Außenwirtschaft aktuell

Die Fabrik der Zukunft: Was deutsche KMU vom Silicon Valley lernen können.

Was für manche noch futuristisch klingt, ist für andere Realität: Smart Production, so ein greifbarer Begriff für die Zukunft der Industrie, meint schlicht die Vereinfachung von Prozessen durch die Vernetzung von Informationstechnologie, Künstlicher Intelligenz und Automatisierung. Das Silicon Valley ist einer der Vorreiter weltweit und kann deutschen Firmen viele Anregungen liefern.
Dampfkraft, Elektrizität und Digitalisierung haben die Industrie-Phasen der Vergangenheit revolutioniert, heute sind wir mitten in der vierten industriellen Revolution. Die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen mithilfe von Informations- und Kommunikations-technologie krempelt alle Aspekte der Produktion und des Vertriebs um, nicht nur die Fertigung. Zu Industrie 4.0 gehören Schlagworte wie Internet of Things (IoT), Cloud und Edge Computing und Künstliche Intelligenz (KI). All diese Technologien wirken sich längst auf die Industrie von heute aus und führen zu einem neuen Industrieverständnis.
Neue Anwendungen beinhalten Echtzeit-Transparenz in den Abläufen, KI und Datenanalyse, um die Entscheidungsfindung zu beschleunigen und den Weg für eine autonome Planung zu ebnen. Eine Fabrik der Zukunft zeichnet sich also durch eine weitreichende Digitalisierung aller Fertigungsverfahren, von der Fabrikhalle bis hin zu Produktdesign, Lieferkette, Produktion, Vertrieb und Verkauf aus. Die Vernetzung von Maschinen und die Anbindung von KI-Lösungen wird in den nächsten zehn Jahren nicht mehr wegzudenken sein. Intelligente Fertigungsprozesse sorgen für eine bessere Kommunikation zwischen den Systemen und arbeiten effizienter, was Kosten spart und für mehr Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit sorgt. Große globale Akteure wie Siemens, Intel und Tesla haben bereits solche Fabriken der Zukunft gebaut.

The Future of Manufacturing in Silicon Valley

Im Tech-Mekka Silicon Valley setzen Unternehmen solche Technologien bereits täglich ein, häufig implementiert in bestehende Systeme. Dabei sind sie nicht als zusätzlicher „Schnickschnack” gedacht, sondern setzen direkt an aktuelle Problemstellungen an, wie sie beispielsweise die weltweite Lieferketten-Krise ausgelöst hat. Deren Implikationen auf die gesamte Wirtschaft haben die höchste Inflationsrate seit 40 Jahren ausgelöst. Dass es keine langfristige Lösung sein kann, gestiegene Kosten an die Kunden weiterzugeben, ist klar. Die Situation erfordert neue Wege, die beschritten werden müssen, um auf lange Sicht erfolgreich zu sein. Es muss weiter in Produktivitäts- und Effizienzlösungen investiert werden, um das Ruder herumzureißen – und genau dabei kann Industrie 4.0 helfen.

Von den Playern des Silicon-Valley-Ökosystems lernen

Was bedeutet das für den deutschen Mittelstand? Was man sich vom Silicon Valley abschauen kann, ist vor allem dessen Innovationskultur: Aufgeschlossenheit, Risikobereitschaft und Experimentierfreude sind gerade in Krisenzeiten wichtig, denn innovative Unternehmen sind widerstandsfähiger und reagieren flexibler auf Veränderungen. Innovationen finden nicht in einer Blase statt. Das Silicon Valley ist erfolgreich, weil es als Ökosystem den Austausch unterschiedlicher Akteure enorm fördert. Diesen Spirit will die AHK USA – San Francisco nach Deutschland transportieren und bietet Programme an, mit deren Hilfe Unternehmen fit für die Zukunft werden können. Best Practives aus dem Silicon Valley, Hilfestellung bei der Entwicklung von neuen Lösungen, Informationen und Anregungen: Unternehmen erhalten im Valley Anstöße, um zu Hause eigene Innovationsprojekte aufsetzen zu können. Egal ob es sich darum handelt, neue Geschäftsfelder und Technologien in den Bereichen Künstliche Intelligenz zu finden, 3D-Druck, Prozessautomatisierung und Robotik zu entdecken oder Strategien aufzusetzen, die bei der digitalen Transformation des Produktionsprozesses helfen – ein Blick ins Silicon Valley kann die nötige Inspiration bieten.
Dazu dient unter anderem ein Workshop, bei dem durch Innovationsmethoden Fragestellungen für die Unternehmen identifiziert werden, die als Leitfaden bei den Gesprächen mit den Akteuren im Valley dienen. Durch begleitendes Mentoring wird das gelernte Wissen auf die eigene Situation angewendet und bei einem Workshop im Nachgang werden greifbare Meilensteine als Ziele festgelegt. Natürlich werden auch „Best Practises“ einbezogen – was machen Start-ups, Big Tech und die hiesige Forschung, das man auf die eigene Situation anwenden kann? Eine wichtige Fragestellung hierbei ist, wie man von der Inspiration und einem Lösungsansatz im Silicon Valley zur Umsetzung zurück im Firmenalltag in Deutschland die Brücke schlagen kann. Diese Phasen können eine Anleitung geben:

Phase 1: Vorüberlegung – Welche Ziele hat mein Unternehmen?

Teilnehmende Unternehmen haben die größten Erfolgschancen, wenn sie mit konkreten Zielen im Gepäck ein solches Innovationsprogramm antreten. Betrachten wir das Beispiel von Herstellern aus der Sanitärbranche. Für sie ist es wichtig zu wissen, wie disruptiv
die Entwicklungen in ihrem Marktumfeld sein werden und wie Investoren darauf blicken. Im Hinblick auf konkrete Lösungen stellt sich dann die Frage, wie das Geschäftsumfeld angepasst werden kann, um flexibler auf den Markt reagieren zu können. Obwohl es für den branchenübergreifenden Fachkräftemangel keine einfache Lösung gibt, lohnt es sich, zu evaluieren, wie das Berufsfeld in dieser Branche attraktiver gestaltet werden könnte und neue Ansätze bezüglich Arbeitszeit und Arbeitseinteilung einzubeziehen.
Aus Unternehmersicht gilt es unter anderem rechtliche, kommunikative, digitale und strategische Herausforderungen zu überwinden: Im Sales-Prozess kann die Kooperation mit Banken kritisch und durch rechtliche Verordnungen und die DSGVO kompliziert sein. Eine Online-Lösung, welche ermöglicht, dass der Verkauf direkt über den Kunden abgewickelt werden kann, wäre technisch vorstellbar, ist aber bisher in Deutschland nicht verbreitet. Des Weiteren gibt es im Bereich der Automatisierung bei der Erstellung und Betreuung von Verträgen enormes Potenzial. Im Sinne von Smart Metering und Smart Home Readiness werden erste Schritte gemacht, allerdings haben hier viele Unternehmen noch große Lücken. Strategisch wichtig wären Ansätze der Transformation von der Produktlösung hin zur Service-Lösung zu schaffen, beispielsweise weg von der Heizung als Produkt hin zu Wärme als Service.

Phase 2: Welche Handlungsfelder lassen sich daraus ableiten?

Geschwindigkeit der Digitalisierung, Preiserhöhungen, Lieferengpässe und Fachkräftemangel sind  branchenübergreifend Herausforderungen für alle Unternehmen. Um einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, ist der Abstand zum Tagesgeschäft hilfreich: Ein Paradigmenwechsel hin zum agilen Mindset kann dazu führen, dass man sich mit neuen digitalen Geschäftsmodellen auseinandersetzt. Neue Technologien breiten sich rasant aus, so etwa der schrittweise Einsatz von Robotern in Arbeitsprozessen. Dies kann dabei helfen, die Folgen des Fachkräftemangels zum Teil zu mildern. Darüber hinaus ist es wichtig, sich mit der Transformation der Arbeitswirklichkeit zu beschäftigen. Schlagworte wie New Work und Work-Life-Balance sind längst bekannt – aber trotzdem oft noch nicht im deutschen Berufsalltag angekommen. Viele Tech-Unternehmen aus dem Valley zeigen bei sogenannten Site-Visits, wie ein moderner Arbeitsplatz und zeitgemäße Führung aussehen kann. Für deutsche Unternehmen kann es relevant sein zu sehen, welchen Einfluss Gründerkultur und Agile Thinking hier haben und zu prüfen, welche Aspekte sich auf die Arbeitsprozesse und Firmenkultur in Deutschland übertragen lassen.

Phase 3: Best Practices – Wie kann es gelingen?

Die Firma DocuSign beispielsweise liefert mit ihren Lösungen zur interdisziplinären Digitalisierung des Kommunikations- und Management-Prozesses Ansätze, welche mit nach Deutschland transferiert werden können. Im Bereich der Produktion wiederum wird viel von digitalen Zwillingen und autonomem Fahren gesprochen. Ein Besuch beim Unternehmen Nvidia zeigt, wo die Trends hingehen und wie daraus praktische Lösungen entstehen können. Ein anderes Beispiel: Unternehmen im Sanitärbereich haben derzeit noch eine große Nachfrage und können sich auf die Steigerung der Produktivität konzentrieren. Allerdings werden die im Valley schon jetzt diskutierten nachhaltigen Lösungen, die beispielsweise Wasserstoff als Basis für Wärmespeicher nutzen, einen enormen Einfluss auf die in Zukunft gefragten Produkte haben. Wer sich frühzeitig mit diesen Trends auseinandersetzt, wird künftig einen klaren Wettbewerbsvorteil haben.

Interesse am Innovations-Katalysator Silicon Valley?

Im Silicon Valley bekommt man immer eine gute Portion Inspiration für Innovationen und die nötige Motivation, das Gesehene und Gelernte auch umzusetzen. Die Kombination aus greifbaren Anwendungsbeispielen und einem parallelen Mentoring, das einen Vor- und Nachbereitungs-Workshop einschließt, hilft bei der Projektumsetzung und vielleicht sogar ganz direkt dabei, die Fabrik von morgen zu bauen.
 Während Unternehmen Impulse für ihr Tagesgeschäft in Deutschland von einem Einblick ins Silicon Valley mitnehmen können, ist es wichtig, daraus konkrete Ziele und nachhaltige Handlungsschritte abzuleiten. Fassbaren Hürden wie dem Personalmangel kann mithilfe von Automatisierung entgegengewirkt werden – das wissen viele, aber manchmal fehlt es an praktischen Lösungen und ersten Ansätzen für die individuelle Situation. Angeregt durch konkrete Beispiele und vorgelebte Lösungen vor Ort, kann es Mut machen, neue Themen wie Mitarbeitermotivation offener zu denken. Die „kalifornische“ Herangehensweise, sich mehr inhaltlich als hierarchisch auszurichten, was sich auch positiv auf die Mitarbeitermotivation auswirkt. Aus einer fortgeschrittenen Digitalisierung und einem offenen Mindset, wie es im Silicon Valley vorzufinden ist, können sich zudem ertragreiche(re) Geschäftsmodelle entwickeln. Damit das klappt, bedarf es vor allem zweier Veränderungen: die Prozesse zu hinterfragen und für Neues und das Neu-Erfinden offen zu werden.
 Lisa Eschborn und Juliane Nandra, AHK USA – San Francisco