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Baden-Württemberg schlägt Brücke ins Baltikum

Sie stehen verstärkt im EU-Rampenlicht: Die drei Länder des Baltikums Estland, Lettland und Litauen. Grund sind die internationalen Sanktionen gegen Russland und Weißrussland als Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Diese haben drastische Auswirkungen auf den bilateralen Handel der baltischen Länder miteinander. Dennoch gehören alle drei zu den größten Verfechtern einer harten Sanktionspolitik. Zudem treiben sie die Diversifikation ihrer Energiebezugsquellen und die Harmonisierung ihrer Gas- und Stromleitungen mit den europäischen Netzen sowie den Ausbau der Windkraft- und Solarenergie voran. 
Die Wirtschaft indes wuchs bis 2021 kontinuierlich: Mit einem Zuwachs von 8,3 Prozent lag Estland 2021 an der Spitze, gefolgt von Litauen (5 Prozent) und Lettland (4,5 Prozent). Auch wenn die Länder nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1991 und dem EU-Beitritt 2004 ihre Handelsbeziehungen gen Westen ausgerichtet haben: Russland war bedeutender Handelspartner und die Sanktionen treffen hart. 

Der Ausblick

Das Baltikum hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass man sich an veränderte politische und ökonomische Bedingungen schnell anpassen kann. Nach wie vor sind die Voraussetzungen für eine stärkere Kooperation und für Investitionen exzellent: Niedrige Gewerbesteuern und freie Wirtschaftszonen locken. Dazu kommen die sich in allen Lebensbereichen durchsetzende Digitalisierung sowie neue Geschäftsmodelle und Innovationen. Mit der Marke e-Estonia und der papierlosen Abwicklung von Wahlen, mit elektronischen Rezepten und Blockchain- und Cybersecurity-Lösungen macht sich Estland längst international einen Namen. Auch Litauen und Lettland nutzen die Digitalisierung, besonders in der industriellen Fertigung und Logistik. Litauen hat es zudem geschafft, sich als Standort für Elektrokomponenten in der Automobilindustrie zu positionieren – nicht zuletzt durch hohe Investitionen aus Deutschland. 
Trotz Corona und Ukrainekrieg liegt das Wirtschaftswachstum der drei Länder seit Jahren über dem EU-Durchschnitt. Eine geringe Verschuldung und steigende Löhne sorgen für wachsenden Konsum. Alle drei Länder haben gut ausgebildete Arbeitskräfte. Litauen hat den höchsten Anteil an Absolventen technischer Studiengänge in der EU, eine unkomplizierte Verwaltung und IT-Infrastruktur. Im Ease-of-Doing-Business-Ranking von 2020 (Weltbank) liegen alle drei Länder unter den TOP 20 – vor Deutschland.
Die Ostseehäfen des Baltikums waren bisher wichtige Logistik- und Transitbrücke nach Russland und Weißrussland. Nun gibt es angesichts des gekappten Handels Pläne, die Infrastruktur für Energieerzeugung und Distribution auszubauen. Vorbild ist das Flüssiggas-Terminal “Independance” in der litauischen Hafenstadt Klaipeda.

Fachkräfte

Eine Herausforderung ist in allen drei Ländern der Fachkräftemangel, insbesondere in den großen Wirtschaftszentren rund um Vilnius, Riga und Talinn. Es lohnt daher der Blick auf andere regionale Industriestandorte, besonders in Litauen. Abgesehen von Vilnius und Kaunas sind hier die Hafenstädte Klaipeda, Siauliai, Panevezys und Alytus zu nennen. Litauens Ruf in der Hochschulbildung ist gut: Man verfügt über 41.500 Ingenieurspezialistinnen und -spezialisten und über 31.5000 Fachkräfte im IT-Bereich.

Geschäftschancen

Gute Geschäftschancen für deutsche Anbieter bieten sich im Zuge von Projekten aus dem Wiederaufbauplan der EU und aus dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE). Hohe Priorität hat der Ausbau der Off- und Onshore-Windenergie sowie der Photovoltaik (PV). Damit soll auch die Importabhängigkeit beim Strom verringert werden. Auch der Verkehrsbereich soll grüner werden: Ein Großteil der Investitionen fließt in Ladeinfrastruktur und den Ausbau des Öffentlichen Personen- und Nahverkehrs, weiterhin ist die Nachfrage nach energieeffizientem Bauen stark gestiegen. 
Thomas Bittner, IHK Region Stuttgart