“The stranger sees only what he knows”

“The stranger sees only what he knows”

Dieses afrikanische Sprichwort drückt aus, dass der Mensch seine Aufmerksamkeit immer erst auf die Elemente einer Kultur richtet, die ihm bekannt sind. Denn aus anthropologischer Perspektive verstehen wir nur, was wir bereits kennen und einordnen können. Obgleich Kulturen individuell und einzigartig sind, sucht der Menschen damit immer nach Gemeinsamkeiten. Ist das der richtige Weg?
Das erschwerte Erkennen von Unterschieden oder dem Potenzial von Diversität bringt in der internationalen Zusammenarbeit Herausforderungen mit sich. Die Differenz in den Unternehmenskulturen führt zu unterschiedlichen Ausrichtungen in der Organisationsentwicklung und hat insbesondere in internationalen Kooperationen eine große Bedeutung. Unterschiedliche Arbeitsweisen, Arten der Kommunikation und Entscheidungsmuster führen oftmals zu Missverständnissen und sind Hürde beim Erreichen von Kooperationszielen. Zentraler Faktor ist dabei der Mensch als Akteur und seine kulturelle Perspektive.
Doch welche kulturell bedingten Ansichten sind für die internationale Kooperation vom Vorteil? Eröffnet uns ein anderer Blickwinkel die Möglichkeit, Kooperationsziele auf eine andere, vielleicht bessere Art, gemeinsam zu erreichen? Wir zeigen Ihnen die Einzigartigkeit von Mosambiks Kultur in direktem Vergleich zu Deutschland. Anhand von Praxisbeispielen möchten wir verschiedene kulturelle Perspektiven und deren Auswirkung auf die Kooperation analysieren. Dabei greifen wir unter anderem auf Erfahrungen zurück, die wir in unserem Kooperationsprojekt zwischen der IHK Region Stuttgart und der mosambikanischen Handelskammer gesammelt haben.

Perspektivwechsel Kultur

Neben praktischen Erfahrungen aus dem genannten Projekt bezieht sich diese Analyse auf die fundierten Ergebnisse einer weltweiten, interkulturellen Erhebung von Hofstede.
Kulturelle Dimensionen im Überblick: Die Grafik zeigt eine Klassifizierung kultureller Dimensionen nach dem Anthropologen Geert Hofstede. Hohe Punktzahlen bestimmen eine hohe Ausprägung der jeweiligen Dimension.

Machtdistanz: Die Rolle von Hierarchie und Partizipation

Die hohe Punktzahl von 85 in der Dimension Machtdistanz soll veranschaulichen, dass die mosambikanische Gesellschaft sehr hierarchisch organisiert ist und Entscheidungen „von oben“ sofort angenommen werden. Der niedrige Punktewert von Deutschland (35) bezeugt hingegen die Wichtigkeit in Bezug zu den Themen Gleichstellung, Partizipation und die Entwicklung hin zu flachen Hierarchien. Führungskräfte müssen in Deutschland nicht nur eine Machtposition innehaben, sondern auch Expertise vorzeigen. So erhöhen sich die Chancen auf den Aufstieg mit einer längeren Abteilungs- bzw. Organisationszugehörigkeit. In Mosambik sind der Einsatz und die Akzeptanz von Führungskräften nicht zwingend von der Expertise abhängig.
Im Zentrum dieser Dimension steht dabei die Verteilung von Macht. Während die Chancen der Aufgabendelegation in Deutschland genutzt und somit Aufgaben eigenverantwortlich erledigt werden können, ist die Zurückhaltung in Mosambik eine Herausforderung. Dies könnte am bestehenden hierarchischen Rollenverständnis liegen oder seinen Ursprung darin haben, dass Regeln nicht schriftlich festgehalten werden. Strukturen oder Prozesse, welche in einem Gespräch geklärt werden, sind damit für die Belegschaft nicht automatisch autoritätsgebend.
In internationalen Kooperationen ist es aus unserer Sicht essenziell, dass die Mitarbeitenden ermächtigt und befähigt werden, aktiv an den Unternehmensaktivitäten teilzunehmen, Verantwortung zu übernehmen und auch eine Fehlerkultur zu etablieren. Insbesondere ganzheitliche Unternehmensentscheidungen müssen von den Mitarbeitenden getragen werden. Denn die Belegschaft ist Träger, Multiplikator und auch Überlieferer der nicht verschriftlichen Unternehmenskultur. Dabei spielt der Kommunikationsweg eine wichtige Rolle. In Mosambik zum Beispiel erfolgt die Kommunikation durch Gesprächstermine oder Telefonate. Der schriftliche Kommunikationsweg über E-Mail, wie er in Deutschland favorisiert wird, findet hingegen wenig Anklang in der mosambikanischen Arbeitsweise.
Für die Herangehensweise als Unternehmen oder B2B-Partner, um Mitarbeitende zu ermächtigen, gilt es, gemeinsam an Organigrammen mit klaren Rollenzuweisungen und dazugehörigen Kommunikationskanälen zu arbeiten. Agile Methoden zeigen sich hierbei als hilfreich, um hierarchische Strukturen aufzuweichen und Entscheidungswege neu zu definieren.

Einzelne oder das Team: Was ist wichtiger?

Die geringe Ausprägung beim Thema Individualismus mit nur 15 Punkten steht für eine eher kollektivistische Gesellschaft in Mosambik. Auf der Grundlage, dass neue Kooperationspartnerschaften die konkrete Zusammenarbeit in den Fokus stellen, kann Kollektivismus als förderlich betrachtet werden. Wir möchten behaupten, dass in Mosambik die Teamarbeit kulturell bedingt mehr im Vordergrund steht. Obwohl Individualismus innerhalb der Institution immer mehr an Bedeutung gewinnt, eröffnet die Projekterfahrung den Eindruck, dass die Bedeutung des Gesamterfolgs dennoch gegenüber dem Arbeitsalltag des Einzelnen überwiegt.
Unsere Projektumsetzung hat gezeigt, dass sofern Verantwortungsbereiche an Mitarbeitende von „oben“ zugewiesen werden, diese mit Selbstverständlichkeit nicht nur für den eigenen Tätigkeitsbereich, sondern für das gesamte Team übernommen werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt der hohen kollektivistischen Tendenz ist das Vertrauen und die Loyalität. Die Zusammenarbeit mit neuen Arbeitsweisen oder Unternehmensaktivitäten knüpft nicht nur an einzelne Individuen an, sondern an das gesamte Institutions-Kollektiv. Sich gemeinsam weiterzuentwickeln ist der Grundstein für die Organisationsentwicklung und ein wichtiger Faktor bei der Erreichung des Unternehmenserfolgs. Es gilt diese Charakteristika beim Projekt-Partner positiv zu nutzen und damit Veränderungen optimal zu implementieren und ganzheitlich zu Institutionalisieren.

Belastbar planen oder jederzeit flexibel sein können: Was ist besser?

Langfristig angelegte Partnerschaften oder Kooperationen erfordern auch eine langfristige Planung. In dieser kulturellen Dimension unterscheiden sich die Arbeitsweisen der Fokusländer am meisten. Kurzfristige Planungen mit fehlendem Weitblick, wie sie kulturell bedingt in Mosambik vermehrt geschehen, sind für internationale Kooperationsprojekte auf den ersten Blick nicht vorteilhaft. Oftmals besteht die Herausforderung darin, kommende Probleme frühzeitig zu erkennen und vorab zu vermeiden bzw. zu lösen. Die deutsche Arbeitsweise hingegen verzeichnet detaillierte Planungen und bringt wenig Akzeptanz für Risiken mit sich. Laut Hofstede ermöglicht die deutsche Sichtweise wenig Spielräume für spontane Improvisation oder kurzfristiges Umdenken, überzeugt aber mit guten Planungsinstrumenten und Umsetzungsmaßnahmen. Eine grundsätzliche Bewertung hinsichtlich der Vorteilshaftigkeit kann hier nicht gegeben werden, da beide kulturellen Aspekte Vor- und Nachteile mit sich bringen.
Je nach Prozess oder Schnelllebigkeit der Unternehmensaktivität haben auch kurzfristige Pläne großes Potenzial. Flexibel zu agieren, Ideen schnell aufzugreifen sowie der Umgang mit Ad-hoc-Entscheidungen sind klare Vorzüge in Mosambik. In Anbetracht unserer von Digitalisierung, Pandemie, Krieg und weiteren globalen Transformationsprozessen geprägten Zeit gewinnt der Bezug zu Schnelligkeit und Flexibilität immer mehr an Bedeutung. Aus diesem Gesichtspunkt sind Anpassung an geozentrische Rahmenbedingungen oder die innovative Entwicklung des Produktportfolios womöglich einfacher in der mosambikanischen Kultur umzusetzen.

Interkulturell und situativ denken lernen

Unsere Arbeit in Mosambik hat gezeigt, dass neue Ideen und Veränderungen beim Projektpartner gerne gesehen sind und mit großer Offenheit hinsichtlich der Aufbau- und Ablauforganisation angenommen werden. Ebenfalls ist ein großes Talent für Improvisation zu verzeichnen. Exemplarisch zeigte sich dies darin, dass während einer Online-Veranstaltung im Stadtviertel Polana der Strom ausgefallen ist. Durch das Talent zu Ad-hoc-Veränderungen konnte das Webinar dennoch weitergeführt werden, ohne dass Teilnehmende überhaupt etwas bemerkten.
Basierend auf den Projekterfahrungen ist damit zusammenzufassen, dass diese kulturelle Perspektive ein großes Potenzial aufzeigt. Eine Aufweichung hin zur westlichen Arbeitsweise wäre nicht primär förderlich. Innerhalb von Projekten sollte daher situativ entschieden werden, welche kulturellen Rahmenbedingungen sich mehr für die Wertschöpfung eignen. Unterschiedliche Herangehensweisen zwischen Lang- und Kurzfristigkeit können für verschiedene zeitliche Projektabschnitte vorteilshaft sein. Bedeutend erscheint es, dass innerhalb der langfristigen Planung genug Spielräume für Improvisation bereitgestellt werden. Nur so kann das kulturell bedingte Potenzial ganz ausgeschöpft werden.
Als deutsches Unternehmen gilt es darüber hinaus zu berücksichtigen, dass viele Menschen in Entwicklungsländern mit der großen Herausforderung konfrontiert sind, die täglichen Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Kurzfristiges Denken erscheint damit für das Alltagsdenken der Mosambikaner und Mosambikanerinnen essenziell.

Für Unternehmen lohnt sich der Perspektivwechsel

Die Analyse der vier dargestellten Dimensionen ergibt spannende Ergebnisse. So scheint, dass in Unternehmen oftmals die deutsche Perspektive als vorteilhaft betrachtet wird und damit die Erwartungshaltung ein Umdenken anderer Kulturen beinhaltet. Doch hingegen dieser These weisen beide Kulturen förderliche Eigenschaften für Wirtschaftskooperationen auf. Je nach Situation oder Arbeitsbereich ist es sinnvoll, die eigenen kulturellen Werte und Normen zu reflektieren und neu zu bewerten.
Auf Seiten Deutschlands sind insbesondere die starke Partizipation der Mitarbeitenden, die Dezentralisierung von Aufgaben und die langfristige Planung förderlich. Die mosambikanische Kultur entfaltet ihre Vorzüge unter anderem durch den Kollektivismus und die Umgangsweise mit Improvisation und Change. Die Berücksichtigung des interkulturellen Managements und die Einflüsse auf das internationale Zusammenarbeit insbesondere in Bezug auf Mosambik wurden bisher wenig diskutiert, sind jedoch für gemeinsame Kooperationsziele und deren Umsetzung relevant. Zur erstmaligen Einordnung stellt die gegebene Untersuchung eine fundierte Grundlage dar.
Konstanze Kampfer, Langzeitexpertin im Kammerpartnerschaftsprojekt zwischen der IHK Region Stuttgart und der mosambikanischen Handelskammer, und Markus Geng, Student Medienmanagement an der Hochschule der Medien Stuttgart