Matjes goes Europe: Stellenwert regionaler Lebensmittel

Wirtschaft und Politik aus dem Norden und aus Brüssel haben über den hohen Stellenwert regional produzierter und qualitativ hochwertiger Lebensmittel diskutiert. Lebensmittel und Getränke, die durch die EU-Regelungen für geografische Angaben geschützt werden, tragen europaweit entsprechende Qualitätssiegel, die auf ihre regionale Produktion hinweisen. Die zugrundeliegende europäische Verordnung wurde von der Europäischen Kommission in einem REFIT-Prozess überarbeitet. Die IHK Nord hat sich in diesen .

Antragshürden abbauen

Siegbert Eisenach, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Schwerin, unterstrich den hohen Wert und die Vielfalt norddeutscher Spezialitäten. Zugleich regte er an, dass weitere Produkte aus Norddeutschland von dem Schutz eines entsprechenden Siegels profitieren könnten, sofern neue Bezeichnungen initiiert werden. Dem ständen jedoch oft bürokratische Hürden entgegen, die es zu überwinden gelte.
Lena Düpont, MdEP und Schirmherrin der Veranstaltung, betonte direkt zu Beginn, dass durch die aktuelle Corona-Pandemie die Wertschätzung lokaler Produkte gestiegen sei und Vielfalt als ein schützenswertes Gut immer mehr in den Fokus rücke. In Sachen regionaler Produkte ginge es auch um europäisches Kulturgut. Dies unterstreiche eine Studie der EU-Kommission. Danach belaufe sich der Gesamtwert aller in der EU produzierten zertifizierten Produkte auf knapp 75 Milliarden Euro und ein zertifiziertes Produkt im Vergleich zu einem nicht zertifizierten Produkt habe teilweise den doppelten Verkaufswert. Sie rief dazu auf, Fördermöglichkeiten für Erzeuger- und Schutzgemeinschaften zu verbessern, da über diese die Antragstellung für eine Zertifizierung überhaupt erst möglich werde. Zugleich müsse der Registrierungsprozess, insbesondere für KMU, vereinfacht werden. Gerade kleine Unternehmen hätten nicht die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen, um die zeitaufwendigen Verfahren zu begleiten. Abschließend berichtete Lena Düpont über die Aktivitäten der Ausschüsse des Europäischen Parlaments zu diesem Thema. Insgesamt seien verschiedene Ausschüsse aktuell mit der Umsetzung der „Farm-to-Fork“ Strategie befasst, auf der der aktuelle REFIT-Prozess beruhe. Darunter unter anderem der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie der Agrarausschuss. Insgesamt unterstütze ihre EVP-Fraktion den REFIT-Prozess sowie allgemein die Verbesserung von Ursprungs- und Herkunftsangaben.

Erfahrungen der Unternehmen

Werner Detmering von der Marketinggesellschaft der niedersächsischen Land- und Ernährungswirtschaft e.V. stellte in seinem Impuls einige geschützte Spezialitäten aus Niedersachsen vor, darunter die Lüneburger Heidekartoffel sowie die Lüneburger Heidschnucke. Die seit 50 Jahren bestehende Marketinggesellschaft verfolge die Aufgabe, die Marktstellung der niedersächsischen Land- und Ernährungswirtschaft zu fördern und begleite daher den Weg der Zertifizierung verschiedener niedersächsischer Produkte aktiv. In diesem Kontext berichtete Werner Detmering von Hindernissen der Zertifizierung. So befinde sich im Bereich der Lüneburger Heide kein Schlachtbetrieb mehr, der das Fleisch der Heidschnucke verarbeiten könne. Dies sei jedoch notwendig, um das Siegel g.U. (geschützte Ursprungsbezeichnung) zu behalten, da alle Produktionsschritte in der Region vorgenommen werden müssten. Hinsichtlich der Lüneburger Heidekartoffel skizzierte er den Weg von der Antragstellung bis zur Zertifizierung, der insgesamt über acht Jahre gedauert hätte. Darüber hinaus würde ein Großteil der Tätigkeit der regionalen Schutzgemeinschaft darin bestehen, Abmahnungen für Produkte zu erstellen, die unberechtigt mit entsprechenden Herkunftsangaben werben würden. Dies sei aufwendig, trage jedoch zum Schutz der Produkte wesentlich bei.  
Burkhard Mertsch von der Plotz Spezialitäten GmbH stellte den Glückstädter Matjes als geografisch geschütztes Produkt vor. Er berichtete von einem aufwendigen Weg hin zur Zertifizierung. Zunächst musste die Schutzgemeinschaft Glückstädter Matjes gebildet werden, dann wurde ein Gutachten zur Schutzwürdigkeit erstellt. Insgesamt böte die Zertifizierung große Chancen, gerade für kleine Unternehmen. Von der Zertifizierung hatte sich die die Plotz Spezialitäten GmbH insbesondere einen Plagiatsschutz versprochen, diese Erwartung sei erfüllt worden. Der Glückstädter Matjes werde nur mit Fisch, Salz und Wasser hergestellt und nicht wie andere Produkte mit Öl. Dennoch sei es nicht einfach, sich im Wettbewerb mit größeren Produzenten zu messen - trotz der Hochwertigkeit des Produktes. Er sehe in der Zertifizierung zwar eine Chance der Bevorzugung gegenüber dem Verbraucher, jedoch hätten große Produzenten oftmals einfach mehr Mittel für Werbung und Marketing. Der Einzelhandel sei hier Einfallstor, um regionale Produkte entsprechend zu platzieren und bekannt zu machen.

Diskussion zur Zukunft der EU-Siegel

In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern der Mehrwert beim Verbraucher besser sichtbar gemacht werden könne. Produkte könnten auch mit entsprechenden regionalen Initiativen entsprechend populär platziert werden. Frau Manja Biel, Bürgermeisterin von Glückstadt, führte aus, dass die Stadt Glückstadt eine eigene Matjes-Strategie habe und ihr der Wert des regionalen Produktes besonders am Herzen liege. Im Rahmen des Gesprächs wurde erörtert, inwiefern Norddeutschland sein Potenzial zur Zertifizierung weiterer Produkte nutzbar machen könnte. Kerstin Kassner, damals MdB von der Insel Rügen, drückte in diesem Zusammenhang ihr Bedauern aus, dass die Produktion des nicht-geschützten Käses „Rügener Badejunge“ von der Insel Rügen nach Thüringen verlagert wurde.
Schirmherrin Lena Düpont fasste am Ende der Diskussion zusammen, dass der Arbeits- und Bürokratieaufwand für die Antragstellung reduziert werden müsse. Zugleich unterstrich sie den Wert der Zertifizierung als Plagiatsschutz und Abwehrrecht. Zudem müsse dazu beigetragen werden, dass der Mehrwert von g.g.A und g.U. Siegel im Vergleich zu anderen Siegeln sichtbarer und abgrenzbarer werde. Diese Anregungen nehme sie mit in die Diskussion in den Ausschüssen.