China

Große Novelle des Gesellschaftsgesetzes der VR China

Am 29. Dezember 2023 hat der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China („VR China” oder „China”), zwei Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs zur Änderung und nach vier Lesungen, das novellierte Gesellschaftsgesetz der Volksrepublik China („GesellschaftsG”) verabschiedet.
Das 1993 erlassene und nun zum sechsten Mal überarbeitete GesellschaftsG wird in seiner aktuellen Fassung am 1. Juli 2024 in Kraft treten.
Im Vergleich zum 218 Artikel umfassenden Gesellschaftsgesetz von 2018, enthält das novellierte GesellschaftsG nun 266 Artikel, wobei mehr als 100 Artikel hinzugefügt oder geändert wurden. Es handelt sich hierbei um die erste größere Überarbeitung des Gesellschaftsgesetzes seit 2005, wobei einige der Änderungen eine Kodifizierung der bereits bestehenden Regelungen in der gerichtlichen und behördlichen Praxis darstellen. Die Neuerungen im GesellschaftsG betreffen alle Gesellschaften in China, einschließlich Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen. Das GesellschaftsG sieht, bis auf die in Art. 266 geregelte Übergangsregelung, selbst keine Übergangsfristen für die Umsetzung der neuen Vorschriften vor. Damit müssen Unternehmen grundsätzlich ab dem 1. Juli 2024 alle Änderungen und Neuerungen berücksichtigen. Investoren und Geschäftsführer von Gesellschaften in China sollten sich daher schon jetzt mit den zwingenden Neuerungen vertraut machen, um die notwendigen Änderungen in der Gesellschaftssatzung und -organisation rechtzeitig vornehmen zu können.
Dieser Artikel stellt in drei Teilen die für ausländische Investoren praxisrelevantesten Neuerungen des novellierten GesellschaftsG vor. Im Teil I des Artikels werden einige zwingende Regelungen erläutert, welche einen unmittelbaren Handlungsbedarf mit sich bringen können und daher zeitnah geprüft werden sollten. Teil II und Teil III dieses Artikels behandeln andere wichtige Neuerungen, die ausländische Investoren und Geschäftsführer kennen müssen. Da in China die Gesellschaft mit beschränkter Haftung die gängigste Rechtsform für ausländische Investitionen ist, werden im Folgenden nur solche Neuerungen besprochen, welche Gesellschaften mit beschränkter Haftung betreffen. Die Begriffe „Gesellschaft” und „Unternehmen” beziehen sich daher im Folgenden nur auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Jedem Abschnitt schließt sich eine Handlungsempfehlung an, welche insbesondere die Interessen ausländischer Investoren berücksichtigt.

Teil 1: Zwingende Regelungen mit Handlungsbedarf (Auswahl)

a) Fünfjährige Frist zur Erbringung vom Stammeinlagen (Art. 47)

Nach Art. 47 GesellschaftsG müssen Gesellschafter die durch sie gezeichnete Stammeinlage innerhalb von fünf Jahren nach der Gründung der Gesellschaft vollständig erbringen. Die fünfjährige Leistungsfrist1 gilt nach Art. 228 GesellschaftsG nicht nur bei der Gesellschaftsgründung, sondern auch bei einer späteren Erhöhung des Stammkapitals. Für Gesellschaften, die vor dem 1. Juli 2024 gegründet wurden, gilt die folgende Übergangsregelung: Haben deren Gesellschafter deren Stammeinlage zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig geleistet und ist in der Satzung eine Leistungsfrist von mehr als fünf Jahren bestimmt, so muss diese Frist „allmählich” angepasst werden. Ist die Länge der Leistungsfrist oder die Höhe der Stammeinlage „eindeutig abnormal”, so dürfen die Behörden nach Art. 266 eine rechtzeitige Anpassung verlangen.
Am 6. Februar 2024 hat der Staatsrat einen Entwurf der Bestimmungen über die Regulierung der Eintragung von Stammkapital erlassen („Entwurf”), der eine Übergangsfrist für bestehende Unternehmen bestimmt. Nach dem Entwurf müssen die vor dem 1. Juli 2024 gegründeten Gesellschaften, deren Satzung eine Frist zur Einzahlung des Stammkapitals von mehr als fünf Jahren enthält, bis zum 30. Juni 2027 eine Fristanpassung vornehmen und eine Frist von weniger als fünf Jahren festlegen (siehe nachstehende Grafik). Als “eindeutig abnormal“ können nach dem Entwurf Fristen von mehr als 30 Jahren und ein Stammkapital von CNY 1 Milliarde (ca. EUR 128 Millionen) betrachtet werden.
Die Befristung der Erbringung von Stammeinlagen ist keine neue Regelung. Nach dem Gesellschaftsgesetz von 1993 musste das Stammkapital einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bei der Gründung vollständig eingezahlt werden. Im Jahr 2005 wurde die Frist für die Kapitaleinlage auf zwei Jahre verlängert. 2014 wurde die zweijährige Leistungsfrist abgeschafft, mit der Folge, dass Investoren seitdem die Flexibilität hatten, deren Stammeinlagen entweder einmalig in voller Höhe oder in Raten gemäß der Satzung zu leisten. Die Gesellschafter mussten deren ausstehende Stammeinlage jedoch spätestens bei der Liquidation der Gesellschaft in voller Höhe einzahlen, wenn das Vermögen der Gesellschaft nicht ausreichte, um alle Schulden zu begleichen.
Diese bislang bestehende Zulässigkeit einer langen Leistungsfrist – die Betriebsdauer von Unternehmen beträgt regelmäßig zwischen 30 und 50 Jahren – gekoppelt mit den teilweise hohen Stammkapitalanforderungen von Industrie- und Entwicklungszonen als auch hohe Stammkapitalanforderungen im Rahmen von Ausschreibungen haben dazu geführt, dass einige ausländisch-investierte Unternehmen höheren Stammeinlagen zugestimmt haben als sie tatsächlich in der Lage oder bereit sind zu leisten.
Dies führte dazu, dass bei zahlreichen Unternehmen nur ein geringer Teil des Stammkapitals tatsächlich eingezahlt wurde. Dem sollen die neuen Regelungen – darunter auch die fünfjährige Frist zur Erbringung von Stammeinlagen – zukünftig entgegenwirken.
Unsere Empfehlung:

Bislang haben wir – auch wegen der Restriktionen bei Fremdwährungsdarlehen - empfohlen, auf Grundlage des vorab erstellten Geschäftsplans ein ausreichend hohes Stammkapital zu registrieren, um auch bei unvorhergesehenen Ausgaben und nicht planmäßiger Geschäftsentwicklung einer Unterfinanzierung und einer kostspieligen Stammkapitalerhöhung vorzubeugen.

Auch wenn dies weiterhin zu beachten ist, so sollte zukünftig zusätzlich geprüft werden, ob alle Gesellschafter in der Lage sind, deren Stammeinlagen in voller Höhe fristgemäß zu leisten.

Gesellschafter bestehender Gesellschaften sollten mit deren Mitgesellschaftern, welche deren Stammeinlage noch nicht vollständig erbracht haben, eine Vereinbarung zur Sicherung der Erbringung der Stammeinlage – bestenfalls bis zum 1. Juli 2024 – abschließen. Bei neu gegründeten Gesellschaften sollte eine solche Vereinbarung im Rahmen des Gesellschaftervertrags getroffen werden.

Gesellschafter von Unternehmen mit noch nicht voll eingezahltem Stammkapital, bei denen nach dem 1. Juli 2024 die Leistungsfrist fünf Jahre übersteigt, müssen die Unternehmenssatzung entsprechend anpassen und eine Änderung im Handelsregister beantragen. Sollten die Gesellschafter nicht in der Lage sein, das gezeichnete Stammkapital fristgemäß einzuzahlen oder dies nicht wollen, so können diese das Stammkapital um den noch ausstehenden Teil des Stammkapitals herabsetzen.

Bei der Gründung von neuen Gesellschaften sollten Investoren das Stammkapital unter Beachtung der für den zukünftigen Geschäftsbetrieb erforderlichen Finanzmittel sowie der fünf-jährigen Frist zur Leistung der Stammeinlagen berechnen. Sollte der Geschäftsplan nach den ersten fünf Jahren zusätzliches Kapital erfordern, kann dann eine entsprechende Kapitalerhöhung vorgenommen werden.

In Anbetracht der im Entwurf festgelegten Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2027 und der Frist zur Einzahlung des Stammkapitals ist es für Investoren, die eine Unternehmensgründung planen, vorteilhafter, das Unternehmen noch vor dem 1. Juli 2024 zu gründen, da in diesem Fall das Stammkapital erst zum 29. Juni 2032 eingezahlt werden muss. Bei einer Gründung nach dem 1. Juli 2024 muss dieses hingegen spätestens bis zum 30. Juni 2029 eingezahlt werden.

In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass nach dem neuen GesellschaftsG neben Bargeld, Sacheinlagen, geistigen Eigentumsrechten, Landnutzungsrechten und anderen Formen von übertragbaren Sachwerten nun auch explizit Beteiligungen an Unternehmen und Gläubigerrechte für die Einzahlung der Stammeinlage verwendet werden dürfen.

b) Arbeitnehmervertreter im Board of Directors (Art. 68)

Nach Art. 68 GesellschaftsG müssen Unternehmen mit mindestens 300 Beschäftigten einen Arbeitnehmervertreter im Board of Directors haben, es sei denn es sitzt bereits ein Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des Unternehmens.
Letzteres bestimmt schon das Gesellschaftsgesetz von 2018, nach dem Gesellschaften mit beschränkter Haftung einen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben müssen. Die Pflicht zur Bestellung des Arbeitnehmervertreters in den Aufsichtsrat gilt jedoch nicht, wenn kein – mindestens dreiköpfiger – Aufsichtsrat besteht, sondern nur eine oder zwei Personen als Aufsichtsrat bestellt wurden (Achtung: ab 1. Juli 2024 sind keine zwei, sondern nur noch eine Person als Aufsichtsrat zulässig). Dies war in der Vergangenheit gängige Praxis, um die Bestellung eines Arbeitnehmervertreters zu vermeiden.
Bislang mussten nur Staatsunternehmen und solche Unternehmen, die von zwei oder mehr Staatsunternehmen gegründet wurden, einen Arbeitnehmervertreter im Board of Directors haben.
Nunmehr gilt diese Pflicht auch für Gesellschaften mit beschränkter Haftung unter den vorstehend genannten Bedingungen. Folglich ist es bei Unternehmen mit 300 oder mehr Beschäftigten grundsätzlich nicht mehr möglich, die Bestellung eines Arbeitnehmervertreters in das Board of Directors bzw. in den Aufsichtsrat zu vermeiden.
Da die Bestellung eines Arbeitnehmervertreters bei Unternehmen mit mindestens 300 Beschäftigten grundsätzlich nicht vermieden werden kann, stellt sich die Frage, ob und wieweit Unternehmen auf die Bestellung eines Arbeitnehmervertreters rechtmäßig Einfluss nehmen können. Nach dem GesellschaftsG muss der Arbeitnehmervertreter durch die Arbeitnehmerversammlung, die Versammlung der Arbeitnehmervertreter, oder „auf andere demokratische Weise“ gewählt werden.
Man könnte zunächst darüber nachdenken, ob es rechtlich möglich ist, ein Mitglied der Geschäftsführung zum Arbeitnehmervertreter wählen zu lassen. Im Gegensatz zum deutschen Recht, wo Geschäftsführer nicht immer auch Arbeitnehmer sind, stehen der General Manager2 in China meistens auch in einem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen. Somit ist der General Manager zumindest formal auch ein „Mitarbeiter” und sollte daher auch auf demokratische Weise als Arbeitnehmervertreter in das Board of Directors gewählt werden können. Da der General Manager jedoch den Beschlüssen und Weisungen des Board of Directors untersteht, vom Board of Directors bestellt und abberufen wird, würde sich der General Manager in seiner Funktion als Arbeitnehmervertreter und Mitglied des Board of Directors in einem Interessenkonflikt befinden.
Aus Art. 9 der Bestimmungen zur demokratischen Unternehmensführung, der bestimmt, dass Managementmitglieder nicht mehr als 20% der Gesamtzahl der Arbeitnehmervertreter ausmachen dürfen, lässt sich zumindest passives Wahlrecht für Manager ableiten. Aus Platzgründen wollen und können wir hier nicht auf die Einzelheiten eingehen. Da es sich hierbei jedoch um ein wichtiges Thema handelt, - Art. 1 Abs. I GesellschaftsG hat den Schutz von Mitarbeiterechten explizit als Gesetzeszweck neu aufgenommen – sollten sich betroffene Unternehmen entsprechenden Rechtsrat einholen.
Sollte ein Unternehmen weniger als 300 Mitarbeiter haben, so stellt sich weiterhin die Frage, ob auch Dienstleister, Teilzeitbeschäftigte, Praktikanten usw. in die Berechnung der Mitarbeiteranzahl einzubeziehen sind. Unseres Erachtens sind bei der Berechnung der Beschäftigten nur solche Personen zu berücksichtigen, die mit der Gesellschaft in einem Arbeitsverhältnis i.S.d. Arbeitsgesetzes stehen und in der Liste der Beschäftigten aufgeführt sind.
Da, wie vorstehend erläutert, Unternehmen mit 300 oder mehr Mitarbeitern einen Arbeitnehmervertreter bestellen müssen, ist fraglich, ob und wie der Arbeitnehmervertreter auf die Entscheidungsfindung im Board of Directors Einfluss nehmen kann.
Das Board of Directors muss aus mindestens drei Direktoren bestehen, wobei die bislang bestehende Obergrenze von 13 Direktoren in Art. 68 aufgehoben wurde. Das GesellschaftsG sieht vor, dass Beschlüsse des Board of Directors von mehr als der Hälfte aller Direktoren gefasst werden müssen. Vorausgesetzt, dass sich die durch den/die Gesellschafter bestellten Direktoren in der Beschlussfassung einig sind, wird der Arbeitnehmervertreter die Entscheidung des Boards of Directors nicht beeinflussen können, denn das GesellschaftsG sieht kein Vetorecht des Arbeitnehmervertreters vor. Sollten sich bei einem Board of Directors mit drei Direktoren die zwei durch den Gesellschafter bestellten Direktoren jedoch nicht einig sein, könnte die Stimme des Arbeitnehmervertreters das Zünglein an der Waage sein. Diese Situation kann insbesondere bei Gemeinschaftsunternehmen auftreten, wenn unterschiedliche Interessenlagen der Gesellschafter und damit auch der durch sie bestellten Direktoren vorliegen.
Allerdings, und das ist die gute Nachricht für mittelständische Unternehmen, dürfen „kleine“ Unternehmen oder Unternehmen mit einer „geringen Anzahl von Gesellschaftern“ nach Art. 75 GesellschaftsG anstatt eines Board of Directors nur einen Direktor (früher Executive Director oder Managing Director genannt) bestellen. Unklar ist jedoch, was unter „kleinen Unternehmen” zu verstehen ist, und ob Unternehmen mit nur einem oder zwei Gesellschaftern, welche 300 oder mehr Mitarbeiter und keinen Aufsichtsrat mit Mitarbeitervertreter haben, nur einen Direktor anstatt eines Board of Directors mit einem Mitarbeitervertreter haben dürfen.
Wie oben schon erwähnt, hat Art. 1 Abs. I GesellschaftsG den Schutz von Mitarbeiterechten explizit als Gesetzeszweck neu aufgenommen. Dies berücksichtigend kann man davon ausgehen, dass Unternehmen mit nur einem Gesellschafter mit mindestens 300 Mitarbeitern einen Board of Directors mit einem Mitarbeitervertreter haben müssen. Hier ist zu hoffen, dass zukünftige Durchführungsbestimmungen oder die Praxis Klarheit bringen.
Unsere Empfehlungen:

Unternehmen mit 300 oder mehr Mitarbeitern haben bis zum Stichtag am 1. Juli 2024 u.a. folgende Handlungsoptionen:

Option 1 - Arbeitnehmervertreter im Board of Directors: Wird der Arbeitnehmervertreter in das Board of Directors bestellt, sollten Unternehmen mit drei Direktoren im Board of Directors darauf achten, den Arbeitnehmervertreter als den vierten Direktor hinzufügen, da für den Fall, dass einer der drei aktuellen Direktoren durch den Arbeitnehmervertreter ersetzt wird, der Arbeitnehmervertreter bei Uneinigkeit der zwei durch den Gesellschafter bestellten Direktoren als Mehrheitsbeschaffer fungiert und somit maßgeblich die Unternehmensführung beeinflussen kann.

Joint Ventures, die aktuell vier Direktoren haben, wobei jeder Gesellschafter zwei Direktoren ernannt hat, sollten über Option 2 nachdenken, da auch in diesem Fall dem Arbeitnehmervertreter im Fall einer Pattsituation die entscheidende Stimme hätte und damit die Unternehmensführung beeinflussen könnte. Um dies zu verhindern könnte man bei allen wichtigen Angelegenheiten die Entscheidung per Satzung der Gesellschafterversammlung zuweisen. Sollte dies nicht möglich oder gewünscht sein, bleibt nur Option 2.

Option 2 – Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat: Alternativ können Unternehmen, die aus den vorstehenden Gründen den Arbeitnehmervertreter nicht im Board of Directors haben wollen, diesen in den Aufsichtsrat bestellen, da hier keine unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden, sondern die Funktion des Aufsichtsrats auf die Überwachung der Gesellschaft und deren Organe beschränkt ist.

Bei der Überlegung, ob es für das Unternehmen vorteilhafter ist, einen Arbeitnehmervertreter in das Board of Directors oder in den Aufsichtsrat zu bestellen, ist auch zu beachten, dass es unabhängig von der Anzahl der Direktoren im Board of Directors ein einziger (!) Arbeitnehmervertreter die gesetzliche Anforderung erfüllt, wo hingegen im Aufsichtsrat ein Drittel (!) der Gesamtzahl der Aufsichtsräte aus Arbeitnehmervertretern bestehen muss.

c) Stimmregeln für Gesellschafterversammlung (Art. 66) und Board of Directors (Art. 73)

In Art. 66 Abs. II GesellschaftsG werden neue Regeln zu Beschlussmehrheiten für die Gesellschafterversammlung festgelegt. Nach den neuen Regeln ist für alle Beschlüsse, welche nicht unter die „besonderen Beschlüsse” des Art. 66 Abs. III fallen, eine einfache Mehrheit erforderlich, d.h. „allgemeine Beschlüsse” der Gesellschafterversammlung müssen mit mehr als der 1/2 der Stimmrechte der Gesellschafter gefasst werden. Von dieser Regelung kann unseres Erachtens nicht abgewichen werden.
Für „besondere Beschlüsse” über wichtige Angelegenheiten, d.h. im Fall einer Satzungsänderung, Kapitalerhöhung oder -herabsetzung, Fusionen, Spaltung, Liquidation des Unternehmens oder Änderung der Rechtsform, gelten unverändert die Bestimmungen des Art. 66 Abs. III, nach denen „besondere Beschlüsse” 2/3 der Stimmrechte der Gesellschafter bedürfen.
Art. 66 Abs. II und Art. 66 Abs. III sind als vorrangige Regelungen zu Art. 66 Abs. I zu verstehen, nach dem die Versammlungs- und Stimmregeln für die Beschlussfassung grundsätzlich durch die Gesellschafter in der Satzung frei festgelegt werden dürfen. Mit der Folge, dass die Satzungsbestimmungen zur Beschlussfassung von den Mehrheitsbestimmungen nach Art. 66 Abs. II und Art. 66 Abs. III nicht abweichen dürfen.
Eine dem Art. 66 Abs. II vergleichbare Regelung zu Beschlussmehrheiten wurde in Art. 73 GesellschaftsG auch für das Board of Directors eingeführt. Art. 73 geht jedoch einen Schritt weiter und regelt neben den Beschlussmehrheiten auch die Anforderungen an die Beschlussfähigkeit (Quorum) des Board of Directors. Danach ist das Board of Directors nur dann beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte aller Direktoren anwesend ist.
Im Umkehrschluss ist das Board of Directors nicht beschlussfähig, wenn nur die Hälfte oder weniger der Direktoren an einer Versammlung des Board of Directors teilnimmt.
Weiter sieht das GesellschaftsG in Art. 73 explizit vor, dass Beschlüsse des Board of Directors durch einfache Mehrheit aller Direktoren gefasst werden, wobei jeder Direktor nur eine Stimme haben kann. Somit schränkt Art. 73 die bislang gegebene Flexibilität bei der Formulierung der Regeln zu Beschlussmehrheiten für das Board of Directors in der Satzung ein. Bemerkenswert ist, dass Art. 73 explizit von „allen“ Direktoren spricht, wo hingegen in Art. 66 von den „Gesellschaftern mit Stimmrechten“ die Rede ist.
Die für eine Beschlussfassung erforderlichen Stimmrechte nach Art. 66 werden daher auf Basis der Proportion von Geschäftsanteilen aller Gesellschafter berechnet.
Unsere Empfehlung:

Sollte die Satzung eines Unternehmens eine von Art. 66 Abs. II abweichende Regelung vorsehen, nach der für „allgemeine Beschlüsse” weniger oder mehr als eine einfache Mehrheit erforderlich ist, so müssen diese Unternehmen deren Satzung in Einklang mit dem neuen Art. 66 Abs. II GesellschaftsG bringen.

Da Art. 66 II im Gegensatz zu Art. 73 kein Quorum für die Gesellschafterversammlung bestimmt, ist abhängig von der individuellen Interessenlage und der Stimmrechte der Gesellschafter weiterhin zu überlegen, ob man ein Quorum nicht nur für das Board of Directors, sondern auch für die Gesellschafterversammlung individuell in der Satzung festlegt. Dies ist aufgrund von Art. 66 Abs. I zulässig.

Angesichts der vorstehenden Änderungen in Art. 66 Abs. II und Art. 73 sollten Gesellschafter die bestehenden Regelungen zur Beschlussfähigkeit bzw. Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung und des Board of Directors in der Satzung prüfen und, falls diese von den zwingenden Regeln des neuen GesellschaftsG abweichen, diese Regelungen bis zum 1. Juli 2024 an das neue GesellschaftsG anpassen.

d) Deregistrierung, Benennung und Abberufung des Legal Representative (Art. 35, 10, 46)

In der Vergangenheit gab es oft Probleme mit der Deregistrierung des Legal Representative. Dies war immer dann der Fall, wenn der General Manager, der meist einen chinesischen Arbeitsvertrag mit dem Tochterunternehmen hatte, oder der Chairman des Board of Directors, als Legal Representative fungierte und gekündigt wurde oder aus anderen Gründen nicht mehr kooperationswillig war und die zu dessen behördlichen Deregistrierung notwendigen Unterschriften nicht leistete. Um solche Situationen lösen zu können, haben die Behörden in den letzten Jahren vermehrt die Unterschrift des neuen Legal Representative akzeptiert. Nunmehr ist die Behördenpraxis in Art. 35 Abs. III GesellschaftsG kodifiziert, welcher vorsieht, dass es bei einem Wechsel des Legal Representative ausreicht, dass der neu benannte Legal Representative die entsprechenden behördlichen Anträge unterzeichnet. Damit schützt Art. 35 III vor allem die Interessen des Unternehmens.
Art. 10 Abs. II schützt hingegen die Interessen der Direktoren und General Manager, denn immer wieder kam es zu Situationen, in denen Unternehmen Direktoren und General Manager, welche gleichzeitig als Legal Representative fungierten, nicht aus deren Funktion als Legal Representative entlassen konnten, weil kein Nachfolgekandidat vorhanden war. Dies war dem Umstand geschuldet, dass Behörden den amtierenden Legal Representative nur dann de-registriert haben, wenn das Unternehmen gleichzeitig einen neuen Legal Representative eingetragen hat.
Nunmehr regelt das GesellschaftsG in Art. 10 Abs. II und III, dass wenn ein Direktor oder ein General Manager, der als Legal Representative fungiert, zurücktritt oder abberufen wird, im Rahmen einer gesetzlichen Fiktion davon ausgegangen wird, dass er gleichzeitig auch als Legal Representative zurückgetreten ist bzw. abberufen wurde.
Nach Art. 10 Abs. III GesellschaftsG muss die Gesellschaft innerhalb von 30 Tagen nach dem Rücktritt oder der Abberufung eines Legal Representative einen neuen Legal Representative ernennen.
Um den in der Vergangenheit oft problematischen Wechsel des Legal Representative zukünftig rechtssicherer zu gestalten, verlangt Art. 46, dass die Satzung u.a. auch das Verfahren für die Auswahl/ Benennung und die Abberufung bzw. den Wechsel des Legal Representative enthalten muss.
Unsere Empfehlung:

Für ein solches Verfahren nach Art. 46 bietet es sich an, eine feste Regelung in die Satzung aufzunehmen, die einen für die Benennung des Legal Representative grundsätzlich erforderlichen Gesellschafterbeschluss ersetzt. Hier könnte man beispielsweise für den Fall, dass der ursprüngliche Direktor und Legal Representative zurücktritt, in Erwägung ziehen, den zweiten Direktor oder den General Manager ohne Beschluss, sondern nur durch die Satzung zum Legal Representative zu benennen. Von der Nennung von Namen in der Satzung sollte abgesehen werden, da andernfalls eine Satzungsänderung erforderlich wäre.

Ein solches Verfahren sollte auch die neue Pflicht der Gesellschaft nach Art. 10 Abs. III GesellschaftsG berücksichtigen, einen neuen Legal Representative innerhalb von 30 Tagen nach Rücktritt des bisherigen Legal Representative zu benennen.

e) Haftung für Gesellschaftsgründung (Art. 44) und Gründungsvereinbarung (Art. 43)

Art. 44 Abs. I GesellschaftsG sieht vor, dass die Gesellschaft – nach deren Gründung - die Folgen der zivilrechtlichen Handlungen trägt, die die Gründungsgesellschafter – vor der Gründung - zum Zweck der Gründung der Gesellschaft vorgenommen haben.
Damit verstärkt das neue GesellschaftsG nicht nur den Schutz von Dritten, welche mit einem Gründungsgesellschafter zum Zweck der Gründung der Gesellschaft einen Vertrag abgeschlossen haben, sondern schützt auch die Gründungsgesellschafter, da diese bislang für die sich aus solchen Verträgen ergebenden Pflichten haften mussten.
Sollte ein Gründungsgesellschafter ein Geschäft mit einem Dritten im eigenen Namen zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft abschließen, darf der Dritte nunmehr die Leistung bzw. den Schadensersatz wahlweise von der gegründeten Gesellschaft oder dem Gründungsgesellschafter verlangen. In der Praxis betrifft dies vor allem den Abschluss von Mietverträgen für Büro- oder Produktionsräumlichkeiten, da ein gültiger Mietvertrag von den Behörden als ein Teil der Gründungsunterlagen gefordert wird.
Wird die Gesellschaft entgegen der ursprünglichen Absicht aus welchen Gründen auch immer nicht gegründet, so haften die Gesellschaftern nach Art. 44 Abs. II für zur Zeit der Gründung der Gesellschaft abgeschlossene Rechtsgeschäfte (wie bspw. Mietverträge) gesamtschuldnerisch. D.h. Dritte dürfen auswählen, gegen welchen der Gründungsgesellschafter sie ihren Anspruch geltend machen, und sollte dieser nicht leisten, dann haften die übrigen Gründungsgesellschafter.
Nach dem Ersatz des Schadens durch einen Gesellschafter oder der Gesellschaft gegenüber dem Dritten kann – je nachdem wer gleistet hat – entweder die Gesellschaft oder der Gesellschafter den schadensverursachenden Gesellschafter auf Entschädigung in Regress nehmen.
Unsere Empfehlung:

Da sich die Höhe der Haftung der einzelnen Gesellschafter grundsätzlich nach einer zwischen den Gesellschaftern zu treffenden Haftungsvereinbarung oder der Verteilung der Gesellschaftsanteile richtet, ist es empfehlenswert eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen, da andernfalls alle Gesellschafter zu gleichen Teilen haften.

Aufgrund der mit der Gesellschaftsgründung verbundenen Risiken und der drohenden gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter empfehlen wir, dass die Gesellschafter noch vor Einleitung der Schritte zur Gesellschaftsgründung eine solche Gründungsvereinbarung abschließen, welche den Gründungsablauf sowie die Rechte, Pflichten und Haftung der einzelnen Gründungsgesellschafter festschreibt. Somit können Aufgaben und Haftung der einzelnen Gründungsgesellschafter klar bestimmt und aufgeteilt, und bestenfalls Haftungsrisiken reduziert werden.
Autoren:
Rainer Burkardt, Managing Director, Burkardt & Partner, Shanghai, VR China
Ondřej Zapletal, Rechtsberater, Burkardt & Partner, Shanghai, VR China

Hinweis auf Fortsetzung:
In Kürze wird dieser Artikel um die folgenden Beiträge ergänzt werden:
  • Teil 2  “Andere wichtige Neuerungen, die Unternehmen kennen müssen (A)“, 
  • Teil 3  “Andere wichtige Neuerungen, die Unternehmen kennen müssen (B)“