Sozialrecht

Scheinselbständigkeit

Unter Scheinselbstständigkeit versteht man das Auftreten als Selbstständiger, obwohl die Person nach der Art der Tätigkeit als abhängig beschäftigt im Sinne der Sozialversicherung anzusehen ist. Dabei ist nicht die Bezeichnung oder die Anmeldung eines Gewerbes entscheidend, sondern allein, wie sich die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles darstellt. Diese Frage ist entscheidend, weil auf das Arbeitsentgelt von abhängig Beschäftigten Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind.
§ 7 Abs. 1 SGB IV definiert (abhängige) Beschäftigung als nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind danach eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Achtung: Der Beschäftigtenbegriff im Sinne der Sozialversicherung ist nicht identisch mit dem Arbeitnehmerbegriff im Sinne des Arbeitsrechts. Es gibt verschiedene Konstellationen, bei denen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis unterschiedlich zu beurteilen sind. Zum Beispiel ist dies überwiegend beim GmbH-Geschäftsführer der Fall. Auch die Beurteilung der Finanzbehörden ist für die Sozialversicherung unerheblich.
Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Frage eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Sozialversicherung.
Hinweis: Eine verbindliche Entscheidung über den Status als versicherungspflichtiger Beschäftigter oder selbstständig Erwerbstätiger kann ausschließlich die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung treffen.

1. Warum ist der Ausschluss der Scheinselbstständigkeit wichtig?

Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit ist von Bedeutung, weil Beschäftigte grundsätzlich der Gesamtsozialversicherungspflicht unterliegen (gesetzliche Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung). Zudem muss der Arbeitgeber Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung sowie das Insolvenzgeld abführen.
Der Ausschluss der Scheinselbstständigkeit ist insbesondere für Auftraggeber wichtig. Stellt sich nämlich bei einer Betriebsprüfung heraus, dass die Einordnung zum Beispiel als freier Mitarbeiter falsch war und tatsächlich ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, können vom Arbeitgeber als Beitragsschuldner die Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden und zwar sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil. Der unterbliebene Abzug der Arbeitnehmeranteile vom Arbeitsentgelt darf nur bei den nächsten drei Lohn- und Gehaltszahlungen nachgeholt werden, danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist (§ 28g SGB IV). Zudem können Säumniszuschläge in Höhe von 1% pro Monat (12% p.a.) erhoben werden. Bei vorsätzlichem Handeln kommt eine Strafbarkeit nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) in Betracht.

2. Abgrenzung

Das Beschäftigungsverhältnis unterscheidet sich von der selbstständigen Tätigkeit durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit.
Selbstständig ist im Allgemeinen jemand, der unternehmerische Entscheidungsfreiheit genießt, ein unternehmerisches Risiko trägt sowie unternehmerische Chancen wahrnehmen und hierfür Eigenwerbung betreiben kann. Zu den typischen Merkmalen unternehmerischen Handelns gehört u.a. dass Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erbracht werden sowie die eigenständige Entscheidung über
  • Einkaufs- und Verkaufspreise,
  • Warenbezug,
  • Einstellung von Personal,
  • Einsatz von Kapital und Maschinen,
  • die Zahlungsweise des Kunden,
  • Art und Umfang der Kundenakquisition,
  • Art und Umfang von Werbemaßnahmen für das eigene Unternehmen (zum Beispiel eigener Briefkopf).
Beschäftigter ist, wer weisungsgebunden vertraglich geschuldete Leistungen im Rahmen einer von seinem Vertragspartner bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Der hinreichende Grad persönlicher Abhängigkeit zeigt sich nicht nur daran, dass der Beschäftigte dem Direktionsrecht seines Vertragspartners hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer, Ort oder sonstiger Modalitäten hinsichtlich der zu erbringenden Tätigkeit unterliegt, sondern kann sich auch aus der rechtlichen Vertragsgestaltung oder der tatsächlichen Vertragsdurchführung ergeben.
Folgende Indizien können für eine Scheinselbstständigkeit (abhängige Beschäftigung) sprechen:
  • Die Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer;
  • Sie ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig;
  • Ihr Auftraggeber oder ein vergleichbarer Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer verrichten;
  • Ihre Tätigkeit lässt typische Merkmale unternehmerischen Handelns nicht erkennen;
  • Ihre Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die sie für denselben Auftraggeber zuvor aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte;
  • Sie ist nicht befugt, ihre Arbeitsleistung auf andere zu delegieren;
  • Der Auftraggeber hat weitreichende Kontroll- und Mitspracherechte sowie jederzeitige Zugriffs- und Einwirkungsmöglichkeiten;
  • Sie unterliegt umfangreichen Berichtspflichten;
  • Sie hat keine eigene Betriebsstätte;
  • Es besteht die Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten;
  • Es besteht die Verpflichtung bestimmte Hard- und Software zu benutzen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind;
  • Sie unterliegt einem Wettbewerbsverbot beziehungsweise es besteht eine Ausschließlichkeitsklausel, die es verbietet, für andere Auftraggeber tätig zu werden;
  • Sie darf gegenüber Kunden nicht mit eigenem Logo, in eigenem Namen oder auf eigene Rechnung auftreten.
Die Aufzählung ist nicht abschließend.
Die Abgrenzung erfolgt aufgrund der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Dabei ist nicht erforderlich, dass sämtliche den Typus kennzeichnenden Merkmale vorliegen. Dementsprechend kommt es nicht entscheidend darauf an, ob zahlenmäßig mehr Indizien für oder gegen die Abhängigkeit sprechen. Entscheidend ist vielmehr, welches Gesamtbild sich unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung ergibt.
Für einzelne Tätigkeitsbereiche haben sich besondere Abgrenzungskriterien entwickelt, insbesondere bei Handelsvertretern, Gesellschaftern und Geschäftsführern einer GmbH und mitarbeitenden Familienangehörigen.

3. Abgrenzungshilfen der Sozialversicherungsträger

Nähere Hinweise finden sich im Rundschreiben der Sozialversicherungsträger vom 13. April 2010, das ab 1. Juni 2010 Anwendung findet, sowie den dazugehörigen nachfolgend aufgeführten Anlagen. Die Anlage 3 zu Gesellschafter-Geschäftsführern wurde am 9. April 2014 überarbeitet.
  • Abgrenzungskatalog für im Bereich Theater, Orchester, Rundfunk- und Fernsehanbieter, Film- und Fernsehproduktionen tätige Personen (Anlage 1)
  • Versicherungsrechtliche Beurteilung von Handelsvertretern (Anlage 2)
  • Versicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern, Fremdgeschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern einer GmbH sowie Geschäftsführern einer Familien-GmbH (Anlage 3 samt zwei Anhängen)
  • Versicherungsrechtliche Beurteilung von mitarbeitenden Angehörigen (Anlage 4)
  • Katalog bestimmter Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger
  • Tätigkeit (Anlage 5)
  • Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status (Anlage 6).
Das Rundschreiben sowie sämtliche Anlagen finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung unter  www.deutsche-rentenversicherung.de.

4. Statusfeststellungsverfahren

        a. Allgemeines Statusfeststellungsverfahren auf Antrag
Gem. § 7a SGB IV haben die Beteiligten die Möglichkeit, schriftlich eine Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund über den Status des Erwerbstätigen zu beantragen (sog. Anfrageverfahren). Der Antrag kann sowohl vom Auftraggeber als auch vom Auftragnehmer oder von beiden gemeinsam gestellt werden. Der jeweils andere Vertragspartner wird dann von der Deutschen Rentenversicherung Bund zu dem Verfahren hinzugezogen. Führt ein solcher Statusfeststellungsantrag zur Feststellung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, beginnt die Versicherungspflicht (rückwirkend) mit dem Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis. Wird der Antrag innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis fest, tritt die Versicherungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung ein (§ 7a Abs. 6 SGB IV). Voraussetzung ist, dass der Beschäftigte zustimmt und für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und Entscheidung eine Krankenversicherung sowie eine Absicherung zur Altersvorsorge besteht, die den gesetzlichen Versicherungen entsprechen.
Nähere Auskünfte erteilt die Deutsche Rentenversicherung Bund unter der kostenlosen Service-Nummer 0800 10 00 48 00.
Das Antragsformular V027 sowie die diesbezüglichen Erläuterungen V028 sind unter www.deutsche-rentenversicherung.de abrufbar.
        b. Obligatorisches Statusfeststellungsverfahren von Amts wegen bei Ehegatten, Lebenspartnern, Abkömmlingen oder geschäftsführenden Gesellschaftern einer GmbH
Gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV leitet die Einzugsstelle (Krankenkasse) bei Meldung einer Beschäftigung einer der vorgenannten Personen automatisch ein Statusfeststellungsverfahren ein.

5. Ausnahmsweise Rentenversicherungspflicht trotz Selbstständigkeit

Ist nach den zuvor gemachten Ausführungen von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen, liegt also keine Scheinselbstständigkeit vor, kann ausnahmsweise trotz Selbstständigkeit dennoch eine Rentenversicherungspflicht nach § 2 SGB VI (Gesetzliche Rentenversicherung) bestehen.
Rentenversicherungspflichtig sind beispielsweise selbstständig tätige
  • Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind und in ihrer Person die für die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, wobei Handwerksbetriebe im Sinne der §§ 2 und 3 der Handwerksordnung sowie Betriebsfortführungen auf Grund von § 4 der Handwerksordnung außer Betracht bleiben; ist eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen, gilt als Gewerbetreibender, wer als Gesellschafter in seiner Person die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt (§ 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI),
  • Personen, die
    a) im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und
    b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI).
Dabei gelten als Arbeitnehmer für Gesellschafter auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft.
Den vollumfänglichen Wortlaut des § 2 SGB VI mit weiteren Berufsgruppen finden Sie unter www.gesetze-im-internet.de. Nähere Auskünfte erteilt die Deutsche Rentenversicherung.
Rentenversicherungspflichtige Selbstständige müssen sich sofort beim zuständigen Rentenversicherungsträger anmelden. Für die Beiträge müssen sie vollumfänglich selbst aufkommen. Es gibt eine Reihe von Befreiungsmöglichkeiten von dieser Rentenversicherungspflicht der Selbstständigen. Nähere Auskünfte erteilt die Deutsche Rentenversicherung.
Sogenannte „arbeitnehmerähnliche Selbstständige“ nach § 2 Ziffer 9 SGB VI, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 450 Euro im Monat übersteigt, und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, können sich beispielsweise auf Antrag nach § 6 Absatz 1a SGB VI befreien lassen,
  • den ersten drei Jahren nach Existenzgründung. Für eine zweite Existenzgründung kann der 3-jährige Befreiungszeitraum erneut beantragt werden. Zeiten der Rentenversicherungspflicht wegen Zahlung eines Existenzgründungszuschusses werden nicht auf den möglichen Höchstbefreiungszeitraum von drei Jahren ab Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit angerechnet.
  • wenn sie nach einer zuvor ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erstmals nach Vollendung des 58. Lebensjahrs als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger rentenversicherungspflichtig werden.
Das Antragsformular V050 sowie „Informationen und Erläuterungen zum Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige mit einem Auftraggeber“ (V051) sind unter www.deutsche-rentenversicherung.de abrufbar.
Über weitere Befreiungsmöglichkeiten informiert die Deutsche Rentenversicherung.
Die Befreiung wirkt nach § 6 Absatz 4 SGB VI vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.

6. Steuerrecht

 Die Veränderungen der Verhältnisse können auch steuerliche Konsequenzen haben. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerlich nachzuvollziehen. Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater hinzuzuziehen.

7. Gewerberecht

Mit der Feststellung der Scheinselbstständigkeit (nicht der Rentenversicherungspflicht) endet grundsätzlich zugleich die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Das Gewerbe muss abgemeldet werden.
Dieses Merkblatt soll – als Service Ihrer IHK – nur erste Hinweise geben und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.
Stand: April 2024
Quelle: Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern

Neuerungen im Statusfeststellungsverfahren zu April 2022:
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