Internationales Wirtschaftsrecht

Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen infolge des Brexit

Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen im Falle eines „No-Deal Brexit“

Mit Ablauf des 31. Januar 2020 hat das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen. Um die negativen Auswirkungen eines ungeregelten Brexit für Unternehmen und EU-Bürger zu vermeiden, galt für die Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2020 das Austrittsabkommen (AustrittsAbk).
Zwar haben das Vereinigte Königreich und die EU zum Ablauf der Übergangsfrist am 30. Dezember 2020 ein Handels- und Kooperationsabkommen geschlossen. Dieses Abkommen umfasst allerdings nicht den Bereich des Zivilprozessrechts, was einem sog. “harten Brexit” in diesem Teilbereich gleichkommt.
Dies hat zur Folge, dass das Recht der Europäischen Union seit dem 1. Januar 2021 nicht mehr für das Vereinigte Königreich gilt. Ebenso hat das Vereinigte Königreich die Mitgliedschaft in internationalen Abkommen verloren, die die EU mit Drittstaaten geschlossen hat. Es ist selbst zum Drittstaat geworden und müsste diesen Abkommen nun neu beitreten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bedeutet das, dass seit dem 1. Januar 2021 Urteile aus dem Vereinigten Königreich innerhalb der EU und damit in Deutschland nicht mehr  ohne weiteres unmittelbar vollstreckbar sind (und umgekehrt).
Gibt es also internationale Abkommen, die auch ohne die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs ein vereinfachtes Verfahren zur Vollstreckung ermöglichen oder muss für die Vollstreckung nun auf das autonome nationale Verfahrensrecht zurückgegriffen werden? Ausgehend von der aktuellen Rechtslage werden in diesem Beitrag die verfahrensrechtlichen Konsequenzen des Brexit dargestellt und schließlich praktische Lösungsansätze für Unternehmen zusammengefasst.

1. Bisherige Rechtslage – EuGVVO

Bis zum 31. Dezember 2020 regelte im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander die Verordnung vom 12. Dezember 2012 (EuGVVO) die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen. Danach sind Urteile anderer Mitgliedstaaten ohne weiteres und ohne besonderes Verfahren unmittelbar vollstreckbar. Die Gründe, aus denen die Vollstreckung in der Sache versagt werden kann, sind sehr eng begrenzt und die Vollstreckung ist damit fast genauso einfach wie bei inländischen Urteilen.
Für Verfahren, die bis zum Ende der Übergangsphase eingeleitet wurden, gilt das Europäische Verfahrensrecht bis zum Abschluss des Verfahrens weiter, auch wenn dieser erst nach dem Ende der Übergangsphase erfolgt.
Wie sich die Rechtslage für neue Verfahren seit dem 1. Januar 2021 darstellt, hängt vom weiteren Vorgehen des Vereinigten Königreichs ab.

2. Rechtssicherheit bei Gerichtsstandvereinbarungen zwischen Kaufleuten – Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Haager Übereinkommen

Etwas Rechtssicherheit bei internationalen Verträgen bietet – wie bisher – die vertragliche Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes – denn das Vereinigte Königreich ist bereits am 28. September 2020 mit Wirkung zum 01. Januar 2021 dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (HGÜ) beigetreten.
Das HGÜ, zu dessen Mitgliedern auch die EU selbst zählt, verpflichtet die Vertragsstaaten, Gerichtsstandvereinbarungen zwischen Kaufleuten anzuerkennen und die aufgrund solcher Vereinbarungen ergangenen Urteile in einem vereinfachten Verfahren ihrerseits anzuerkennen und zu vollstrecken.
Für Deutschland sind die Einzelheiten dieses Verfahrens im Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (AVAG) geregelt. Danach ordnet das Landgericht auf Antrag des Gläubigers die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für das ausländische Urteil an. Das geschieht ohne Anhörung des Schuldners. Ein gesondertes Urteil in Deutschland zur Anerkennung und Vollstreckbarkeit ist hier nicht erforderlich. Der Vorteil des rechtswirksamen Beitritts des Vereinigten Königreichs zum HGÜ liegt auf der Hand.

3. Erfordernis eines Exequatur-Verfahrens, wenn das HGÜ keine Anwendung findet

Soweit das HGÜ keine Anwendung findet, weil die Parteien keine Kaufleute sind oder keinen Gerichtsstand vereinbart haben, müssen Gläubiger, die britische Urteile in Deutschland vollstrecken wollen, fortan ein separates gerichtliches Verfahren durchlaufen. Ein deutsches Gericht muss hierfür zunächst die Zulässigkeit der Vollstreckung des britischen Urteils durch ein Vollstreckungsurteil gesondert feststellen (sog. Exequatur-Verfahren). Auch die Voraussetzungen der Vollstreckung sind im Detail restriktiver als bisher nach der EuGVVO.
Allerdings dürfte auch weiterhin der Grundsatz der liberalen Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile gelten. So könnte nach einem „No-Deal Brexit“ ein Abkommen vom 14. Juli 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen wieder zur Anwendung kommen. Danach sagen sich Deutschland und das Vereinigte Königreich (unter gewissen Voraussetzungen) die gegenseitige Vollstreckung von Urteilen zu.
Halten sich die britischen Gerichte daran, werden auch die deutschen Gerichte weiterhin britische Urteile (in einem Exequatur-Verfahren) für vollstreckbar erklären.
Das deutsch-britische Abkommen gilt allerdings nur für Urteile, die auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme lauten. Für jedes andere Urteil aus dem Vereinigten Königreich werden die deutschen Gerichte daher voraussichtlich die allgemeinen Regelungen der deutschen Zivilprozessordnung für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen (§ 328 ZPO) anwenden, die im Vergleich zu denen des Deutsch-Britischen Abkommens von 1960 heute moderner und differenzierter sind.
Auch diese sehen die Notwendigkeit eines Exequatur-Verfahrens vor. Wie auch unter dem Deutsch-Britischen Abkommen kann die Vollstreckung nicht beginnen, bevor nicht die Frage der Vollstreckbarkeit gerichtlich entschieden ist.
Für die Vollstreckung deutscher Gerichtsurteile im Vereinigten Königreich gelten seit dem 1. Januar 2021 dagegen die britischen Verfahrensvorschriften des Common Law.

4. Mögliche Rückkehr zum EuGVÜ (1968)

Zum Teil wird auch erwogen, dass das früher zwischen den Mitgliedstaaten der EU geltende Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (EuGVÜ) wieder zur Anwendung gelangen könnte. Dem stehen wegen der besonderen Nähe des EuGVÜ zum Unionsrecht jedoch sowohl inhaltliche als auch formale Bedenken gegenüber.

5. Vereinbarung eines Schiedsverfahrens

Vom Brexit unberührt bleibt die Möglichkeit, bei internationalen Verträgen anstelle einer Gerichtsstandvereinbarung ein Schiedsgerichtsverfahren zu vereinbaren. Grundsätzlich eignen sich Schiedsvereinbarungen für den internationalen Rechtsverkehr besser als Gerichtsstandklauseln, denn auch eine für die Partei günstigste Gerichtsentscheidung nützt dieser am Ende wenig, wenn die Vollstreckung der Entscheidung scheitert oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand bewältigt werden kann.
Bei Schiedsgerichtsurteilen ist dies anders. Hier richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedsgerichtsurteile nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (New York-Konvention), welches inzwischen von 157 Staaten ratifiziert wurde, darunter auch Deutschland und das Vereinigte Königreich. Hieran wird sich auch durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nichts ändern, sodass weitgehend unberührt bleiben. Als zukünftiger Schiedsort eignen sich alternativ zum Schiedsort London beispielsweis Deutschland, Österreich oder die Schweiz gleichermaßen.
Vertragsparteien sollten sich aber auch hier bewusst sein, dass nach Ablauf der Übergangsphase Schiedsgerichtsverfahren im Vereinigten Königreich wieder durch sogenannte „anti-suit-injunctions“ abgesichert werden können.
„Anti-suit-injunctions“ sind Unterlassungsverfügungen der Gerichte in Staaten mit Common Law, wie dem Vereinigten Königreich, mit dem Ziel, Verfahren in anderen Staaten zu unterbinden. Diese Unterlassungsverfügungen richten sich nicht gegen das ausländische Gericht selbst, sondern gegen die klägerische Partei, um deren Gerichtsverfahren im Ausland zu unterbinden. Zwar hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass solche Unterlassungsverfügungen mit der EuGVVO nicht zu vereinbaren sind. Da die EuGVVO nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU für dieses aber nicht mehr gelten würde, könnte nach dem Brexit ein Beklagter sowohl die Einrede der Nichtzuständigkeit des ordentlichen Gerichts erheben als auch mit einer „anti-suit-injunction“ der klägerischen Partei eine Unterlassungsverfügung „zukommen“ lassen mit dem Ziel, die Klage im Ausland zurückzunehmen.

6. Fazit und praktische Erwägungen

Trotz des zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Handels- und Kooperationsabkommens sind seit dem 1. Januar 2021 Urteile britischer Gerichte in Deutschland und umgekehrt nicht mehr unmittelbar vollstreckbar. Aus praktischer Sicht sollten Unternehmen, die Kaufleute im Sinne des HGÜ sind, daher den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung erwägen. Dies stellt die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen zumindest nach dem HGÜ sicher. Voraussetzung ist allerdings, dass der gewählte Gerichtsstand als „ausschließlicher Gerichtsstand” vereinbart wurde. Wenn diese Formulierung nicht enthalten ist, findet das HGÜ keine Anwendung.
Alternativ lassen sich in internationalen Verträgen mit britischen Geschäftspartnern Schiedsgerichtsvereinbarungen in Betracht ziehen. Die relativ einfache Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen nach der New York-Konvention wird vom Brexit nicht berührt. Insofern lohnt es sich zu erwägen, bestehende Verträge, sofern dies möglich ist, dahingehend neu zu verhandeln.
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Einrichtung des Commercial Court zum 1. November 2020 an den Standorten Stuttgart und Mannheim. Ziel ist, dass größere Wirtschaftsstreitigkeiten in Deutschland wieder zunehmend vor staatlichen Zivilgerichten ausgetragen werden. Das jeweilige Gericht ist auf die Durchführung komplexer Wirtschaftsstreitigkeiten ausgerichtet. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, das Verfahren in weiten Teilen auf Englisch zu führen, sodass auch ein internationaler Sachbezug des Rechtsstreits im Verfahren leichter gehandhabt werden kann und die baden-württembergische Justiz eine Alternative zu ausländischen Gerichten oder auch zur privaten Schiedsgerichtsbarkeit darstellt.