Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen infolge des Brexit
- Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen
- 1. Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen
- 2. Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen
- 3. Erfordernis eines Exequatur-Verfahrens, wenn das HGÜ und HAVÜ keine Anwendung finden
- 4. Keine Rückkehr zum EuGVÜ (1968)
- 5. Vereinbarung eines Schiedsverfahrens
- 6. Fazit und praktische Erwägungen
Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen
Mit Ablauf des 31. Januar 2020 hat das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen.
Zwar haben das Vereinigte Königreich und die EU ein Handels- und Kooperationsabkommen geschlossen. Dieses Abkommen umfasst allerdings nicht den Bereich des Zivilprozessrechts, was einem sog. “harten Brexit” in diesem Teilbereich gleichkommt.
Dies hat zur Folge, dass das Recht der Europäischen Union seit dem 1. Januar 2021 nicht mehr für das Vereinigte Königreich gilt. Ebenso hat das Vereinigte Königreich die Mitgliedschaft in internationalen Abkommen verloren, die die EU mit Drittstaaten geschlossen hat. Es ist selbst zum Drittstaat geworden und musste diesen Abkommen neu beitreten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bedeutet das, dass Urteile aus dem Vereinigten Königreich innerhalb der EU und damit in Deutschland nicht ohne weiteres unmittelbar vollstreckbar sind (und umgekehrt).
Gibt es also internationale Abkommen, die auch ohne die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs ein vereinfachtes Verfahren zur Vollstreckung ermöglichen oder muss für die Vollstreckung nun auf das autonome nationale Verfahrensrecht zurückgegriffen werden? Ausgehend von der aktuellen Rechtslage werden in diesem Beitrag die verfahrensrechtlichen Konsequenzen des Brexits dargestellt und schließlich praktische Lösungsansätze für Unternehmen zusammengefasst.
1. Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen
Bei internationalen Verträgen bietet die vertragliche Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes zwischen Kaufleuten Rechtssicherheit – denn das Vereinigte Königreich ist mit Wirkung zum 01. Januar 2021 dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (HGÜ) beigetreten.
Das HGÜ, zu dessen Mitgliedern auch die EU selbst zählt, verpflichtet die Vertragsstaaten, Gerichtsstandvereinbarungen zwischen Kaufleuten anzuerkennen und die aufgrund solcher Vereinbarungen ergangenen Urteile in einem vereinfachten Verfahren ihrerseits anzuerkennen und zu vollstrecken.
Für Deutschland sind die Einzelheiten dieses Verfahrens im Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (AVAG) geregelt. Danach ordnet das Landgericht auf Antrag der Gläubigerin oder des Gläubigers die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für das ausländische Urteil an. Das geschieht ohne Anhörung der Schuldnerin oder des Schuldners. Ein gesondertes Urteil in Deutschland zur Anerkennung und Vollstreckbarkeit ist hier nicht erforderlich. Der Vorteil des rechtswirksamen Beitritts des Vereinigten Königreichs zum HGÜ liegt auf der Hand.
2. Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen
Das Vereinigte Königreich ist zudem mit Wirkung zum 1. Juli 2025 zum Haager Übereinkommen vom 2. Juli 2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen (HAVÜ) beigetreten. Auch für die Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme von Dänemark) beansprucht das Übereinkommen Geltung. Das HAVÜ erleichtert die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen zwischen den Vertragsstaaten in Zivil- und Handelssachen. Während das HGÜ bei Vorliegen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung gilt, findet das HAVÜ Anwendung, wenn eine asymmetrische oder fakultative Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt. Es greift auch bei Nichtvorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung. Wie beim HGÜ gelten hier die deutschen Ausführungsbestimmungen im AVAG.
Dabei sind vor allem das allgemeine Vertragsrecht und außervertragliche Auseinandersetzungen vom sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ umfasst. Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind Steuer- und Zollrecht. Zu beachten sind außerdem die in Art. 2 HAVÜ genannten Ausnahmen, in denen das HAVÜ nicht greift. Es gilt insbesondere nicht für das Insolvenzrecht, geistiges Eigentum und Teile des Kartellrechts.
3. Erfordernis eines Exequatur-Verfahrens, wenn das HGÜ und HAVÜ keine Anwendung finden
Soweit das HGÜ und HAVÜ keine Anwendung finden, müssen Gläubigerinnen und Gläubiger, die britische Urteile in Deutschland vollstrecken wollen, ein separates gerichtliches Verfahren durchlaufen. Durch den Beitritt des Vereinigten Königreichs zum HAVÜ, dürfte dies aber mittlerweile eher die Ausnahme darstellen. Ein deutsches Gericht muss hierfür zunächst die Zulässigkeit der Vollstreckung des britischen Urteils durch ein Vollstreckungsurteil gesondert feststellen (sog. Exequatur-Verfahren). Auch die Voraussetzungen der Vollstreckung sind im Detail restriktiver als nach der EuGVVO.
Allerdings dürfte auch weiterhin der Grundsatz der liberalen Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile gelten. So könnte ein Abkommen vom 14. Juli 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen wieder zur Anwendung kommen. Danach sagen sich Deutschland und das Vereinigte Königreich (unter gewissen Voraussetzungen) die gegenseitige Vollstreckung von Urteilen zu.
Halten sich die britischen Gerichte daran, werden auch die deutschen Gerichte weiterhin britische Urteile (in einem Exequatur-Verfahren) für vollstreckbar erklären.
Das deutsch-britische Abkommen gilt allerdings nur für Urteile, die auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme lauten. Für jedes andere Urteil aus dem Vereinigten Königreich werden die deutschen Gerichte daher voraussichtlich die allgemeinen Regelungen der deutschen Zivilprozessordnung für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen (§ 328 ZPO) anwenden, die im Vergleich zu denen des Deutsch-Britischen Abkommens von 1960 heute moderner und differenzierter sind.
Auch diese sehen die Notwendigkeit eines Exequatur-Verfahrens vor. Wie auch unter dem Deutsch-Britischen Abkommen kann die Vollstreckung nicht beginnen, bevor nicht die Frage der Vollstreckbarkeit gerichtlich entschieden ist. Für die Vollstreckung deutscher Gerichtsurteile im Vereinigten Königreich gelten dagegen die britischen Verfahrensvorschriften des Common Law.
4. Keine Rückkehr zum EuGVÜ (1968)
Es herrscht Einvernehmen darüber, dass das früher zwischen den Mitgliedstaaten der EU geltende Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (EuGVÜ) nicht wieder zur gelangt. Denn dem stehen wegen der besonderen Nähe des EuGVÜ zum Unionsrecht jedoch sowohl inhaltliche als auch formale Bedenken gegenüber.
5. Vereinbarung eines Schiedsverfahrens
Vom Brexit unberührt bleibt die Möglichkeit, bei internationalen Verträgen anstelle einer Gerichtsstandvereinbarung ein Schiedsgerichtsverfahren zu vereinbaren. Grundsätzlich eignen sich Schiedsvereinbarungen für den internationalen Rechtsverkehr besser als Gerichtsstandklauseln, denn auch eine für die Partei günstigste Gerichtsentscheidung nützt dieser am Ende wenig, wenn die Vollstreckung der Entscheidung scheitert oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand bewältigt werden kann.
Bei Schiedsgerichtsurteilen ist dies anders. Hier richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedsgerichtsurteile nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (New York-Konvention), welches inzwischen von 157 Staaten ratifiziert wurde, darunter auch Deutschland und das Vereinigte Königreich. Hieran wird sich auch durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nichts ändern, sodass weitgehend unberührt bleiben. Als zukünftiger Schiedsort eignen sich alternativ zum Schiedsort London beispielsweis Deutschland, Österreich oder die Schweiz gleichermaßen.
Vertragsparteien sollten sich aber auch hier bewusst sein, dass nach Ablauf der Übergangsphase Schiedsgerichtsverfahren im Vereinigten Königreich wieder durch sogenannte „anti-suit-injunctions“ abgesichert werden können.
„Anti-suit-injunctions“ sind Unterlassungsverfügungen der Gerichte in Staaten mit Common Law, wie dem Vereinigten Königreich, mit dem Ziel, Verfahren in anderen Staaten zu unterbinden. Diese Unterlassungsverfügungen richten sich nicht gegen das ausländische Gericht selbst, sondern gegen die klägerische Partei, um deren Gerichtsverfahren im Ausland zu unterbinden. Zwar hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass solche Unterlassungsverfügungen mit der EuGVVO nicht zu vereinbaren sind. Da die EuGVVO nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU für dieses aber nicht mehr gelten würde, könnte nach dem Brexit ein Beklagter oder eine Beklagte sowohl die Einrede der Nichtzuständigkeit des ordentlichen Gerichts erheben als auch mit einer „anti-suit-injunction“ der klägerischen Partei eine Unterlassungsverfügung „zukommen“ lassen mit dem Ziel, die Klage im Ausland zurückzunehmen.
6. Fazit und praktische Erwägungen
Trotz des zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Handels- und Kooperationsabkommens sind Urteile britischer Gerichte in Deutschland und umgekehrt nicht unmittelbar vollstreckbar. Aus praktischer Sicht sollten Unternehmen, die Kaufleute im Sinne des HGÜ sind, daher den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung erwägen. Dies stellt die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen zumindest nach dem HGÜ sicher. Voraussetzung ist allerdings, dass der gewählte Gerichtsstand als „ausschließlicher Gerichtsstand” vereinbart wurde. Wenn diese Formulierung nicht enthalten ist, findet das HGÜ keine Anwendung.
Das Treffen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ist jedoch nicht unbedingt für Rechtssicherheit zwingend. Denn bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung greift in der Regel das HAVÜ. Das HAVÜ sorgt dann wie das HGÜ für eine vereinfachte Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Urteilen nach den Regeln des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich. Dank des HAVÜ ist ebenso eine fakultative oder asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung möglich. Hier sind aber stets die Ausnahmen genau im Blick zu behalten, in denen das HAVÜ keine Anwendung findet.
Alternativ lassen sich in internationalen Verträgen mit britischen Geschäftspartnern Schiedsgerichtsvereinbarungen in Betracht ziehen. Die relativ einfache Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen nach der New York-Konvention wird vom Brexit nicht berührt. Insofern lohnt es sich zu erwägen, bestehende Verträge, sofern dies möglich ist, dahingehend neu zu verhandeln.
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Einrichtung des Commercial Court an den Standorten Stuttgart und Mannheim. Ziel ist, dass größere Wirtschaftsstreitigkeiten in Deutschland wieder zunehmend vor staatlichen Zivilgerichten ausgetragen werden. Das jeweilige Gericht ist auf die Durchführung komplexer Wirtschaftsstreitigkeiten ausgerichtet. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, das Verfahren in weiten Teilen auf Englisch zu führen, sodass auch ein internationaler Sachbezug des Rechtsstreits im Verfahren leichter gehandhabt werden kann und die baden-württembergische Justiz eine Alternative zu ausländischen Gerichten oder auch zur privaten Schiedsgerichtsbarkeit darstellt.
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