IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen: Alles neu macht der Mai (?)
Die wirtschaftliche Lage im Landkreis Esslingen bleibt angespannt: Zwar zeigen sich erste Anzeichen von Optimismus, die konjunkturelle Schwäche der standortprägenden Industrie hält aber weiter an. Dennoch blickt die Branche erstmals seit zwei Jahren etwas zuversichtlicher nach vorne.
Die Bundestagswahlen sind vorbei und zumindest das Ziel einer zügigen Regierungsbildung wurde erreicht. Auch die Hoffnung auf eine einigermaßen konfliktfreie Zusammenarbeit der Regierungsparteien besteht weiterhin. Der Druck, sich nicht in politischen Auseinandersetzungen zu verlieren, ist angesichts der wirtschaftlichen Lage in Deutschland und der außenpolitischen Herausforderungen enorm.
Fast zeitgleich mit Beginn der neuen Legislaturperiode wurden die Wachstumsprognosen für Deutschland für das Jahr 2025 erneut revidiert. Angesichts der geopolitischen Lage verzögert sich der Aufschwung erneut. Die Meldungen der Wirtschaftsforschungsinstitute lesen sich seit Monaten wie eine Fahrplananzeige der Deutschen Bahn bei plötzlichem Wintereinbruch.
Die Lage der Unternehmen bleibt mit rund 13 Punkten in etwa auf dem Niveau vom Januar. Eine schnelle Erholung war ohnehin nicht zu erwarten, denn viele Infrastrukturinvestitionen und andere wirtschaftspolitische Maßnahmen benötigen einen Vorlauf bis weit ins Jahr 2026 hinein, wenn die Wachstumsimpulse nicht verpuffen sollen. Die geplanten steuerlichen Anreize könnten hingegen teilweise sofort Wirkung entfalten – allerdings nur, wenn Unternehmen tatsächlich investieren und Gewinne erzielen.

Wenngleich sich in den tatsächlichen Zahlen noch kein Aufschwung abzeichnet, ist positiv zu vermerken, dass sich zumindest psychologisch eine Kehrtwende andeutet. Die Erwartungen der Unternehmen im Landkreis Esslingen sind gegenüber dem Jahresbeginn um 20 Punkte auf einen nur noch moderat negativen Wert von gut minus 6 Punkten gestiegen. Inwieweit Regierungswechsel und Koalitionsvereinbarungen diesen leichten Optimismus unterstützen, bleibt eine spannende Frage.
Bei den Investitionsplänen bleibt es dem Erwartungsindex zufolge im Landkreis Esslingen zum Frühsommer bei einem deutlich negativen Indikator. Viele Unternehmen gehen am Standort nicht in Vorleistung, sondern warten weiterhin ab. In der Gesamtwirtschaft planen nur rund 17 Prozent der Unternehmen, ihre Investitionen in den kommenden 12 Monaten auszuweiten – in der Industrie sind es sogar nur 9 Prozent. Lediglich im Dienstleistungsbereich ist der Indikator mit 3 Punkten wieder positiv, was jedoch mengenmäßig nur einen geringen Ausgleich schafft.

Der Beschäftigungsindikator für Esslingen zeugt ebenfalls von Zurückhaltung der Unternehmen mit Blick auf die kommenden 12 Monate. Minus 20 Punkte bedeuten nur eine minimale Verbesserung von etwas über einem Punkt gegenüber dem Jahresbeginn. Auch bei der Beschäftigung bildet die Industrie das Schlusslicht – zwei von fünf Unternehmen erwarten hier einen Rückgang.

In der Region Stuttgart hat sich der Lageindikator für die Gesamtwirtschaft auf der Nulllinie eingependelt. Allerdings kommen derzeit deutlich schwächere Impulse aus der Landeshauptstadt, wo sich die Lage von knapp 19 Punkten auf nun fast die Hälfte verringert hat. Dafür hat sich die Lage in Böblingen und Rems-Murr deutlich verbessert.
In Stuttgart zeigen sich die Dienstleistungsunternehmen, die bislang für die überdurchschnittliche Lage verantwortlich waren, nun deutlich pessimistischer. Deren Lageindikator ist von über 30 Punkten auf 15 gefallen. Die gegenüberstehende Verbesserung in Böblingen und Rems-Murr geht ebenfalls auf den Dienstleistungsbereich zurück.
Quer durch die Region erholt sich die Industrie nur eingeschränkt. Esslingen verbessert sich um gut 4 Punkte, bleibt jedoch Schlusslicht. Ebenso stellt sich die Lage in der Gesamtwirtschaft Esslingens dar, die – von der Industrie geprägt – mit minus 13 Punkten weit hinter allen anderen Kreisen rangiert. Lediglich im Handel melden Unternehmen in Stuttgart ein noch negativeres Bild.

Wo beim Lageindikator viel Schatten ist, zeigt sich bei den Erwartungen ein Lichtblick. Dieser Indikator liegt in Esslingen bei minus 6 Punkten – ziemlich genau dem Regionsdurchschnitt entsprechend – und bedeutet einen enormen Sprung um 20 Indikatorpunkte. Auch hier geht der Effekt von der Industrie aus, mit gegenüber dem Regionsdurchschnitt um gut 7 Indikatorpunkte höheren Erwartungen.
Im Handel zeigt sich der Lichtblick eines weniger pessimistischen Indikatorwertes auch im Regionsvergleich: Minus 11 Punkte gegenüber minus 18 Punkten in der Gesamtregion und der regionsweit höchste Anteil an positiven Erwartungen im Handel (18 Prozent).
Risiken

Auch bei den Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung zeigen sich durch die aktuellen politischen Veränderungen geänderte Einschätzungen der Unternehmen. Die Unsicherheiten im Welthandel durch Zollkonflikte und andere geopolitische Spannungen lassen viele Unternehmen skeptischer auf ihre Exportmärkte blicken.
- Das Risiko der Auslandsnachfrage steigt zwar nur geringfügig auf 34 Prozent der teilnehmenden Unternehmen, gleichzeitig sehen aber nun über die Hälfte der Unternehmen die geopolitischen Spannungen als Risiko – ein Anstieg um 18 Prozentpunkte.
- Trotz wachsender Weltwirtschaft kommen wegen politischer Unwägbarkeiten die Nachfrageimpulse nur abgeschwächt bei den Unternehmen hierzulande an. Auch um die Lieferketten machen sich wieder mehr Unternehmen Sorgen – fast 10 Prozent. Mittelbar wirken sich geopolitische Unsicherheiten auch über Wechselkurse aus. Das Wechselkursrisiko hat sich – auf niedrigem Niveau von knapp 10 Prozent – mehr als verdoppelt. Ein stabiler Euro als sicherer Hafen für USA-flüchtige Anlegerinnen und Anleger hätte für die deutsche Wirtschaft Preisnachteile im Außenhandel zur Folge. Insbesondere der Wechselkurs Euro/Dollar ist derzeit mindestens so volatil wie die wirtschaftspolitische Agenda von Donald Trump.
- Wenig Bewegung zeigt sich bei den Standortkosten. Vor allem die Arbeitskosten werden weiterhin von weit über 50 Prozent der Unternehmen als problematisch eingeschätzt. Die Energiekosten liegen weiter bei rund 40 Prozent.
- Der Fachkräftemangel hat mit der schwachen Konjunktur und gesunkenem Arbeitskräftebedarf weiter an Bedeutung verloren, liegt aber noch immer bei etwas über 30 Prozent. Die spiegelbildliche Schwäche des Arbeitsmarktes wirkt sich zusammen mit den Realvermögensverlusten der Verbraucherinnen und Verbraucher in Form weiterhin verhaltener Nachfrage auch wieder auf Unternehmen – vor allem im Dienstleistungsbereich – aus. Nach 71 Prozent zum Jahresbeginn sehen nun 74 Prozent der Unternehmen in der Inlandsnachfrage ein Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung.
- Vorschusslorbeeren für die neue Regierung sind in der aktuellen Konjunkturumfrage noch nicht erkennbar. Das Risiko Wirtschaftspolitik liegt weiterhin bei 40 Prozent und damit nur unwesentlich unter dem Wert vom Jahresbeginn.
Industrie
- Einen deutlichen Sprung nach oben macht in der Esslinger Industrie zum Frühsommer der Erwartungsindikator. Er steht nun nach zwei Jahren mit knapp 4 Punkten erstmals wieder leicht im Plus. Und ebenfalls erstmals seit zwei Jahren erwarten auch wieder mehr Unternehmen eine Verbesserung als eine Verschlechterung ihrer Lage.
- Zum Teil relativiert sich dieser Optimismus wieder, denn die Industrie war in den vergangenen Monaten das Schlusslicht bei der Geschäftslage. Diese liegt nach wie vor im zweistelligen negativen Bereich bei minus 37. Insofern braucht es schon aufgrund des Niveaus nur wenig positive Stimmung, um den Erwartungsindikator ins Positive zu drehen, zumal in der Region ohne diesen Niveaueffekt weiterhin leicht negative Erwartungen vorherrschen.
- Ein Hoffnungsschimmer ist es dennoch. Wenngleich sich der Lageindikator insgesamt nur um 4,5 Punkte verbessert hat, hat sich der Anteil der Unternehmen mit schlechter Geschäftslage um immerhin 9 Prozentpunkte verringert. Dies schlägt sich nur deshalb nicht entsprechend im Indikator nieder, weil gleichzeitig auch knapp 5 Prozent der Unternehmen nur noch eine befriedigende statt einer guten Lage melden.

- Ebenfalls auf der Positivseite verbuchen lässt sich der aktuelle Exportindikator für die kommenden 12 Monate, der vor allem die Rückmeldungen der Industrie, aber auch von international tätigen Dienstleistungsunternehmen wiedergibt. Trotz aller Turbulenzen auf den Weltmärkten bleibt dieser nur im leicht negativen Bereich. In der Industrie erwarten trotz aller Risiken fast 30 Prozent der exportierenden Unternehmen steigende Auslandsumsätze – die Hoffnung stützt sich dabei vor allem auf zunehmende Nachfrage aus der Eurozone.

- Die Investitionspläne in der Esslinger Industrie scheinen jedoch nach wie vor von großer Unsicherheit geprägt zu sein, ob die Konjunktur in den kommenden Monaten wieder anspringt. Die Unternehmen warten trotz der verbesserten Geschäftserwartungen weiter ab: Rund 9 Prozent planen mit höheren Investitionen in Deutschland, fast 50 Prozent wollen jedoch die Inlandsinvestitionen zurückfahren. Der Indikator beträgt minus 41 Punkte.
- Gleich nach dem Ersatzbedarf wird Rationalisierung als zweithäufigstes Motiv für Investitionen genannt (jeweils mehr als zwei Drittel der Nennungen), Kapazitätserweiterungen stehen mit unter 10 Prozent der Nennungen an letzter Stelle.
- Folglich schlägt sich auch beim Beschäftigungsindikator der Industrie die Hoffnung auf den Aufschwung noch nicht nieder. Über 40 Prozent der Unternehmen planen, Beschäftigung in den kommenden 12 Monaten abzubauen. Demgegenüber wollen nur etwas über 8 Prozent Beschäftigung aufbauen.
- Trotz der besseren Stimmung wird die Industrie somit einen kommenden konjunkturellen Aufschwung in Deutschland vorerst weder direkt durch eigene Investitionen noch indirekt durch die Konsumnachfrage der Beschäftigten nachhaltig stärken. Von der früher zuverlässig ausgeübten Funktion der Branche als Konjunkturlokomotive kann ohnehin keine Rede sein.
Handel
- In einem andauernden Auf und Ab der Erwartungen befindet sich der Esslinger Handel. Nachdem der Erwartungsindikator in den letzten zwei Jahren zwischen minus 20 und minus 45 Punkten pendelte, sind die aktuellen minus 11 Punkte wenigstens ein kleiner Lichtblick.
- Dem Rückgang der pessimistischen Einschätzungen um 12 Prozentpunkte steht eine Zunahme der optimistischen um 15 Prozentpunkte gegenüber. Dennoch sind hinsichtlich der Geschäftserwartungen nach wie vor deutlich mehr Unternehmen – nämlich 29 Prozent – pessimistisch als optimistisch (18 Prozent).
- Angesichts der per Saldo negativen Erwartungen ist auch bei der aktuellen Geschäftslage des Handels in Esslingen keine Besserung zu erwarten. Im Frühsommer steht der Indikator bei minus 18 Punkten und damit etwas unter dem Niveau vom Jahresbeginn. Über 30 Prozent der Unternehmen im Handel melden eine schlechte Lage, eine gute Lage hingegen nur gut 13 Prozent.
- Auch beim Beschäftigungsindikator bleiben die Werte mit minus 22 Punkten deutlich im negativen Bereich. Über ein Viertel der Unternehmen im Handel will in den kommenden 12 Monaten das Personal verringern. Auch bei den Investitionen halten sich die Unternehmen zurück und melden wesentlich zurückhaltendere Personalpläne als noch zu Jahresbeginn. Der Indikator ist um über 30 Punkte gefallen – möglicherweise nicht nur in Ermangelung deutlicher Signale einer Kehrtwende bei Wachstum und Konsum, sondern teilweise auch konkret als Reaktion auf gegenüber der vorherigen Umfrage gesunkene Umsätze und Erträge.

Dienstleistungen
- Auch die Dienstleistungsunternehmen in Esslingen warten weiter auf eine Erholung. Nach einem deutlichen Rückgang des Lageindikators zum Jahresbeginn liegt dieser im Frühsommer sogar noch einmal etwas niedriger bei 11 Punkten.
- Ein Viertel der Unternehmen sieht sich derzeit in einer schlechten Lage – das sind sogar noch 6 Prozentpunkte mehr als zu Jahresbeginn. Immerhin knapp 36 Prozent berichten jedoch auch von einer guten Lage.
- Von Aufbruchstimmung ist jedoch auch bei den Dienstleistungsunternehmen derzeit noch nichts zu spüren. Der Erwartungsindikator liegt bei minus 16 Punkten. Damit erwarten rund 30 Prozent der Unternehmen, dass sich ihre Geschäftslage in den kommenden 12 Monaten verschlechtert. Bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen deckt sich diese Erwartung mit den zurückhaltenden Investitionsabsichten der Industrieunternehmen. Wo nicht investiert wird, sind weder technische Beratung noch begleitende Qualifikation der Beschäftigten gefragt.
- Selber planen die Dienstleistungsunternehmen hingegen – im Gegensatz zur Industrie und auch zur Gesamtwirtschaft – per Saldo ein Mehr an Investitionen. Mit gut 3 Punkten liegt der Investitionsindikator nach zuletzt minus 6 Punkten jetzt wieder im positiven Bereich. Immerhin 20 Prozent der Unternehmen nennen als Investitionsmotiv Kapazitätserweiterungen, 30 Prozent wollen in Innovationen investieren. Zumindest diese Branche sendet damit ein Signal der Zuversicht.

Fazit
- Nach einer langen Durststrecke keimt in der Esslinger Wirtschaft mehr als nur ein Fünkchen Hoffnung. Die positiven Impulse, die von einer inländischen Erholung erwartet werden, scheinen die Sorgen über die gleichermaßen protektionistische wie erratische US-Außen- und Wirtschaftspolitik zumindest psychologisch zu überwiegen.
- Dies spräche auch für ein gewachsenes Selbstvertrauen innerhalb der deutschen Wirtschaft, die Wachstumsschwäche eigenständig zu überwinden und nicht auf Impulse aus dem Ausland angewiesen zu sein.
- Grund für dieses Selbstbewusstsein gäbe es zumindest insofern, als es an Beteuerungen der Politik nicht mangelt, die wirtschaftliche Kehrtwende zur Chefsache zu machen.
- Die tatsächliche Nachfrage aus den schuldenfinanzierten Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung schlägt sich naturgemäß bislang noch nicht in den realen Entwicklungen nieder. Ob die staatlichen wirtschaftspolitischen Impulse einen nachhaltigen Einfluss auf das Wachstum haben werden, muss sich noch zeigen.
- Nur zusätzliches Geld in den Wirtschaftskreislauf zu bringen, greift zu kurz – denn staatliche Investitionen machen nur einen kleinen Teil der Investitionsnachfrage aus. Diese stammt überwiegend aus der Wirtschaft und dort vor allem aus der Industrie. Dort aber braucht es die Überzeugung, dass sich Investitionen am Standort Deutschland auch langfristig auszahlen.
- Sollte die Politik hingegen weiterhin ihrer Präferenz spontaner Maßnahmen zur kurzfristigen Wählerzufriedenheit folgen, anstatt gezielt wachstumsfördernde Investitionen zu tätigen, werden die zusätzlichen Haushalts-Milliarden ein keynesianisches Strohfeuer der kürzeren Art.
- Daher kommt es jetzt darauf an, die Wirtschaft durch Bürokratieabbau und Entlastungen bei den Standortkosten zu stärken, die Digitalisierung in der Verwaltung voranzutreiben und damit ein sich selbst dauerhaft tragendes Wachstum zu ermöglichen.
Ausgewählte Umfrageergebnisse aus dem Landkreis Esslingen zum Frühsommer 2025

An der Konjunkturumfrage haben sich rund 1050 Unternehmen aus der Region Stuttgart und darunter 201 Unternehmen aus dem Landkreis Esslingen beteiligt. Befragungszeitraum war vom 22. April bis 12. Mai 2025.