Scheinselbstständigkeit

Selbstständiger oder abhängig Beschäftigter?

Scheinselbstständige sind Erwerbstätige, die zwar den Status eines selbstständigen Unternehmers beanspruchen, deren Tätigkeit tatsächlich aber der eines Arbeitnehmers entspricht. 
Die Einordnung als Selbstständiger oder abhängig Beschäftigter kann nicht von den Vertragsparteien bestimmt werden, sondern richtet sich objektiv nach der tatsächlichen, inhaltlichen Gestaltung des Tätigkeitsverhältnisses. Scheinselbstständigkeit liegt daher vor, wenn jemand zwar nach der zu Grunde liegenden Vertragsgestaltung selbstständige Dienst- oder Werksleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber nichtselbstständige Arbeiten in einem Arbeitsverhältnis leistet. Dies hat zur Konsequenz, dass Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuerpflichten zu erfüllen sind. Bei einer späten Feststellung der Scheinselbstständigkeit kann es diesbezüglich zu erheblichen Nachzahlungspflichten und zu einer Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch kommen.

1. Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit

Eine abhängige Beschäftigung ist zu bejahen, wenn nach einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen Umstände eine nichtselbstständige Tätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) vorliegt.
Dafür sprechen die folgenden Kriterien:
  • Die uneingeschränkte Verpflichtung, allen Weisungen des Auftraggebers Folge zu leisten.
  • Die Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten.
  • Die Verpflichtung, dem Auftraggeber regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte Berichte zukommen zu lassen.
  • Die Verpflichtung, in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten zu arbeiten.
  • Die Verpflichtung, bestimmte Hard- und Software zu benutzen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind.
  • Keine eigenen regelmäßigen Beschäftigte (Minijob-Beschäftigungsverhältnisse zählen nicht hierzu).
  • Tätigkeit auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber (dies wird in der Regel angenommen, wenn mindestens 5/6 des Umsatzes bei einem einzigen Auftraggeber erzielt werden).
  • Der Auftraggeber hat Beschäftigte, die dieselben Tätigkeiten verrichten wie der Selbstständige.
  • Die Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach einer Tätigkeit, die für denselben Auftraggeber zuvor auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde.
Im Gegensatz dazu ist für eine selbstständige Tätigkeit prägend, dass der Selbstständige das unternehmerische Risiko in vollem Umfang selbst trägt und seine Arbeitszeit frei gestalten kann. Der Erfolg des finanziellen und persönlichen Einsatzes ist dabei ungewiss und hängt nicht von dritter Seite ab. Typische Merkmale unternehmerischen Handelns sind die Erbringung von Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung sowie die eigenständige Entscheidung über:
  • Einkaufs- und Verkaufspreise, Warenbezug,
  • personelle Fragen (Einstellung, Entlassung),
  • Einsatz von Kapital und eigenen Arbeitsgeräten,
  • Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufskonditionen,
  • eigene Kundenakquisition und
  • Werbemaßnahmen und Auftreten als Selbstständiger in der Geschäftswelt (eigene Briefköpfe, Zeitungsannoncen).

2. Anfrageverfahren zur Statusklärung

Sofern Zweifel bestehen, ob eine Beschäftigung oder eine Selbstständigkeit vorliegt, können die Beteiligten bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einen Antrag auf Klärung der Statusfrage stellen. Innerhalb des Statusfeststellungsverfahrens entscheidet die Deutsche Rentenversicherung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Sie ist gesetzlich dazu verpflichtet, den Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen und die beabsichtigte Entscheidung vorab bekannt zu geben. Dadurch soll den Beteiligten die Möglichkeit gegeben werden, vor dem Erlass der Statusentscheidung noch weitere Tatsachen und rechtliche Gesichtspunkte vorzubringen. Das Anfrageverfahren durch die Beteiligten ist jedoch nur möglich, wenn die Deutsche Rentenversicherung im Zeitpunkt der Antragstellung selbst noch kein Verfahren eingeleitet hat.
Widerspruch und Klage gegen diese Entscheidung haben aufschiebende Wirkung.

3. Kontaktdaten der Clearingstelle

Deutsche Rentenversicherung Bund
Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Statusfragen
10704 Berlin
Service-Telefon: 0800 10004800
Die Formulare zur Durchführung des Anfrageverfahrens sowie die dazugehörige Anleitung finden Sie auf der Internetseite beim Deutschen Rentenversicherung Bund.

4. Beginn der Sozialversicherungspflicht

Grundsätzlich tritt bei Feststellung der Scheinselbstständigkeit die Sozialversicherungspflicht ein. Dies geschieht unabhängig davon, ob den Beteiligten das Bestehen der Sozialversicherungspflicht bewusst war. Da die Versicherungspflicht ab Aufnahme der Tätigkeit gilt, kann dies zur Folge haben, dass der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge für bis zu vier Jahre nachzahlen muss.
Ausnahmsweise tritt die Sozialversicherungspflicht erst zu dem Zeitpunkt ein, in dem eine unanfechtbare Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status vorliegt, wenn:
  • innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit ein Antrag auf Statusfeststellung nach § 7 a Abs. 1 SGB IV bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gestellt wurde,
  • der Beschäftigte zustimmt und
  • für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht.

5. Arbeits- und steuerrechtliche Folgen

Bei Feststellung von Scheinselbstständigkeit kann der Betroffene gegebenenfalls seinen Arbeitnehmerstatus vor Gericht einklagen. Wird dieser ihm vom Arbeitsgericht zuerkannt, hat er damit auch alle arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten eines abhängig Beschäftigten, wie zum Beispiel Kündigungsschutz, Urlaubsansprüche und Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Umsatzsteuerrechtlich bedeutet eine Scheinselbstständigkeit für den Arbeitnehmer, dass wegen der unzutreffenden Einordnung als Unternehmer seine Steuererklärung insbesondere hinsichtlich der Umsatzsteuer fehlerhaft ist und er die in seinen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer zu erstatten hat. Einkommensteuerrechtlich führt es dazu, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Gesamtschuldner zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe zur Verantwortung gezogen werden.
Des Weiteren endet mit Feststellung der Scheinselbstständigkeit die unternehmerische Tätigkeit. Dies bedeutet, dass das Gewerbe beim zuständigen Gewerbeamt abzumelden ist.

6. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige – Rentenversicherungspflicht trotz Selbstständigkeit

Auch „echte“ Selbstständige sind unter bestimmten Voraussetzungen rentenversicherungspflichtig. Dies ist nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI der Fall, wenn ein Selbstständiger als arbeitnehmerähnlich anzusehen ist, weil er keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt (Minijob-Beschäftigungsverhältnisse zählen nicht hierzu) und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist (Faustregel: 5/6 des Umsatzes werden über einen Auftraggeber generiert). Von einer Dauerhaftigkeit der Tätigkeit ist auszugehen, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolgt. Bei einer im Voraus auf maximal ein Jahr begrenzten und nur vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber (projektbezogene Tätigkeit) wird grundsätzlich keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit für nur einen Auftraggeber vorliegen.
Von dieser Rentenversicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbstständige sind aber in den folgenden Fällen auf Antrag Befreiungen möglich:
  • Arbeitnehmerähnliche Selbstständige können für einen Zeitraum von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit (Existenzgründung) von der Versicherungspflicht befreit werden (§ 6 Abs. 1 a S. 1 Nr. 1 SGB VI).
  • Selbstständige, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres erstmalig die Voraussetzungen der Arbeitnehmerähnlichkeit erfüllen, können sich auf Antrag endgültig von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen (§ 6 Abs. 1 a S. 1 Nr. 2 SGB VI).

7. Sonderfall Handelsvertreter

Auch für Handelsvertreter ist nach den oben genannten Kriterien in einer Gesamtwürdigung der Umstände zu entscheiden, ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung handelt. Indizien für eine Scheinselbstständigkeit bei Handelsvertretern sind beispielsweise Umsatzvorgaben, eng angelegte Kontrollen des Auftraggebers, Anwesenheitspflichten, vorgegebene Termine bei Kunden, Tourenpläne, Urlaubsbestimmungen des Auftraggebers sowie das Verbot, Angestellte einzustellen.
Sofern der Handelsvertreter seine Arbeitszeit und Tätigkeit aber frei einteilen kann und somit tatsächlich selbstständig ist, kann er wie oben dargelegt dennoch rentenversicherungspflichtig sein. Wegen der Befreiungsmöglichkeiten in diesem Fall wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

8. Hinweis

Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen, rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen und Scheinselbstständigen bleibt schwierig, zumal unter Umständen arbeitsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Status von einander abweichen können. Viele Einzelfälle und strittige Punkte werden weiterhin von der Rechtsprechung zu klären sein.
Insbesondere Existenzgründer sollten sich innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit an die Deutsche Rentenversicherung Bund wenden und schriftlich einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht stellen.
Bei Unklarheiten bezüglich der Selbstständigkeit sollte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit ein Antrag auf Statusfeststellung gestellt werden.

Weitere Informationen:

Stand: Januar 2024