Infos für Unternehmen im Online-Handel

Kartellverbot in der Praxis

1. Das Kartellrecht betrifft mehr Leute, als man denken könnte …

Gilt nicht nur für große Unternehmen:
  • Für alle Unternehmen gilt grundsätzlich ein Verbot, sich mit anderen - meist konkurrierenden - Unternehmen abzusprechen, um weniger miteinander im Wettbewerb zu stehen (Kartellverbot, Thema dieses Artikels).
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    Zu den Ausnahmen von diesem Verbot siehe Punkte 4., 5.
  • Verbot eines Machtmissbrauchs gilt nur für sog. „marktbeherrschende“ Unternehmen.
    Aber: auch kleine Unternehmen können für bestimmte Waren oder Dienstleistungen eine marktbeherrschende Stellung innehaben.
    Testfrage: Auf wen und auf wie viele Anbieter könnten meine Vertragspartner ausweichen, um Waren/ Dienstleistung XY zu erhalten?
    Übrigens: eine Marktmacht hat auch derjenige inne, der als (nahezu) einziger bestimmte Waren/ Dienstleistungen abnimmt.
  • Kontrolle bei Zusammenschlüssen von Unternehmen (Fusionskontrolle) findet statt, wenn im Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss
    • die beteiligten Unternehmen weltweit mehr als 500 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet haben und
    • mind. ein beteiligtes Unternehmen im Inland 50 Mio. Euro erwirtschaftet hat und
    • ein anderes mind. 17,5 Mio Euro erwirtschaftet hat

2. …und kann in vielen verschiedenen Formen auftreten.

  • nicht nur durch schriftliche Verträge.
    „Absprachen“ müssen nicht schriftlich sein und können sogar wortlos getroffen werden:
    • als „Entgegenkommen“ bietet ein Lieferant an, seine Klage gegen einen Unternehmer zurückzunehmen, wenn dieser bei der nächsten Lieferung vorzugswürdig beliefert wird
    • Unternehmen sprechen einen Mindestpreis für Endkunden ab. Bei Unterschreiten des Preises wird um Einhaltung des vorgegebenen Preisniveaus gebeten
    • ein Unternehmer verspricht, seine Waren nicht zu günstigeren Konditionen als der Vertragspartner anzubieten, ohne dass dies in einem Vertrag schriftlich festgehalten wird
    • zwei Unternehmen tauschen miteinander Informationen über geplante Preise und Rabattaktionen von bestimmten Produkten aus und passen ihr Marktverhalten daran an
  • nicht nur zwischen konkurrierenden Unternehmen (horizontal)
    • grundsätzlich auch vertikal, d.h. zwischen Unternehmern auf verschiedenen Vertriebsstufen (Hersteller/Lieferant und Händler; Großhändler und Einzelhändler)

3. Es kennt NO-GO’s, die niemals gehen…

Auch zwischen Unternehmen, für die das Kartellverbot nicht gilt (Punkt 6), sind folgende Absprachen unzulässig:
a. Fest- oder Mindestverkaufspreise (Höchstverkaufspreise und Preisempfehlungen sind gestattet)
b. Absprachen, die den Verkauf in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kundengruppen unmöglich machen
Folgende Beschränkungen sind jedoch zwischen Vertragspartnern auf unterschiedlichen Vertriebsstufen (s. Punkt 6) zulässig:
  • Beschränkungen des Verkaufs in Gebiete oder Kundengruppen, die dem Anbieter oder höchstens 5 weiteren Händlern vorbehalten sind (Alleinvertriebssystem)
  • sofern Waren/Dienstleistungen nur an Händler vertrieben werden dürfen, die bestimmte, vom Anbieter festgelegte Kriterien erfüllen (selektives Vertriebssystem), ein Verkaufsverbot an Händler, die diese Merkmale nicht erfüllen
  • Bestimmungen über den Niederlassungsort der Händler
  • Anweisung an Großhändler, nicht oder eingeschränkt an Endverbraucher zu verkaufen
  • Verbot des Verkaufs von Einzelteilen an Kunden, die daraus gleichartige Waren wie der Anbieter produzieren würden
c. In einem selektiven Vertriebssystem: Verbot an zugelassene Händler, untereinander Waren/ Dienstleistungen zu verkaufen
d. In einem selektiven Vertriebssystem: Verbot an zugelassene Einzelhändler, an Endverbraucher zu verkaufen; es sei denn,
  • die Vertragspartner sind auf unterschiedlichen Vertriebsstufen tätig (s. Punkt 6) und die Endverbraucher sind Teil eines Gebietes oder einer Kundengruppe, an die nur der Hersteller und höchstens 5 weitere exklusive Händler verkaufen darf
e. Beim Handel mit Ersatzteilen: eine Regelung, nach der der Anbieter die Ersatzteile nicht an andere Personen als den Händler und Personen verkaufen darf, die Waren des Händlers warten oder reparieren
f. Totalverbot eines selbstständigen Online-Handels
g. Beschränkungen, die dazu führen, dass der Händler über das Internet nur bestimmte Kundengruppen oder Kunden aus bestimmten Gebieten erreichen können
Zulässig sind jedoch vertikale Beschränkungen der Online Werbung, sofern nicht die Nutzung eines gesamten Online-Werbekanals (z.B. Suchmaschinen oder Preisvergleichsportale) unmöglich gemacht wird.
h. jegliche Beschränkungen zwischen dem Anbieter als Plattformbetreiber und dem Händler in hybriden Modellen.
Ein solches liegt vor, wenn der Anbieter eine Online-Verkaufsplattform (z.B. App-Stores, booking.com, Amazon Marketplace, ebay) betreibt, auf der er zum einen fremde Waren/ Dienstleistungen vermittelt und zum anderen konkurrierende eigene Waren/ Dienstleistungen verkauft.

4. … sowie Absprachen, die grundsätzlich verboten sind …

Grundsätzlich, aber nicht immer unzulässig sind:
  • Absprachen zwischen Unternehmen, die dazu führen, dass die beteiligten Unternehmen in einem geringeren Ausmaß einem Wettbewerb ausgesetzt sind
    Testfrage: Werden durch die Absprache …
    • a) … Kunden in ihrer Auswahl beschränkt?
      etwa bei
      • beschränkter Anzahl der Anbieter des Produktes
      • Einschränkung der Preise, zu denen das Produkt erhältlich ist
      • beschränkter der Auswahl der Produktpallette
      • Beschränkung der Bedingungen, zu denen die Produkte erhältlich sind
        • nicht mehr online erhältlich
        • nur noch bei zeitgleichem Abschluss eines Abonnements in Verbindung mit dem Kauf einer anderen Ware erhältlich

          oder …
    • b) … andere Unternehmer in ihrem Marktverhalten beschränkt?
      etwa bei​​​​​​​
      • beschränkter Auswahl an Lieferanten
      • beschränkte Abnehmer von Produkten
      • mengenmäßigen Beschränkungen der Produkte
      • beschränkte Möglichkeit der Preisgestaltung
        • Verbot, Waren auf einer anderen Internetseite günstiger anzubieten
        • Verbot von booking.com, wonach Partnerhotels Zimmer auf eigener Internetseite nicht billiger anbieten dürfen
      • beschränkter Möglichkeit der Vertriebsformgestaltung
        • Verbot, Waren online oder über bestimmte Webseiten (z.B. ebay) zu verkaufen
        • Gewährung von Rabatten nur für Händler im stationären Verkauf, bzw. Gewährung größerer Rabatte bei geringem Online-Verkauf
        • Rabattversprechen an Großhändler, wenn sie Online-Händler nicht beliefern

5. … es sei denn, die Ausnahmevoraussetzungen sind erfüllt.

Behauptet ein Unternehmer, eine Kartell sei ausnahmsweise doch zulässig, müsste er vor Gericht das Vorliegen der vier folgenden Ausnahmevoraussetzungen nachweisen:
  • durch die Absprache können Kosten bei der Herstellung oder dem Vertrieb von Waren eingespart werden bzw. der Gewinn erhöht werden
    oder
    die Absprache fördert den technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt (Effizienzgewinnung)
  • dies resultiert wahrscheinlich gerade aus der Aufnahme der unzulässigen Beschränkung in die Absprache
  • die wirtschaftlichen Vorteile werden an die Abnehmer der Waren/ Dienstleister in einem angemessenen Umfang weitergegeben
  • der Wettbewerb wird für die betroffenen Waren nicht ausgeschaltet
Das Vorliegen dieser Ausnahmevoraussetzungen wird in der Praxis nur sehr schwer zu beweisen sein, weil davon ausgegangen wird, dass Beschränkungen im Regelfall unzulässig sind.
Möchte ein KfZ-Hersteller seine Vertragshändler verpflichten, in den von ihnen betriebenen Werkstätten ausschließlich Originalersatzteile zu verwenden, müsste er vor Gericht Gründe darlegen und beweisen, die so schwerwiegend sind, dass sie die Verpflichtung rechtferti­gen können. Solche Gründe können Sicherheits- oder Gesundheitsbelange sein, etwa dann, wenn die Produktsicherheit nur bei der Nutzung von Originalersatzteilen gewährleistet werden kann.
Nicht ausreichend ist dafür das Interesse an der Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen Reparaturservices oder der Schutz des Prestigecharakters des KfZ.

6. Unternehmen, für die das Kartellverbot ausnahmsweise nicht gilt…

Das Kartellverbot gilt im vertikalen Verhältnis, d.h. zwischen Unternehmern, die auf verschiedenen Vertriebsstufen stehen (bspw. Lieferanten und Abnehmern) nicht, wenn alle der folgenden Voraussetzungen vorliegen:
  • die beteiligten Unternehmen stehen nur auf der Vertriebsstufe, welcher dem Vertrag nachgelagert ist, in einem Wettbewerb, d.h.
    entweder:
    • die beteiligten Unternehmen stehen in gar keinem Wettbewerb

      oder:
    • der Lieferant vertreibt Waren/Dienstleistungen auf zwei Vertriebsstufen, der abnehmende Händler ist jedoch nur auf der nachgelagerten Stufe tätig
  • bei Absprachen zwischen
    a. Unternehmensverbänden und einem ihrer Mitglieder
    oder
    b. Unternehmensverbänden und einem selbstständigen Lieferanten
    gelten zusätzlich folgende Voraussetzungen:
    • alle Mitglieder des Unternehmensverbandes sind Wareneinzelhändler und
    • keiner der Mitglieder erwirtschaftet mehr als 50 Millionen Euro im Jahr

7. …sind trotzdem nicht ganz vom Kartellrecht befreit.

Bei folgenden Beschränkungen zwischen Unternehmern, für die das Kartellverbot nicht gilt (s. Punkt 6), muss im Einzelfall geprüft werden, ob die vier Ausnahmevoraussetzungen (s. Punkt 5) erfüllt sind:
  • Absprachen, die für eine Dauer von mehr als fünf Jahren gelten. Dies gilt nicht, solange der Händler Verkaufsräume nutzt, die vom Hersteller bzw. Lieferanten gestellt werden
  • Absprachen, die die Händler verpflichten, auch nach Ende des Vertrages Waren oder Dienstleistungen nicht herzustellen, zu beziehen oder zu verkaufen.
    Immer zulässig ist eine solche Verpflichtung jedoch, wenn
    • sie sich auf Konkurrenzprodukte bezieht,
    • sie sich auf Räumlichkeiten beschränkt, von denen aus der Händler während der Vertragslaufzeit seine Geschäfte betrieben hat
    • sie unerlässlich ist, um das Know-How des Anbieters zu schützen und
    • sie auf höchstens ein Jahr nach Beendigung des Vertrages der begrenzt ist
  • In einem selektiven Vertriebssystem: Verkaufsverbote für Marken bestimmter konkurrierender Anbieter
  • Verpflichtung gegenüber Online-Vermittlungsdiensten, die gleichen Waren / Dienstleistungen nicht über andere Online-Vermittlungsdienste zu günstigeren Bedingungen an Verbraucher zu verkaufen

8. Rechtsverfolgung

Unzulässige Beschränkungen sind wettbewerbs- und kartellrechtswidrig. Verstöße können bei der für Sie zuständigen IHK gemeldet werden, sowie bei der Beschwerdestelle der Wettbewerbszentrale und beim Bundeskartellamt.
Veröffentlicht am 30. November 2022