Künstliche Intelligenz im Mittelstand: Europäische Impulse für die Praxis

Die industrielle Revolution hat einst die Produktionswelt grundlegend verändert – heute übernimmt Künstliche Intelligenz diese Rolle. Besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eröffnet sie Möglichkeiten, die, zur Überraschung Vieler, nicht mehr nur Großkonzernen vorbehalten sind: Prozesse beschleunigen, Kosten senken und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Wie das konkret gelingen kann, zeigte eine gemeinsame Webinarreihe der IHK Region Stuttgart und der KI-Allianz Baden-Württemberg. Expertinnen, Experten und Anwender aus fünf europäischen Ländern teilten dort ihre Erfahrungen – praxisnah, greifbar und anhand konkreter Use Cases.
Den Auftakt der Webinarreihe machte am 6. Juni 2025 das niederländische Data-Science- und KI-Beratungsunternehmen Datacation B.V.. In einem praxisnahen Beitrag zeigte das Unternehmen, wie Künstliche Intelligenz zur Prozessoptimierung in den Bereichen Logistik, Lagerhaltung und Routenplanung erfolgreich eingesetzt werden kann – und lieferte damit wertvolle Impulse aus der niederländischen Praxis.

Niederlande: Modellregion für KI-basierte Logistik

Kaum ein Land demonstriert die Kraft datengetriebener Logistik so eindrucksvoll wie die Niederlande. Zwischen Hafen Rotterdam, Flughafen Schiphol und dichtem Wasserstraßennetz arbeiten Unternehmen vermehrt mit KI-gestützter Lagerverwaltung und prädiktiver Instandhaltung. Laut der deutsch-niederländischen Handelskammer (AHK) gehen 65 Prozent der dortigen Unternehmen davon aus, dass KI viele logistische Aufgaben künftig übernehmen wird. 90 Prozent erwarten deutliche Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen, insbesondere bei der Routenplanung. Zudem wird mit einer nachhaltigeren Produktion und einer spürbaren Entlastung bei der Personalknappheit gerechnet.

Best Practices: KI im Tagesgeschäft

Der Data-Science Berater und KI-Logistikexperte Floris Bleuland van Oordt teilte im Webinar fünf echte Use Cases aus der Praxis.

Work Instructions Assistant: Automatisierte Arbeitsanweisungen

In vielen technischen Unternehmen müssen Arbeitsanweisungen regelmäßig aktualisiert und in mehreren Sprachen bereitgestellt werden. Besonders bei internationalen Teams führt dies zu einem hohen manuellen Aufwand und Problemen bei der Versionskontrolle. Übersetzungssoftware versteht oft den fachlichen Kontext nicht, die Vielzahl an Sprachversionen macht die Pflege zeitaufwendig, und unterschiedliche Versionen führen zu Inkonsistenzen.
Lösung: Ein KI-gestützter Assistent analysiert Änderungen automatisch, übersetzt kontextsensitiv und sorgt für konsistente Versionierung. So werden Arbeitsanweisungen effizienter gepflegt und Missverständnisse vermieden.

E-Mail-Handling im Vertrieb: Ordnung im Posteingang

Auch in Vertriebsabteilungen, die täglich eine Vielzahl an E-Mails erhalten – von Anfragen über Bestellungen bis hin zu Rückfragen – fehlt es oft an klarer Struktur. Ohne Priorisierung oder Standardprozesse gehen wichtige Nachrichten schnell unter, der Überblick über laufende Vorgänge fehlt, und Mitarbeitende verlieren Zeit bei der manuellen Suche nach Informationen.
Lösung: Ein intelligentes E-Mail-Management-System kategorisiert und priorisiert eingehende Nachrichten automatisch. So behalten Mitarbeitende den Überblick und können schneller auf relevante Anfragen reagieren.

Optimierung der Ressourcenplanung: Effiziente Einsatzplanung

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von KI ist die Ressourcenplanung. Ein Unternehmen mit über 100 Trainern in den Niederlanden und Belgien stand vor der Herausforderung, täglich effiziente Einsatzpläne zu erstellen. Die bisherige Planung basierte auf menschlicher Erfahrung und berücksichtigte nur die kürzeste Route. Weitere Faktoren wie Fachkompetenz oder Kundenpräferenzen blieben unberücksichtigt, und spontane Änderungen wie Krankheit ließen sich schwer integrieren.
Lösung: Ein KI-gestütztes Planungstool berücksichtigt neben der Route auch Qualifikationen, Fairness bei Arbeitszeiten und Kundenanforderungen. So entsteht ein dynamischer, anpassungsfähiger Einsatzplan.

Routenplanung: Mehr als nur der kürzeste Weg

Auch bei der Routenplanung für Außendienstmitarbeitende oder Lieferdienste stoßen klassische Systeme an ihre Grenzen. Spontane Änderungen wie Ausfälle oder neue Aufträge können nicht flexibel berücksichtigt werden, bestehende Software deckt nicht alle realen Anforderungen ab, und meist wird nur die kürzeste Strecke optimiert – nicht die gesamte Effizienz.
Lösung: Ein intelligentes Routenplanungssystem berücksichtigt Zeitfenster, Verkehrsbedingungen, Kundenprioritäten und Fahrzeugverfügbarkeit. Das Ergebnis: Weniger Fahrzeuge, kürzere Fahrzeiten und höhere Zufriedenheit.

Computer Vision: Bessere Einblicke und Bedarfsprognosen

Ein besonders anschauliches Beispiel für den Einsatz von Computer Vision kommt aus der Airline-Branche. Eine Fluggesellschaft möchte vermeiden, dass Passagiere an Bord leer ausgehen – bringt aber aktuell zu viel Verpflegung mit, was zu hohen Kosten und Abfall führt. Es fehlen präzise Daten über den tatsächlichen Verbrauch, der Lebensmittelabfall ist hoch, und es gibt keine Grundlage für datenbasierte Entscheidungen.
Lösung: Durch die Erhebung und Analyse von Verbrauchsdaten pro Flug kann die KI Prognosen erstellen, die eine bedarfsgerechte Beladung ermöglichen. Das reduziert Abfall und spart Kosten.

Erfolgsfaktoren für den Einstieg

Der erfolgreiche Einstieg in KI-Projekte beginnt mit einer klaren Zielsetzung: Unternehmen sollten zunächst analysieren, wo im Tagesgeschäft die größten Reibungsverluste entstehen und genau dort ansetzen. Ist das Ziel definiert, rückt die Datenqualität in den Fokus.
“Garbage in – Garbage out”. Wer KI gewinnbringend einsetzen will, braucht vor allem eines: verlässliche Daten. Denn ein Modell ist nur so stark wie die Daten, auf denen es basiert; und ohne eine saubere, klar strukturierte Datengrundlage entfalten selbst ausgefeilte Modelle keine praktische Wirkung.
Konsistente Formate, eindeutige Verantwortlichkeiten und regelmäßige Plausibilitätsprüfungen sind unverzichtbar. Sinnvoll ist es, klein zu starten und schnell zu lernen: Ein Proof of Concept in einem klar abgegrenzten Prozess liefert sichtbare Ergebnisse, schafft Akzeptanz und minimiert Risiken. Dabei sollten Mensch und Maschine stets Hand in Hand arbeiten. Während KI Geschwindigkeit und Mustererkennung beisteuert, bringen Mitarbeitende Erfahrung, Intuition und Kundenverständnis ein.
Abgerundet wird der Einstieg durch ein professionelles Change Management: Schulungen, offene Kommunikation und feste Ansprechpersonen nehmen Berührungsängste, fördern Vertrauen und ebnen den Weg für eine nachhaltige Nutzung der neuen Technologie.

Künstliche Intelligenz ist längst kein abstraktes Zukunftsthema mehr, sondern ein handfestes Werkzeug für mittelständische Unternehmen – vorausgesetzt, sie nutzen es strategisch und datenbasiert. Die europäischen Praxisbeispiele zeigen: Wer heute startet, kann schon morgen spürbare Effizienzsteigerungen und neue Chancen realisieren. Sei es in der Routenplanung, bei der E-Mail Administration oder bei der Bedarfsplanung. Wenn Sie mehr über einen der oben genannten Anwendungsfälle erfahren möchten, steht Ihnen Floris Bleuland van Oordt (f.bleuland.van.oordt@datacation.nl) gerne für weitere Informationen zur Verfügung.
Bei Ihren konkreten ersten Schritten begleiten und beraten Sie die Ansprechpersonen der KI-Allianz Baden-Württemberg.
Finden Sie unter folgendem Link außerdem die Angebote der IHK Region Stuttgart zum Einstieg in das Thema KI & Datenstrategie.
Wer sich bislang vor allem gefragt hat, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für den Einstieg in das Thema KI ist, erhält im Artikel „Wozu KI?“ von Dr. Jan Zipp (KI-Allianz Baden-Württemberg) wertvolle Impulse. Er zeigt praxisnah, warum es sich gerade jetzt lohnt, den konkreten Nutzen von KI für das eigene Unternehmen zu erkennen und aktiv zu gestalten.