6 min
Lesezeit
Tourismus der Zukunft
Wir brauchen innovative Ansätze, damit der Tourismus in Zukunft Bestand hat, sagt Dr. Martin Linne, Tourismusexperte und Geschäftsführer der Tourismus-Lotsen UG.
Dr. Martin Linne und Birte Sievers führen die Tourismus-Lotsen UG.
© Tourismus-Lotsen
Dr. Linne, wie sind Sie in die Tourismusbranche gekommen? Was fasziniert Sie besonders an dieser Branche?
Meine Reise in die Tourismusbranche begann mit meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Göttingen. Mein Schwerpunkt war Marketing, und ich plante ursprünglich, über ein tourismusbezogenes Thema zu promovieren. Während dieser Zeit entwickelte ich eine besondere Affinität zu Helgoland, wo ich die Chance hatte, mit dem damaligen Direktor des Tourismusmanagements zusammenzuarbeiten. Als er die Insel verließ, bewarb ich mich über den Sommer hinweg initiativ, entwickelte Vermarktungsideen und nahm bereits an Veranstaltungen teil. Nach sechs Monaten „Wartezeit“ begann ich am 1. November 1998 als Tourismusmanager. Das war für mich der Einstieg in eine faszinierende Welt, in der Praxis, Wissenschaft und menschliche Interaktion aufeinandertreffen.
Tourismus bietet eine einzigartige Mischung aus operativen Herausforderungen und der Möglichkeit, akademische Fragen zu stellen: Was ist Tourismus? Wie wirkt er? Mein Interesse an der Verbindung zwischen Theorie und Praxis führte mich schließlich doch noch 2004 zu meiner Promotion, bei der ich Segeltourismus untersucht habe und parallel ein eigenes Typologiemodell für die Tourismuswirtschaft entwickelte. Seitdem habe ich in verschiedenen Positionen als Destinationsmanager, Berater, Hochschuldozent und Unternehmer gearbeitet. Was mich besonders begeistert, ist die Möglichkeit, durch innovative Ansätze und neue Perspektiven die Branche aktiv mitzugestalten.
Heute führen Sie primär Ihr Beratungsunternehmen Tourismus-Lotsen. Erklären Sie bitte Ihr Konzept etwas näher.
Tourismus-Lotsen ist mehr als nur ein Beratungsunternehmen. Meine Geschäftspartnerin Birte Sievers und ich kennen uns seit mehr als 20 Jahren und sind mit dem Tourismus und dem Maritimen eng verbunden. Wir verstehen uns als Sparringspartner und Impulsgeber, der Destinationen, Hotels und maritime Unternehmen nicht nur mit theoretischen Konzepten versorgt, sondern aktiv bei der Umsetzung begleitet. Unser Ziel ist es, Praxisnähe mit strategischem Denken zu verbinden. Wir wollen unsere Kunden begleiten, also lotsen, und nicht nur Konzepte schreiben.
Eine unserer Stärken ist die Fähigkeit, Betriebsblindheit zu überwinden und neue Perspektiven aufzuzeigen. Wir bringen Marketing-Know-how und Kundenorientierung mit, was uns hilft, Chancen und neue Märkte zu identifizieren. Unsere Stärke liegt darin, individuelle Lösungen für komplexe Herausforderungen zu entwickeln.

Welche Arten von Unternehmen oder Institutionen zählen zu Ihren Kunden, und mit welchen typischen Herausforderungen kommen diese auf Sie zu?
Unsere Kunden sind vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, Kommunen sowie Institutionen, die vor bedeutenden Veränderungen oder spezifischen Herausforderungen stehen. Häufig begleiten wir sie bei Themen wie Changemanagement, Generationswechsel oder Marktuntersuchungen. Dabei gehen wir auch ungewöhnliche Fragestellungen an, wie zum Beispiel die Marktanalyse für ein tägliches Winterschiff zwischen Helgoland und Cuxhaven oder die Untersuchung potenzieller Märkte, wo auf den ersten Blick keine zu existieren scheinen.
Ein bedeutender Erfolg war unsere Arbeit für den Deutschen Tourismusverband im Zusammenhang mit der Ferienregelung in Deutschland. Hierbei konnten wir aufzeigen, welche wirtschaftlichen Schäden durch die Entscheidungen der Kultusministerkonferenz entstehen. Es war ein wichtiger Meilenstein, dass der Deutsche Tourismusverband von der Kultusministerkonferenz gehört wurde und eine konstruktive Gesprächsebene erreichen konnte – ein Beleg dafür, dass selbst komplexe und kontroverse Themen lösbar sind.
Ein weiteres Highlight ist unser aktuelles Projekt für die Nordseeinseln und Halligen von Schleswig-Holstein. Dieses ist aus meiner Tätigkeit im Wirtschaftsforum Helgoland entstanden. Mit einer Kooperation der Wirtschaftsvereine von Sylt, Amrum und Föhr haben wir eine politische Diskussion zum Fachkräftemangel auf den Inseln initiiert. Aus diesen Gesprächen entwickelte sich ein umfassendes Konzept, das inzwischen zu einem Großprojekt gewachsen ist, an dem das Land Schleswig-Holstein, die IHK Flensburg sowie die Wirtschaftsvereine, die FH Westküste und die Digital Agentur Smarte Grenzregion beteiligt sind. Das Amt Föhr-Amrum ist Träger des Projektes. Hier übernehmen wir nicht nur das Projektmanagement sondern auch weitere operative Aufgaben für den gesamten komplexen Prozess, der darauf abzielt, Fachkräfte nicht nur zu gewinnen, sondern auch langfristig zu binden.
Unser Ansatz ist dabei immer ganzheitlich: Wir begleiten Unternehmen Schritt für Schritt und unterstützen sie dabei, sich auf die veränderten Bedingungen des Arbeitnehmermarktes einzustellen. Gerade in den kommenden zwei Jahren wird es entscheidend sein, neue Wege zu gehen und die Grundlagen für nachhaltigen Erfolg zu schaffen.
Welche Herausforderungen sehen Sie derzeit für kleine und mittelständische Unternehmen in der Tourismusbranche? Wie können diese gemeistert werden?
Die größte Herausforderung ist zweifellos der Arbeitskräftemangel. Hinzu kommen Themen wie Kunden- und Serviceorientierung sowie die Qualitätssicherung. Die Digitalisierung bietet hier Chancen, ist aber in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen. Beispielsweise könnten dynamische Datenanalysen erheblich zur Effizienzsteigerung beitragen, doch oft fehlt es am Know-how, diese Technologien richtig zu nutzen.
Wir unterstützen Unternehmen bei diesen Umdenkprozessen, indem wir sie in der Einführung und Umsetzung digitaler Lösungen begleiten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Unternehmen kreativ werden und sich von standardisierten Angeboten abheben. Individuelle und innovative Konzepte in der Gastronomie und Hotellerie bieten großes Potenzial, um aus dem Preiskampf auszubrechen.
Wenn Sie in die Zukunft schauen, wie wird sich die Tourismusbranche Ihrer Meinung nach in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln?
Die Branche steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Ein solider Finanzplan und eine durchdachte Businessplanung werden essenziell, um Risiken zu minimieren. Gleichzeitig sehe ich großes Potenzial in Nischenmärkten wie kreativen Boutiquehotels und innovativer Gastronomie, wir können ein griechisches Restaurant neu erfinden oder ein italienisch angehauchtes Hotel neu denken.
Ein wichtiges Ziel ist es entsprechend, Tourismus wieder persönlicher zu machen. Es geht nicht nur um Oberflächlichkeiten, sondern darum, den Gast wirklich in den Mittelpunkt zu stellen. Inspiration könnten wir uns beispielsweise bereits bei der Vermarktung von IKEA holen: Dort wird der Mensch in seinem Wohnumfeld inszeniert – so etwas können wir auf die Hotellerie übertragen! Zeigen Sie Menschen in im Hotelzimmer, am Buffett, im Restaurant.
Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Freude?
Ich liebe es, mit Menschen zusammenzuarbeiten und Ideen zu entwickeln, die wirklich etwas bewegen. Dabei fasziniert mich auch die analytische Seite: Daten zu sammeln, auszuwerten und daraus Strategien abzuleiten, ist für mich äußerst reizvoll. Besonders freue ich mich, wenn ich sehe, wie unsere Konzepte Unternehmen helfen, langfristig erfolgreich zu sein.
Erzählen Sie von Ihrem neuen Buch „Tourismus“. Worum geht es und für wen ist es geeignet?
Mein neues Buch ist ein kompaktes Lehrbuch, das sowohl Einsteiger als auch Fachleute anspricht. Es bietet eine umfassende Einführung in die Tourismuswirtschaft und beleuchtet die wichtigsten Akteure und Handlungsfelder. Ziel war es, das breite Wissen so zu verdichten, dass ein schneller Überblick entsteht – ideal für Studierende, Quereinsteiger oder auch Fachleute aus verwandten Branchen wie Architektur oder Werbung, die ein besseres Verständnis für die Anforderungen in der Tourismusbranche entwickeln möchten.
Wie können interessierte Unternehmen und Partner mit Tourismus-Lotsen in Kontakt treten?
Am besten über unsere Website, LinkedIn oder per Telefon. Wir freuen uns auf den Austausch und darauf, neue Projekte gemeinsam zu gestalten.
Dr. Martin Linne ist seit 1998 in der Tourismusbranche tätig und bringt 25 Jahre Erfahrung in verschiedenen Rollen mit: als Destinationsmanager auf Helgoland und in Wilhelmshaven, Berater, Hochschuldozent, Forscher, Autor, Herausgeber und Verleger (ITD-VERLAG). Seine Expertise macht ihn auch zu einem gefragten Tourismus-Kritiker, der regelmäßig in TV-Produktionen zu sehen ist. Von 2017 bis 2022 vertrat er die Professur für Betriebswirtschaft und Tourismusmanagement, insbesondere Hospitality Management, an der Hochschule Harz. Darüber hinaus hat er fast 20 Veröffentlichungen zum Thema Tourismus verfasst und gilt als einer der Vordenker der Branche. Im Jahr 2013 gründete er die Gesellschaft für Tourismus-Forschung, die im Oktober 2023 in Tourismus-Lotsen umbenannt wurde. Mit der Neuausrichtung hat das Unternehmen seine Dienstleistungen um Management- und Beratungsangebote erweitert.
Die Bücher von Dr. Martin Linne können Sie hier erwerben.
Interview: Julia Romanowski
Erschienen im Februar 2025
Kontakt

Ingo Joachim Dahlhoff