IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen Jahresbeginn 2025

IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen: Noch keine Kehrtwende in Sicht

Wenige Wochen vor der vorgezogenen Bundestagswahl präsentiert sich die deutsche Wirtschaft weiterhin ohne Dynamik.
Im Herbst war das Jahr 2024 nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bereits als verlorenes Jahr zu verbuchen. Mittlerweile bestätigen auch die ersten vorläufigen Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt, dass es mit einer schwarzen Null (von in Summe 0,2 Prozent über einen Zeitraum von 5 Jahren) seit dem letzten Vor-Corona-Jahr in Deutschland kein Wirtschaftswachstum mehr gegeben hat. Darüber dürfen auch die hohen Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen in den vergangenen Jahren nicht hinwegtäuschen, fußen diese doch Großteils auf Schlussabrechnungen vergangener Jahre.
Die Aussichten auf 2025 lassen indes derzeit keine Kehrtwende erwarten. Die Unternehmen warten ab und stellen in Anbetracht der zahlreichen Unsicherheiten Investitions- und Beschäftigungsentscheidungen zurück. Deutschland wird im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften in Europa und Übersee beim Wachstum immer weiter abgehängt. Die bessere Entwicklung in anderen Ländern ist ein deutliches Zeichen, dass hierzulande strukturelle Hemmnisse die konjunkturellen Effekte überwiegen.
Im Landkreis Esslingen konkretisiert sich die Stagnation in einem IHK-Lageindikator von nun rund 12 Minuspunkten, was noch einmal einen deutlichen Rückgang gegenüber dem Herbst 2024 (minus 4 Punkte) bedeutet. Über ein Drittel der Unternehmen bewertet seine Lage als schlecht.
Die Erwartungen haben sich ebenfalls verschlechtert. Nur noch 12 Prozent positive Erwartungen stehen einem Wert von 39 Prozent derjenigen Unternehmen gegenüber, die in den kommenden 12 Monaten eine (weitere) Verschlechterung der Lage erwarten. Der Erwartungsindikator fällt damit auf ein Minus von 26,5 Punkten und rückt in die Nähe der Stimmungslage zu Beginn der Coronapandemie 2020 (minus 32 Punkte) und während der Energiemangellage 2022 (minus 34 Punkte).
Konjunkturumfrage JB25 - Lage und Erwartungen
Die Flaute bei den Investitionen hat sich zu einer schweren gesamtwirtschaftlichen Hypothek ausgeweitet. Insbesondere die Industrie investiert im Landkreis Esslingen nur noch sehr verhalten: 60 Prozent der Industrieunternehmen fahren ihre Investitionen zurück. Obwohl im Handel in Summe etwas mehr investiert wird, kann das keinen Ausgleich schaffen. Die Investitionspläne der Gesamtwirtschaft liegen mit einem negativen Indikator von 23 somit deutlich im Minus.
Konjunkturumfrage JB25 - Investitionen
Auf ähnlichem Niveau befindet sich derzeit auch der Beschäftigungsindikator für Esslingen. Minus 21 Punkte für die Gesamtwirtschaft resultieren vor allem aus den negativen Beschäftigungsplänen der Industrie von minus 46.
Konjunkturumfrage JB25 - Beschäftigungspläne

Lage der Unternehmen in der Region

Zum Jahresbeginn herrscht bei den Unternehmen in der Region Stuttgart eine heterogene Einschätzung der Geschäftslage vor. Am positiven Ende steht die Stadt Stuttgart mit einem Indikator von rund 19 Punkten, am negativen Ende kommt der Landkreis Esslingen auf minus 12 Punkte. Göppingen liegt als einziger Landkreis noch im positiven Bereich.
Zerlegt man den Indikator in die Lageeinschätzungen der Branchen wird deutlich, dass die aktuellen Konjunkturdaten für Esslingen vor allem auf einem sehr ausgeprägten Pessimismus der Industrie fußen. Der Indikator von minus 41 liegt sogar noch 10 Punkte unter den ebenfalls schlechten Lageeinschätzungen aus Böblingen und Göppingen. In Göppingen gleichen allerdings die guten Einschätzungen der Dienstleister die Industrie in der Gesamtbetrachtung aus. In Esslingen gibt es diesen Effekt nicht: Der Esslinger Branchenindikator für die Dienstleistungen steht mit 13 Punkten einem Lageindikator der Gesamtregion von 23 gegenüber.
Mit Blick auf die kommenden 12 Monate zeigt sich in der gesamten Region einheitlich ein negatives Bild: Der Erwartungsindikator hat sich minimal um rund einen Punkt auf minus 14 verbessert. Während sich allerdings Rems-Murr und Böblingen jeweils nur leicht im Minus befinden, liegen die Erwartungen in Esslingen bei minus 26,5 und damit auch deutlich unter allen übrigen Landkreisen (Göppingen rund 23 Punkte im Minus, Ludwigsburg 16).
Konjunkturumfrage JB25 - Vergleich mit der Region

Risiken

Die anhaltende Wirtschaftsschwäche spiegelt sich auch in den wirtschaftlichen Risiken. Die Kostenfaktoren schieben sich dabei immer deutlicher vor die zum Teil hierfür ursächlichen Knappheiten.
  • Deutlich wird dies vor allem bei den Arbeitskosten, die nun von fast 60 Prozent der Unternehmen als problematisch eingeschätzt werden. Mit einem Anstieg von rund 6 Punkten befürchtet die Wirtschaft nun viel stärker die hohen Kosten ihres Arbeitskräftebedarfs als den Mangel an Arbeitskräften.
  • Ebenso sind die Energiekosten weiter gestiegen und werden nun von über 40 Prozent der Unternehmen genannt. Dass die Stromversorgung in Deutschland mit einem zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien nur dann zuverlässig funktioniert, wenn auch in den Netzausbau investiert wird, hat die sonnenarme Winterzeit in den letzten Wochen deutlich vor Augen geführt.
  • Die Rohstoffkosten und Lieferengpässe stehen im Risikoranking immer weiter hinten. Zwar haben sich die globalen Lieferketten stabilisiert und die Rohstoffpreise seit ihren Rekordwerten vor zwei Jahren wieder auf einem deutlich niedrigeren Niveau eingependelt. Allerdings dürften zum Rückgang der Nennungen auch die hierzulande konjunkturbedingt schwache Nachfrage und Produktionsverlagerungen beigetragen haben.
Konjunkturumfrage JB25 - Risiken
  • Insbesondere aus der Inlandsnachfrage erwarten die Unternehmen im Kreis Esslingen weiterhin keine positiven Impulse. Die Konsumenten halten sich weiter zurück, wenngleich das Inflationsgespenst nicht mehr ganz so großen Schrecken verbreitet. Viel stärker hemmt die verhaltene Nachfrage aus der Wirtschaft nach Investitionsgütern und Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich.
  • Die Auslandsnachfrage wurde zum Jahresbeginn zwar weniger kritisch bewertet als im Herbst, liegt damit allerdings gleichauf mit dem Risiko der geopolitischen Spannungen. Nach Einschätzung der Unternehmen hängen die künftigen Auslandsgeschäfte der hiesigen Wirtschaft nur bedingt von der globalen Konjunkturentwicklung ab. In weit stärkerem Maße bedrohen strukturelle Veränderungen oder gar Verwerfungen den Welthandel. Eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China würde den Südwesten in den beiden außereuropäischen Hauptexportländern massiv behindern, und zwar sowohl durch Zölle als auch durch nicht tarifäre Hemmnisse bis hin zu drohenden Sanktionen.
  • Dass die Wirtschaftspolitik wie schon im Herbst als Hauptrisiko für wirtschaftliche Entwicklung genannt wurde und mit gut 42 Prozent nun an dritter Stelle liegt, ist angesichts einer völlig unklaren wirtschaftspolitischen Agenda leicht nachvollziehbar.

Industrie

  • Einen fast schon dramatischen Einbruch der Geschäftslage in der Esslinger Industrie zeigt sich zum Jahresbeginn im Lageindikator, der noch einmal um über 10 Punkte auf nun minus 41 Punkte gefallen ist. Über die Hälfte der Unternehmen beurteilt ihre Lage derzeit als schlecht. Gerade einmal 13 Prozent melden noch eine gute Lage. Dieser Wert ist seit dem Frühjahr 2024 nahezu konstant, so dass zumindest ein kleiner Teil der Industrieunternehmen in Esslingen den Problemen bislang erfolgreich zu trotzen scheint.
  • Darauf, dass auch für diese Unternehmen die Luft dünner werden könnte, deutet allerdings der Erwartungsindikator hin. Dieser ist auf minus 35 Punkte gesunken. Rund 90 Prozent der Unternehmen erwarten gleichbleibende Geschäfte oder eine Verschlechterung und damit weniger als jedes Zehnte eine Verbesserung.
  • Die Skepsis der Industrieunternehmen zeigt sich auch zum einen in deutlich negativeren Investitionsplänen (60 Prozent wollen im Inland weniger investieren) als auch in den Exporterwartungen (40 Prozent erwarten sinkende Auslandsumsätze).
  • Bei den Investitionsmotiven der Esslinger Industrie zeigt sich ein ernüchterndes Bild: Das Hauptmotiv bleibt der Ersatzbedarf, der von fast 70 Prozent der Unternehmen genannt wird. Erweiterungsinvestitionen nennen hingegen nur rund 10 Prozent. Das sind fast zwei Drittel weniger als im 10-Jahres-Durchschnitt.
Konjunkturumfrage JB25 - Industrie

Handel

  • Nach einem zwischenzeitlichen Einbruch des Lageindikators im Handel zeigt sich nun zum Jahresbeginn wieder eine positive Tendenz. So hatte im Herbst keiner der teilnehmenden Händler eine gute Geschäftslage gemeldet, nun sind es immerhin etwas über 20 Prozent. Der Anteil der negativen Lageeinschätzungen blieb nahezu konstant, womit sich der Indikator von minus 38,5 auf immer noch negative 13,5 Punkte verbessert hat. Somit könnte mit oder nach dem Weihnachtsfest zumindest bei einem Teil der Branche wieder etwa Kauflust zurückgekehrt sein.
  • Ob sich diese Entwicklung fortsetzt, bleibt abzuwarten, denn mit einem Erwartungsindikator von minus 38,5 zeigen sich die Unternehmen für die kommenden Monate weiter ähnlich skeptisch wie im Herbst.
  • Auch ein leicht positiver Investitionsindikator von knapp 4 Punkten ist zwar ein positives Zeichen, dass die Branche die Hoffnung nicht aufgibt. Allerdings stehen hinter diesen Investitionen weniger die Erwartungen deutlicher Umsatzsteigerungen als vielmehr Digitalisierung und Ersatzbedarf, zumal gleichzeitig fast ein Viertel der Unternehmen mit Beschäftigungsrückgängen rechnet.
  • Der Beschäftigungsindikator ist damit wieder deutlich in den negativen Bereich gerutscht. Lag er im Herbst noch bei minus 4 sind es nun minus 18 Punkte. Dass die Arbeitskosten von über 60 Prozent der Händler als Geschäftsrisiko genannt werden, weist ebenfalls darauf hin, dass sich hinter den negativen Beschäftigungserwartungen auch zu einem erheblichen Teil Kostengründe verbergen.
Konjunkturumfrage JB25 - Handel

Dienstleistungen

  • Für die Esslinger Dienstleister bläst der Gegenwind nicht ganz so stark. Der Lageindikator liegt noch bei 13 Punkten. Das sind dennoch 16 Punkte weniger als noch im Herbst und ist weit entfernt von den guten Lageeinschätzungen noch im Frühsommer des Jahres mit einem Indikator von rund 36 Punkten.
  • Parallel dazu ist der Erwartungsindikator seit Frühsommer von der Nulllinie aus auf jetzt minus 15 Punkte gefallen. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen erwartet noch eine Verbesserung der Geschäfte in den kommenden 12 Monaten.
  • In Folge halten sich auch beim Beschäftigungsindikator zum zweiten Mail in Folge die positiven und negativen Meldungen nahezu die Waage. Während die übrigen Branchen ohnehin schon seit längerem einen negativen Indikator aufweisen, dürfte in den kommenden Monaten nun auch aus dem Dienstleistungsbereich die Beschäftigungsnachfrage per Saldo ausbleiben und die Entwicklung am Arbeitsmarkt belasten.
  • Zurückhaltend zeigen sich die Dienstleister auch bei den Investitionen. Der Indikator bleibt trotz eines Anstiegs um 9 Punkte im negativen Bereich (minus 6 Punkte). Fast ein Drittel der Unternehmen will in den kommenden 12 Monaten weniger investieren.
  • Bemerkenswert ist, dass die Dienstleister im Verhältnis zur Industrie sogar noch weniger in Kapazitätserweiterungen investieren. Nur 5 Prozent nennen dieses Motiv. Dies deckt sich mit der zurückhaltenden Nachfrage seitens der Industrie nach unternehmensbezogenen Dienstleistungen und weist deutlich auf die Dringlichkeit hin, den Standort auch für seinen industriellen Kern attraktiv und wettbewerbsfähig zu halten.
Konjunkturumfrage JB25 - Dienstleister

Fazit

  • Die Stagnation der Esslinger Wirtschaft hält weiter an. Zeichen für Optimismus sind weiterhin nicht sichtbar. Stattdessen haben sich zusätzliche Risiken manifestiert und sorgen für zunehmende Unsicherheit.
  • Die anstehenden Neuwahlen liefern einerseits die Hoffnung, dass eine wirtschaftspolitische Kehrtwende neue Impulse bringt und die Unternehmen wieder in den Standort Deutschland investieren.
  • Andererseits schweben möglicherweise instabile Mehrheitsverhältnisse im Bundestag als Damoklesschwert über Reformplänen. Eine mehrheitsfähige Priorisierung von Maßnahmen zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes wäre dringend erforderlich.
  • Gleichzeitig geraten die Unternehmen im globalen Wettbewerb in schweres Fahrwasser. Selbst unter optimistischen Annahmen werden zunehmend Handelshemmnisse die deutschen Exporte erschweren. Insbesondere die im Raum stehenden Handelsentscheidungen der USA haben eine große Relevanz für die Wirtschaft im Südwesten. Aber selbst ohne diese Hemmnisse konkurriert die deutsche Wirtschaft mit technologisch rasch aufholenden und vorauseilenden Volkswirtschaften.
  • Sollte sich Deutschland eine wirtschaftspolitische Agenda 2030 verordnen, müsste diese im Gegensatz zur Agenda 2010 weit mehr als den Arbeitsmarkt umfassen: Innovationen und Investitionen, Standortkosten, Widerstandsfähigkeit, Bürokratieabbau, flankiert von Leistungsanreizen und Leistungsbereitschaft.
  • Die Wahlprogramme der Parteien sind derzeit nur schwer mit der ökonomischen Realität in Einklang zu bringen. Es bleibt zu hoffen, dass letztere die Parteien bis zur Bundestagswahl wieder einholt.

Ausgewählte Umfrageergebnisse aus dem Landkreis Esslingen zum Jahresbeginn 2025

Konjunkturumfrage JB25 - Entwicklung
Alle Angaben in Prozent beziehungsweise Prozentpunkten; Abweichungen von 100 ergeben sich durch Rundungen
Indikator: Saldo der positiven und negativen Antworten
Tendenz Pfeil nach rechts: Veränderung zur Vorperiode um ± 2 Prozentpunkte
Tendenz Pfeil nach rechts oben beziehungsweise oben: Veränderung zur Vorperiode um mehr als 2; beziehungsweise um mehr als 5 Prozentpunkte
Tendenz Pfeil nach rechts unten beziehungsweise unten: Veränderung zur Vorperiode um mehr als 2; beziehungsweise um mehr als 5 Prozentpunkte

Quelle: IHK Region Stuttgart - Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen
An der Konjunkturumfrage haben sich rund 780 Unternehmen aus der Region Stuttgart und darunter 166 Unternehmen aus dem Landkreis Esslingen beteiligt. Befragungszeitraum war vom 2. bis 21. Januar 2025.