homepage unter anderem über die identifizierten Risiken sowie die zukünftige Strategie berichten.

Haftung der Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten

Der Gesetzentwurf enthält keine eigenständige Haftungsregelung, sodass Fragen der Haftung für die Verletzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten grundsätzlich den allgemeinen Regeln unterliegen. Dass deutsche Gerichte über einen Sachverhalt entscheiden, der in einem anderen Staat stattgefunden hat, ist nicht ungewöhnlich. Denn für Klagen gegen ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland sind die deutschen Gerichte international zuständig (Art. 4 Absatz 1, 63 EuGVVO). Allerdings müssen die Gerichte gemäß Art. 4 Absatz 1 ROM II-VO in erster Linie das Recht des Staates anwenden, in dem der Schaden eingetreten ist.

Welches nationale Recht kommt zur Anwendung?

Ein praktisches Beispiel: Wenn sich beispielsweise mangels Brandschutz in einer Fabrik im Ausland ein Unfall ereignet, kommt deutsches Recht im Regelfall gar nicht zur Anwendung, vielmehr gilt das Recht am Brandort. Die Befürchtung, dass geschädigte Mitarbeiter in diesem Fall keine ausreichende Kompensation ihrer Schäden erhalten könnten, weil Defizite in der lokalen Rechtsordnung und Schwierigkeiten in der Rechtsdurchsetzung bestehen könnten, ist verständlich - demgegenüber wird deutsches Recht häufig als schutzintensiver wahrgenommen. Dennoch gilt es, den völkerrechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen nicht außer Betracht zu lassen: Eine  ausländische Rechtsordnung sollte nicht deshalb abgelehnt werden, weil der dortige Rechtsstandard als ungenügend empfunden wird. Es gilt darauf hinzuwirken, dass bei internationalen Lieferkettengeschäften Lösungen auch auf internationaler Ebene erreicht werden Eine intensivere Kooperation mit den jeweiligen Regierungen zur Einhaltung internationaler Standards wäre sinnvoll mit dem Ziel, dass die betroffenen Länder die Rechtslage vor Ort verbessern. 
Dies kann sich jedoch ändern. So hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments am 11. September 2020 den Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen veröffentlicht, der auch eine Änderung der Rom-II-VO vorsieht. Nach einem neuen Art. 6a Rom-II-VO soll der Geschädigte bei einer Menschenrechtsverletzung innerhalb der Lieferkette ein Wahlrecht haben. Ansprüche sollen neben dem nach Art. 4 Absatz 1 Rom-II-VO ermittelten Recht auch auf das Recht am Handlungsort, das Recht am Sitz oder am Tätigkeitsort der Muttergesellschaft gestützt werden können. Damit können Geschädigte Ansprüche auch nach deutschem Recht geltend machen, wenn der Sachverhalt zum Beispiel auf einer Geschäftsführerentscheidung in Deutschland beruht, also dem Handlungsort.
Künftig möglich sein soll nach dem derzeitigen Entwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes jedenfalls, dass sich Geschädigte im Wege der Prozessstandschaft sowohl von Nichtregierungsorganisationen als auch Gewerkschaften vor deutschen Gerichten vertreten lassen können, wenn es um Verstöße gegen Standards in der Lieferkette geht.

Was bedeutet das Gesetz für kleine und mittlere Unternehmen?

Es ist zu erwarten, dass nicht nur Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe direkt betroffen sind, die Auswirkungen des Sorgfaltspflichengesetzes auf ihre unternehmerischen Abläufe spüren werden. Die Tendenz, dass größere Unternehmen Nachweise auch von ihren kleineren Vertragspartnern einfordern, was deren menschenrechtlich und umweltbezogen verantwortungsbewusstes Handeln betrifft, gibt es seit Längerem. Diese Tendenz dürfte durch das Gesetz bestärkt werden. Viele Unternehmen setzten sich schon seit geraumer Zeit gezielt damit auseinander, wie sie dem Prinzip unternehmerischer Sorgfalt nachkommen können und wie sie entsprechende Nachweise - auch wenn diese rechtlich nicht verpflichtend sind - ihren größeren Geschäftspartnern bei Bedarf vorlegen können. Nicht selten ist das gerade für kleinere Unternehmen mit erheblichem Aufwand verbunden.
Da der Regelungsansatz des Sorgfaltspflichtengesetzes in der jetzigen Form durchaus anspruchsvoll ist, bleibt zu hoffen, dass kleine und mittelständische Betriebe durch ihre übersichtlichen Strukturen Vorteile ziehen können und dadurch in die Lage versetzt werden, auf ihr Geschäft bezogene Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Diese - wie die gesamte gewerbliche Wirtschaft - sind sich ihrer Verantwortung des Ehrbaren Kaufmanns durchaus bewusst. Es gibt unzählige Beispiele für Unternehmen, die schon jetzt und ohne rechtliche Verpflichtung, die Wahrung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten zu einem zentralen unternehmerischen Prinzip erklärt haben. Es bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung des Gesetzes flankiert wird von entsprechenden Tools, Hilfestellungen und zielgerichteten Informationen, sodass Unternehmen in dieser Haltung gestärkt werden können.
Gleichzeitig müssen kleinere Unternehmen Achtgeben, sich nicht durch neue Verpflichtungen einseitig benachteiligen zu lassen. Auch im Geschäftsverkehr hat die Vertragsfreiheit seine Grenzen und insbesondere zu weitreichende Auditklauseln sowie unklare Vertragsstrafenregelungen können von Gerichten als “unangemessene Benachteiligung” eingestuft und für unwirksam erklärt werden.

Übersicht zu den Sorgfalts- und Handlungspflichten

Diese Pflichten kommen auf betroffene Unternehmen zu:
  • Einführung eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements
  • Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit
  • Risikoanalyse: Verfahren zur Ermittlung nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte durchführen
  • Pflicht zu Folgemaßnahmen:
    • Im Fall einer Verletzung muss das Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich unverzüglich Abhilfemaßnahmen ergreifen, die zwingend zur Beendigung der Verletzung führen. Zudem muss es weitere Präventionsmaßnahmen einleiten.
    • Wenn das Unternehmen die Verletzung beim unmittelbaren Zulieferer nicht in absehbarer Zeit beenden kann, muss es einen konkreten Plan zur Minimierung und Vermeidung erstellen.
    • Erlangt das Unternehmen Kenntnis von einem möglichen Verstoß bei einem mittelbaren Zulieferer, so hat es unverzüglich angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher zu verankern.
  • Der Abbruch der Geschäftsbeziehung gilt nur als ultima ratio.
  • Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte verabschieden
  • Beschwerdemechanismus und Berichterstattungspflicht etablieren
  • Bemühenspflicht und Prinzip der Angemessenheit umsetzen