Europäische Union, Teil 1

Die Europäische Union - Handelsblock mit Gewicht

Die EU ist ein Erfolgsmodell, denn sie fördert politische Stabilität in Europa und schafft ein Umfeld, das es deutschen Unternehmen ermöglicht, in einem großen und integrierten Binnenmarkt zu agieren. Allerdings ist dieser Erfolg bis heute nicht selbstverständlich. Als komplexes politisches Gebilde bedarf die EU ständiger Anpassung und Weiterentwicklung. Die Überwindung von aktuellen Herausforderungen erfordert Engagement, Zusammenarbeit und einen kontinuierlichen Dialog zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Bürgern. Auch deutsche Unternehmen können sich für die Stärkung und Weiterentwicklung der EU einsetzen. Eine Chance hierzu bietet in diesem Jahr wieder die Europawahl.

Allianz der 27 Mitgliedstaaten

Die Union hat aktuell 27 Mitgliedstaaten. Mit rund 450 Millionen Einwohnern und einem Bruttosozialprodukt (BSP) von rund 16 Billionen Euro ist sie das größte Kooperationsprojekt der Welt. Danach erst folgt die nordamerikanische Freihandelszone USMCA (United States Mexico Canada Agreement) mit einem BSP von 29,1 Billionen Euro (davon USA 26 Billionen). China folgt mit 18 Billionen Euro. Europa ist durch den Außenhandel mit diesen Wirtschaftsräumen verbunden und hat als Verhandlungspartner entsprechendes Gewicht.

Meilensteine zum gemeinsamen Binnenmarkt

Vor mehr als 70 Jahren hatten mutige Männer und Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern die Vision, durch eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Politik künftige Kriege zu verhindern. So entstand 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). 
Mit dem 1957 abgeschlossenen Römischen Vertrag und der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vereinbarten die sechs Länder Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Luxemburg und Italien eine noch engere Zusammenarbeit.
Fünf Meilensteine markieren den Ausbau der Europäischen Union. Zum einen das Schengen-Abkommen im Jahr 1985. Initiiert wurde es von Deutschland, Frankreich und den BENELUX-Ländern. Aktuell haben 27 europäische Länder, darunter die Schweiz, Norwegen und Liechtenstein, das Abkommen unterzeichnet. Seitdem gibt es keine Grenzkontrollen mehr an den Binnengrenzen und gleichzeitig wurde eine gemeinsame Außengrenze geschaffen. Davon haben Bürger und Unternehmen gleichermaßen erheblich profitiert.
Mit dem Vertrag von Maastricht wurde 1992 die Kooperation auf die Außen- und Sicherheitspolitik sowie in den Bereichen Justiz und Inneres ausgedehnt. Die Einführung des Euro 2002, der mittlerweile in 20 der 27 Mitgliedsländer gilt, sorgte für einen weiteren Schub bei der wirtschaftlichen Integration. Mit den EU-Erweiterungsrunden in Mittel- und Südost-Europa in den Jahren 2004, 2007 und 2013 verdoppelte sich der Binnenmarkt und bot Unternehmen, insbesondere auch aus Baden-Württemberg, neue Absatzmärkte und Kooperations- und Investitionsmöglichkeiten. 
2009 trat dann der Vertrag von Lissabon in Kraft mit dem erklärten Ziel, die EU demokratischer, effizienter und transparenter zu machen, um sich im Wettbewerb gegen die USA und vor allem gegen das aufstrebende China besser zu positionieren. Die Staatengemeinschaft sollte außerdem stark genug werden, um Herausforderungen wie Klimawandel, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung zu begegnen.
 

Europäische Erfolgsstory durch klare gesetzliche Rahmenbedingungen 

Die EU-Länder sind für viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als Absatz- und Beschaffungsmarkt sehr wichtig. Dazu tragen die exzellenten Rahmenbedingungen im innergemeinschaftlichen Warenverkehr mit der gemeinsamen Zoll-Außengrenze bei. Aber auch die Möglichkeit, über die Grenzen hinweg Handwerks- und Dienstleistungen zu erbringen. 
So werden rund zwei Drittel des baden-württembergischen Außenhandels mit EU-Ländern abgewickelt – ohne Zollformalitäten und Kursschwankungen. Zudem sorgt die Rechtssicherheit dafür, dass Investitionen in Fertigungsstätten im EU-Ausland noch vor der deutschen Wiedervereinigung 1990 um rund 33 Prozent stiegen. Auch die Unternehmenszusammenschlüsse und Übernahmen von Firmen in der EU verdreifachten sich in dieser Zeit.

Praxisferne EU-Vorgaben lähmen Entwicklung

Der Brexit vor vier Jahren und das Erstarken EU- und euroskeptischer Parteien haben Kräfte zu Tage gebracht, die eine starke Europäisierung der nationalen Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozesse hinterfragen. Je nach Politikbereich haben 60 bis 80 Prozent der Gesetze ihren Ursprung auf EU-Ebene. Harmonisierungsbestrebungen sind wichtig, allerdings sorgt die Flut an neuen Initiativen und deren wenig praxistaugliche Umsetzbarkeit für wenig Verständnis bei Unternehmen. Erwähnt werden muss aber auch, dass nationale Egoismen den Alltag von im EU-Ausland tätigen Unternehmen behindern. Sei es bei der Firmengründung, beim Warenverkehr oder bei der Erbringung von Dienstleistungen.

Das Verlassen der EU ist nachweislich kein guter Weg

Dass weniger EU keine Lösung ist, zeigt der im Jahr 2020 vollzogene Brexit. Darüber klagen nicht nur britische Unternehmen. Der Zugang zum EU-Binnenmarkt ist seitdem erschwert, teurer und geht außerdem mit einem Wohlstandverlust einher. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie, die im Januar 2024 von Cambridge Econometrics vorgelegt wurde. Demnach hat der Brexit die Wirtschaftsleistung im Vereinigten Königreich um sechs Prozent geschmälert, was jährlich 140 Milliarden Pfund (163 Milliarden Euro) entspricht.

Der Global Player EU, ein Handelsblock mit Gewicht

Die EU spielt eine bedeutende Rolle in internationalen Organisationen, bei der Verhandlung von Handelsabkommen oder bei der Einigung auf Standards. Außerdem arbeiten die Mitgliedstaaten an Strategien, um ihre Außenwirtschaft zu stärken. 
Ein gutes Beispiel ist die 2021 gestartete Initiative „Global Gateway“. Mit dieser geopolitischen Infrastrukturinitiative sollen bis 2027 rund 300 Milliarden Euro in weltweite Projekte zur Anpassung an den Klimawandel, zur Verbesserung des Umweltschutzes sowie in Infrastruktur investiert werden. Das Ziel ist eine Verbesserung der Handelsströme, was deutschen und europäischen Unternehmen nützt. Die meisten Projekte fördern die physische, greifbare Infrastruktur sei es ein Digitalkabel, ein Kraftwerk oder die Eisenbahn. Allein die Hälfte der Investitionen sind für afrikanische Projekte vorgesehen.

Thomas Bittner, Dagmar Jost – IHK Region Stuttgart