Sozialvorschriften

„Intelligente“ Fahrtenschreiber seit 15. Juni 2019

Vorabanmerkung: Durch das am 31. Juli 2020 veröffentlichte Mobilitätspaket I ergeben sich Änderungen rund um die EU-Sozialvorschriften und die zur Aufzeichnung verwendeten Fahrtenschreiber. Details zu den ab 21. August 2020 geltenden Neuerungen und auch den in den Jahren 2022 ff. sukzessive geltenden Änderungen entnehmen Sie bitte unserem Artikel zum Mobilitätspaket I.
Durch die Durchführungsverordnung (EU) 2016/799 (auch als „Anhang IC“ bezeichnet) werden die technischen Spezifikationen der „intelligenten“ oder „smarten“ Fahrtenschreiber festgelegt, die seit Mitte Juni 2019 in Neufahrzeuge eingebaut werden müssen. Im Weiteren werden diese Fahrtenschreiber als jene der zweiten Generation bezeichnet. Die seit Einführung der digitalen Fahrtenschreiber eingebauten Geräte, die auf dem Anhang IB der VO (EWG) Nr. 3821/85 basieren (VDO/Continental-Geräte bis Release-Version 3.0, Stoneridge-Geräte bis Release 7.6, Intellic bis EFAS 4.X), stellen somit die erste Generation dar (unabhängig davon, dass auch diese Geräte über die Jahre hinweg weiterentwickelt wurden). Unserer Kenntnis nach haben VDO, Stoneridge und Intellic Fahrtenschreiber der 2. Generation auf den Markt gebracht.
Interessierte Leser finden auf der Website der Generaldirektion Mobilität und Transport der EU-Kommission eine erläuternde „tachograph guideline”, die rechtlich unverbindliche Hinweise zur Entwicklung des EU-Fahrtenschreibers enthält und zudem den Versuch unternimmt, die Frage zu beantworten, welches Fahrzeug mit welchem Fahrtenschreiber auszustatten ist.

Welche wesentlichen Neuerungen bringen die Fahrtenschreiber der 2. Generation mit sich?

Neue Fahrtenschreiberkarten

Da die Fahrtenschreiber der 2. Generation zusätzliche Informationen verarbeiten und auch speichern müssen, bedarf es neuer Fahrtenschreiberkarten. Mit Ausnahme der Werkstattkarten (zur Aktivierung und Kalibrierung eines Fahrtenschreibers der 2. Generation ist eine Werkstattkarte der 2. Generation zwingend notwendig) sind diese auf- und abwärtskompatibel - eine Fahrer, Unternehmens- oder Kontrollkarte der 1. Generation funktioniert also auch in einem Fahrtenschreiber der 2. Generation (und vice versa), bei der Werkstattkarte besteht lediglich eine Abwärtskompatibilität. „Funktionieren“ bedeutet dabei jedoch, dass Einschränkungen gegeben sind. So kann beispielsweise auf einer alten Fahrerkarte mangels vorhandener „Datenfelder“ keine Speicherung von Ortspunkten (GNSS-Koordinaten, siehe Folgepunkt) erfolgen sondern weiterhin nur die Länderkennung hinterlegt werden. Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung, eine gültige Fahrerkarte der 1. Generation vor Ablauf durch eine Fahrerkarte der 2. Generation zu ersetzen. Ein vorzeitiger Ersatz wird im Einzelfall lediglich bei Werkstattkarten notwendig sein.

Satellitenbasierte Positionsbestimmung und Ortspunktspeicherung

Die neuen Fahrtenschreiber verfügen über eine interne oder externe GNSS-Antenne und müssen bzw. können, wenn eine Fahrerkarte der zweiten Generation im Fahrteschreiber steckt, Positionsdaten im Massenspeicher und auf der Fahrerkarte hinterlegen. Die Ortspunkte werden jedoch beim Stecken und beim Entnehmen der Fahrerkarte nicht vollautomatisch hinterlegt (im Sinne der Rechtsgrundlage sind das die Zeitpunkte des Arbeitsbeginns und des Arbeitsendes, auch wenn das arbeitszeitrechtlich natürlich in den seltensten Fällen stimmt), sondern landen nur dann im Speicher, wenn der Fahrer manuell die Eingabe des Landes (wie auch bei den älteren Geräten) vornimmt.  Die Ortspunkte, die nach jeweils drei Stunden kumulierter Lenkzeit gespeichert werden, beziehen sich nicht auf die Lenkzeit des Fahrers sondern auf die Lenkstunden, die mit dem Fahrzeug zurückgelegt wurden. Wird eine Fahrerkarte Generation 1 in einem Fahrtenschreiber Generation 2 verwendet, wird weiterhin nur „das Land“ gespeichert. Gleiches gilt, wenn eine Fahrerkarte Generation 2 in einem Fahrteschreiber Generation 1 steckt.

DSRC – Dedicated Short Range Communication

Sofern die Kontrollorgane über entsprechendes Equipment verfügen, können diverse „fahrzeugbezogene“ Informationen per Fernabfrage ausgelesen werden. Wobei Fernabfrage nicht die richtige Begrifflichkeit ist. Vielmehr können die Daten auf einige wenige Meter Entfernung übertragen werden, also im Vorbeifahren oder wenn ein mobiler Kontrolltrupp „neben“ dem LKW/KOM herfährt. Unserer Kenntnis nach kommt die Technik bereits im Kontext der LKW-Maut-Kontrollen zum Einsatz. Bei der Datenabfrage geht es explizit nicht um personenbezogene Daten wie Lenk-, Arbeits-, Pausen- oder Ruhezeiten des Fahrers, die generell nicht übertragen werden dürfen, sondern um Daten, die auf eine missbräuchliche Verwendung oder eine Manipulation am Fahrtenschreiber hindeuten. Folgende Datensätze dürfen abgefragt werden (vgl. Artikel 9 Absatz 4 der VO (EU) Nr. 165/2014):
  • letzter Versuch einer Sicherheitsverletzung
  • längste Unterbrechung der Stromversorgung
  • Sensorstörung
  • Datenfehler Weg und Geschwindigkeit
  • Datenkonflikt Fahrzeugbewegung
  • Fahren ohne gültige Karte
  • Einstecken der Karte während des Lenkens
  • Zeiteinstellungsdaten
  • Kalibrierungsdaten einschließlich des Datums der zwei letzten Kalibrierungen
  • amtliches Kennzeichen des Fahrzeugs
  • vom Fahrtenschreiber aufgezeichnete Geschwindigkeit
Intention des Systems ist es, Kontrollen zielgerichteter durchführen zu können. Ob dies gelingt oder ob zumindest einzelne der oben genannten Datensätze in vielen „sauberen“ Fahrzeugen auffällige Werte einnehmen, wird sich zeigen müssen. Wenn man beispielsweise bedenkt, dass viele LKW auf vermeintlichem Privatgelände regelmäßig ohne Fahrerkarte bewegt werden und man sich die Einstellung „OUT“ spart oder moderne Fahrzeuge teilweise über Tempomaten verfügen, die mit gewisser Regelmäßigkeit auch Geschwindigkeiten über 90 km/h „zulassen“, kommt gewisse Skepsis auf. Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren können allein auf Basis der fernabgefragten Daten jedenfalls nicht eingeleitet werden - dazu bedarf es stets einer „physischen“ Kontrolle. Erhärten sich die Verdachtsmomente in diesen Kontrollen nicht, müssen die fernabgefragten Daten binnen drei Stunden gelöscht werden.
Wichtig: Das Unternehmen muss den Fahrer darüber „informieren“, dass das Fahrzeug über die entsprechende Technik verfügt. Dass eine Information erfolgt ist, sollte in einer nachvollziehbaren Form dokumentiert werden.

Schnittstelle zu intelligenten Verkehrssystemen (ITS)

Der Gesetzgeber hat es den Herstellern freigestellt, ob sie die neuen Fahrtenschreiber mit einer genormten ITS-Schnittstelle versehen, die eine Nutzung der vom Fahrtenschreiber aufgezeichneten oder erzeugten Daten durch externe Geräte ermöglicht, zum Beispiel im Rahmen von Telematikanwendungen. Sofern hier personenbezogene Daten oder Ortsbestimmungsdaten übertragen werden sollen, muss der Fahrer der Übertragung nachweisbar zustimmen. Über die Benutzerführung findet diese Abfrage statt und ein erteiltes Einverständnis kann auch problemlos widerrufen werden. Kritisch ist anzumerken, dass es wohl aufgrund rechtlicher Inkonsistenzen im Regelwerk und/oder aufgrund von Interpretationsspielräumen seitens der Hersteller nicht gelungen ist, den Schutz personenbezogener Daten sicherzustellen. Wenn beispielsweise Remote-Download-Lösungen eingesetzt werden, kann es weiterhin trotz Nicht-Zustimmung des Fahrers dazu kommen, dass personenbezogene Daten ans Unternehmen übermittelt werden.

Neue Hardware-Architektur

Vor allem um die Manipulierbarkeit des Systems zu reduzieren, wird das „Zusammenspiel“ zwischen dem Fahrtenschreiber an sich und der Sensorik, hier insbesondere dem sogenannten KITAS (Geber, der am Getriebe sitzt und die Umdrehung der Getriebeausgangswelle registriert) verändert. Auch die Siegel und Verplombungen der Hardware wurden weiterentwickelt. Die Sicherheitszertifikate der Hardware der 2. Generation laufen grundsätzlich nach 15 Jahren ab. Sollte ein Fahrtenschreiber und dessen Hardware-Peripherie über diesen langen Zeitraum im Einsatz sein, muss ein Austausch erfolgen. Beim KITAS wurden diverse Veränderungen an der Sicherheitsarchitektur vorgenommen. Diese dienen insbesondere dazu, die Manipulation des Gebers zu erschweren, etwa indem besser erkennbar sein soll, wenn der Geber geöffnet wurde. Außerdem kann die Paarung zwischen KITAS und Fahrtenschreiber nur einmalig erfolgen. Ist nur der Geber defekt, kann auch nur dieser erneuert werden. Muss der Fahrtenschreiber selbst ersetzt werden, muss auch der Geber erneuert werden.

Thema Nachrüstung

Bitte beachten Sie besonders bei diesem Thema die Änderungen durch das Mobilitätspaket I.
Stand Herbst 2019 müssen bei rein innerdeutsch eingesetzten Fahrzeugen keine Nachrüstungen erfolgen, Generation 1-Fahrtenschreiber können demnach bis zum Ende ihrer Lebensdauer genutzt werden. Anders verhält es sich bei Fahrzeugen, die grenzüberschreitend eingesetzt werden. Hier müsste spätestens im Jahr 2034 eine Nachrüstung von Generation 1 auf Generation 2 vorgenommen werden. Diese bestehende Regelung dürfte aber im Zuge des „mobility package I“ der EU, das auch die Novellierung des Fahrpersonalrechts umfasst und aller Voraussicht nach im Jahr 2020 in geänderte Vorschriften münden wird, durch deutlich kürzere Fristen ersetzt werden. Hintergrund ist, dass die EU-Organe den Fahrtenschreiber zur datensprudelnden Kontrollwollmilchsau entwickeln wollen (also zum Beispiel auch für die Kontrolle der Kabotage- oder Entsendungsregularien, indem künftig beim Überfahren von Staatengrenzen gegebenenfalls Ortspunkte gesetzt werden) und deshalb bereits das Nachfolgemodell (nennen wir es mal Release 2) des „smarten“ Fahrtenschreibers skizziert haben. Über die konkreten Zeiträume kann nur spekuliert werden, es erscheint aber realistisch, dass binnen der kommenden fünf Jahre alle grenzüberschreitend eingesetzten Fahrzeuge einen Fahrteschreiber Generation 2 Release 2 eingebaut haben müssen (also auch jene Fahrzeuge, die aktuell oder in den vergangenen Monaten erstmalig zugelassen wurden und mit der Generation 2 ausgestattet sind, werden binnen weniger Jahre ein Tauschmodell (oder ein Update???) erhalten müssen).

Download-Tools

Allgemeine Aussagen, ob (Massenspeicher- und Fahrerkarten-) Download-Hardware, die auf Fahrtenschreiber bzw. Fahrerkarten der 1. Generation zugeschnitten ist, auch vollumfänglich im Zusammenspiel mit Fahrtenschreibern bzw. Fahrerkarten der 2. Generation funktioniert, können nicht erfolgen. Es ist jedoch in hohem Maße unwahrscheinlich, dass insbesondere autark operierende bzw. nicht updatefähige Tools die neuen Datensätze abrufen und speichern können. Im Zweifel erscheint es ratsam, mit dem Hersteller/Vertreiber der Tools in Kontakt zu treten.

Startschwierigkeiten nicht ausgeschlossen

Durch die Koexistenz von neuen und alten Fahrtenschreibern und neuen und alten Fahrtenschreiberkarten können sich je nach Einzelfallkonstellation Problemstellungen in der Praxis ergeben. Ein Beispiel wäre, dass ein Unternehmen selbst gar keine neuen Fahrzeuge mit Fahrtenschreibern der Generation 2 einsetzt, aufgrund eines Defektes jedoch ein Fahrzeug kurzzeitig anmietet, das mit einem Fahrteschreiber Generation 2 ausgestattet ist. Besitzt der Fahrer bereits eine Fahrerkarte Generation 2 und werden die Daten aus den Firmenfahrzeugen (und somit auch der Fahrerkarten) über eine Remote-Lösung „over the air“ ausgelesen, kann es vorkommen (insbesondere, wenn die eingesetzte Software kein Update bekommen hat oder ein solches nicht zur Verfügung steht), dass die Informationen der „Generation 2-Partition“ der Fahrerkarte nicht heruntergeladen werden, weil das Remote-Download-System nur in Generation 1-Daten „denkt“. Die Kerninformationen zu Lenk-, Pausen-, Ruhe- oder Bereitschaftszeiten gehen dabei nicht verloren (der Fahrtenschreiber Generation 2 schreibt bei einer Fahrerkarte Generation 2 untechnisch ausgedrückt diese Datensätze auch auf die Datenfelder Generation 1 der neuen Fahrerkarte), wohl aber die GNSS-Ortspunkte im Kontext Beginn und Ende Land oder nach jeweils drei Stunden Lenkzeit.
Stand: August 2020