Nachteilsausgleich

Nachteilsausgleich bei Prüfungen

Was ist ein Nachteilsausgleich?

Bei der Durchführung der Prüfung sollen die besonderen Verhältnisse für Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden. Die Art der Behinderung ist mit dem Antrag auf Zulassung zur Prüfung nachzuweisen (§ 16 Prüfungsordnung für die Durchführung von Abschluss- und Umschulungsprüfungen, § 15 Prüfungsordnung für die Durchführung von Fortbildungs- und AEVO-Prüfungen der IHK Region Stuttgart).
Regelungen nach den §§ 9 und 47 BBiG sollen die besonderen Verhältnisse behinderter Menschen berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die zeitliche und sachliche Gliederung der Ausbildung, die Dauer von Prüfungszeiten, die Zulassung von Hilfsmitteln und die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen Dritter wie Gebärdensprachdolmetscher für hörbehinderte Menschen (§ 65 Abs. 1 BBiG).

Wie kann ein Nachteilsausgleich in Prüfungen aussehen?

Orientierung gibt die Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB)
Technische Hilfsmittel
zum Beispiel: Lesehilfen, Sprachcomputer, Greifzange für Maschinen
Besondere Gestaltung der Prüfung
zum Beispiel: Zeitverlängerung, angemessene Pausen, Änderung der Prüfungsformen, zusätzliche Erläuterung der Prüfungsaufgaben, Verwendung großer Schriftbilder
Einsatz von Hilfspersonen
zum Beispiel “Sehende Hilfen” zum Vorlesen oder Erklären von Zeichnungen, Gebärdensprachdolmetscher, Einsatz von Vertrauenspersonen

Wer kann einen Antrag auf Nachteilsausgleich stellen?

Prüflinge mit Behinderung, also einer erheblichen und dauerhaften (länger als sechs Monate) Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, die dazu führt, dass die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Keine Behinderung liegt daher bei - auch länger dauernden - Verletzungen wie zum Beispiel Knochenbrüchen, Beeinträchtigungen nach einer Operation, Prüfungsangst oder Migräne sowie anderer akuter Prüfungsunfähigkeiten bzw. vorübergehend eingeschränkter Prüfungsunfähigkeit vor.
In diesen Fällen ist der Prüfling nicht dauerhaft beeinträchtigt. Nach Wiederherstellung der Prüfungsfähigkeit kenn ein neuer Prüfungstermin wahrgenommen werden.

Welche Beeinträchtigungen können ausgeglichen werden?

Ein Nachteilsausgleich wird gewährt, wenn das Leiden die Leistungsfähigkeit nicht berührt, also die abzuprüfende Kompetenz nicht betroffen ist, sondern nur der Nachweis bzw. die Darstellung der vorhandenen Befähigung erschwert ist.
Darunter fallen beispielsweise
  1. Sehstörungen,
  2. Behinderungen beim Schreiben oder
  3. Bewegungseinschränkungen (Lähmungen),
die bereits in der Ausbildung und später im Berufsleben durch Hilfsmittel ausgeglichen werden können. Diese werden auch in der Prüfung durch Hilfsmittel ausgeglichen.
Nicht ausgeglichen werden können Leiden, die die individuelle Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, weil gerade die Leistungsfähigkeit abgeprüft werden soll. Es kommt dabei auf den konkreten Beruf und die konkrete Prüfung an. Prüfungsniveau und Prüfungsinhalte dürfen in keinem Fall verändert werden.
Zu den abzuprüfenden Kompetenzen gehört beispielsweise, dass eine bestimmte Prüfungsleistung innerhalb eines bestimmten Zeitbudgets erbracht wird.
Das heißt, ein Nachteilsausgleich kann nur gewährt werden, wenn der Prüfling die Leistungsfähigkeit besitzt, das Qualifikationsziel der Prüfung zu erreichen und diese Kompetenzen wegen des Leidens lediglich nicht darstellen kann.
Eine dauerhafte Einschränkung der persönlichen Leistungsfähigkeit oder eine Leistungsschwäche können nicht ausgeglichen werden.

ADHS/ADS und psychische Erkrankungen

Darunter fallen viele chronische Erkrankungen wie psychische Erkrankungen und deren psychosomatische Auswirkungen. Auch ADHS/ADS, Konzentrationsschwierigkeiten oder Depressionen können nicht durch Nachteilsausgleich kompensiert werden.

Legasthenie

Legasthenie wird in Abhängigkeit vom Berufsbild ausgeglichen. Ein Prüfling mit erheblicher Legasthenie wird das Handlungsziel für ein Berufsbild, bei dem die Rechtsschreibung Inhalt der Abschlussprüfung ist, (z.B. Kaufleute für Büromanagement) nur schwer erreichen können. Legasthenie wird in einer solchen Prüfung nicht ausgeglichen.
Sofern die Rechtschreibung in einem Beruf hingegen nicht zu den abzuprüfenden Inhalten gehört, wird Legasthenie ausgeglichen.
Dadurch wird sichergestellt, dass die Prüfungs-Bedingungen für einen Menschen mit Behinderung nicht schlechter und nicht besser sind als die Prüfungs-Bedingungen der anderen Prüfungsteilnehmer.

Wie ist der Antrag zu stellen?

Der Antrag auf Nachteilsausgleich ist mit dem Antrag auf Zulassung (Anmeldung) zur Prüfung durch Ankreuzen auf der Prüfungsanmeldung zu stellen. Zusammen mit der Prüfungsanmeldung ist die Behinderung durch Vorlage geeigneter Unterlagen nachzuweisen.
Was passiert, wenn Sie den Antrag mitsamt den vollständigen Unterlagen nicht mit der Anmeldung einreichen, sondern erst später?
Die IHK bemüht sich nach Kräften auch bei verspätet eingereichten Nachweisen den Nachteilsausgleich organisatorisch zu realisieren. Dies ist bei nur wenige Wochen vor der Prüfung eingereichten Anträgen meist nicht möglich. In diesem Fall müssen wir Sie an den nächsten Prüfungstermin verweisen.

Welche Nachweise müssen Sie vorlegen?

Eine aktuelle Bescheinigung des behandelnden Facharztes (fachärztliches Attest), der
  1. konkret die Beeinträchtigung in Bezug zur konkreten Prüfung zu entnehmen ist sowie
  2. wie der Nachteilsausgleich in der jeweiligen Prüfung hergestellt werden kann.
Zu 1. Der Facharzt muss die Beeinträchtigungen für jeden beantragten Nachteilsausgleich genau beschreiben (möglichst "quantifiziert"),
  • z. B. Verminderung der visuellen Wahrnehmung um …%,
  • Beeinträchtigung der Motorik der Hände beim Schreiben
  • Verminderung der Lese- und Schreibgeschwindigkeit um …%,
  • eingeschränkte Beweglichkeit der Gliedmaßen
  • Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates, usw.
nicht erforderlich ist die Nennung der Diagnose
nicht ausreichend ist „wegen einer Schmerzbehandlung“, „infolge einer Coronaerkrankung“, „wegen AD(H)S verminderte Konzentrationsfähigkeit“ u.a.
Die Kopie des Schwerbehinderten-Ausweises reicht als Nachweis nur, wenn Sie einen Berufsausbildungsvertrag für behinderte Menschen haben.
Das Attest muss den aktuellen Gesundheitszustand beschreiben, und sollte daher nicht älter als 6 Monate sein.
Zu 2. Wie soll der Nachteilsausgleich konkret aussehen?
Der Arzt soll
  • konkret und
  • für jedes Prüfungsfach bzw jeden Prüfungsteil einzeln beschreiben,
wie der Nachteilsausgleich erfolgen soll, z. B. Nicht-Wertung von Rechtschreibfehlern, Verlängerung der Prüfungszeit oder Einsatz technischer Hilfsmittel.
Nicht ausreichend ist zum Beispiel:
"Für Beruf A wird eine angemessene Zeitverlängerung beantragt".
Erforderlich ist:
Für Beruf A im schriftlichen Fach 1 wird eine Zeitverlängerung von … Minuten beantragt.
Für Fach 2 wird eine Zeitverlängerung von … Minuten beantragt.
Für Fach 3 wird eine Zeitverlängerung von … Minuten beantragt.
Für die mündliche Prüfung wird eine Zeitverlängerung von … Minuten beantragt.
Für die praktische Prüfung wird als Hilfsmittel ... beantragt.
 
Zudem ist durch weitere Stellungnahmen das Erfordernis eines Nachteilsausgleiches zu belegen:
Mindestens 1 Stellungnahme folgender Stellen (es sind auch mehrere Stellungnahmen möglich)
  • des Ausbildungsbetriebs oder des Bildungsträgers
  • der Berufsschule
  • sonstige Stellen, z. B. eines sonderpädagogischen Betreuers
Die Stellungnahme/-n soll/-en die Nachteilsausgleiche konkret begründen. Außerdem nützlich:
  • die Erfahrungen aus der Ausbildung beschreiben
  • die Nachteilsausgleiche beschreiben, die im Betrieb und in der Schule gewährt wurden
  • beschreiben, wie im Berufsleben (insbes. bei Weiterbildungsprüfungen) der Nachteil ausgeglichen wird
Die Nachweise sind vom Prüfling mit der Prüfungsanmeldung unaufgefordert einzureichen, damit die IHK die erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen treffen kann.
Haben Sie Fragen zum Ablauf der Prüfung oder zu den Aufgabenstellungen? Dann sprechen Sie uns an, bevor Sie den Antrag bei uns einreichen. Wir helfen Ihnen gern weiter.
Die zuständige Stelle entscheidet auf Grundlage fachärztlicher Stellungnahmen sowie der weiteren Stellungnahmen über die Gewährung eines Nachteilsausgleichs.

Warum muss für einen Nachteilsausgleich ein Nachweis eingereicht werden?

Der Nachweis über die Behinderung ist für die zuständige Stelle die Legitimationsgrundlage, die Prüfungsbedingungen im Einzelfall anpassen zu dürfen und dient der Ermittlung, inwieweit ein Ausgleich bzw. welcher Ausgleich erforderlich ist.
Ein wesentlicher prüfungsrechtlicher Grundsatz ist die aus Art. 3 Grundgesetz resultierende Gleichbehandlung aller Prüflinge.
Dieser Grundsatz fordert, dass die Prüfungsanforderungen und –bedingungen für alle Prüflinge vergleichbar sein müssen. Einheitliche Prüfungsbedingungen (ohne Nachteilsausgleich) würden jedoch jene Prüflinge benachteiligen, die ihre wahren Kenntnisse und Fähigkeiten wegen einer Behinderung unter den „normalen“ Bedingungen nicht oder nur eingeschränkt nachweisen können.
Dies ist der Grund, weshalb durch die Gewähr von Nachteilsausgleich für alle Prüflinge vergleichbare Startbedingungen hergestellt werden. Durch die Anpassung der Prüfungsbedingungen darf der behinderungsbedingte Nachteil aber nicht überkompensiert werden, denn auch dann würde der Gleichheitsgrundsatz verletzt.