Landgasthöfe

Retro-Chic trifft Land-Moderne

Viele Landgasthöfe sterben aus, werden zu Ferienwohnungen, Fitnessstudios oder Büroflächen. Gastronomen aus Schleswig-Holstein zeigen, dass es auch anders funktionieren kann.
Mario Laabs hat mit einer edel-modernen Neuauflage der Landgastronomie den Geschmack seiner neuen Stammgäste im Koseler Hof im Kreis Rendsburg-Eckernförde getroffen. Uralte Speisekarten vom Dachboden des Hofs von 1836 inspirierten ihn, Altes in seinen Gerichten neu zu interpretieren – mit Erfolg. Trotzdem überwogen anfangs Zweifel: Die Abkehr von Currywurst, Pommes und Pizza irritierte die Gäste. “Es schien einfach nicht gut anzukommen“, erinnert er sich. Im November 2020 übernahm der 32-jährige Koch den Landgasthof. “Den uralten Tresen, den Stuck an der Decke und die Kuppel über dem Saal haben wir erhalten. Wir wollten nie ein durchdesigntes Gourmet-Restaurant sein.“ Zur digitalen Eröffnungsfeier mit rund 1.000 Teilnehmern im Stream verschickte Laabs Kochboxen.
Geschmorte Ochsenbacke und Seezunge Müllerinart wurden zu beliebten Klassikern deftig-deutscher Küche. “Unser Preissegment setzt natürlich Maßstäbe, unsere Speisekarte ist reduziert. Wir bedienen heute eine andere Klientel. Ich bin froh, dass ich mich nicht habe beirren lassen. Jede Sparte hat ihre Fans. Und mein Team will frisch kochen, den Gästen echte Zutaten nahebringen, statt Dosen zu öffnen oder Tüten aufzureißen.“ Aktuell hofft Laabs auf Planungssicherheit aus der Politik: “Wir Gastronomen bilden einen wichtigen Wirtschaftszweig, gerade auf dem Land. Wir sind auf Geburtstage oder Hochzeiten angewiesen. Gleichzeitig verstehe ich absolut, dass wir das Virus eindämmen müssen.“
Den historischen Standort erhalten, doch neu erfinden: Mit dieser Devise haben auch die Gastronomen Anne und Bernd Ratjen einen Hof in Uetersen im Kreis Pinneberg zur Marke gemacht. Wo 1899 noch ein großer Tanzsaal für Bälle und Feiern glänzte oder ein Ausspann für Postpferde stand, besticht “Zur Erholung“ seit 2020 mit minimalistischen Räumen, blanken Tischen, dem eigenen Feinkostladen, zwei Fünf-Gänge-Menüs, Live-Konzerten nach dem Essen oder Außengastronomie im Innenhof.
2017 haben Koch Bernd und Wein- und Spirituosenkennerin Anne den elterlichen Betrieb übernommen – in sechster Generation. Nachhaltiges Handeln schreiben beide groß: “Wir verarbeiten Tiere vollständig“, sagt Bernd Ratjen. “Was im Restaurant nicht auf den Teller kommt, wird in unseren Feinkostprodukten weiterverarbeitet. Im Winter nutzen wir eingelegtes Gemüse aus der letzten Sommerernte.“ Um der Pandemie zu begegnen, haben die Geschwister den Feinkosthandel aufgebaut. “Die Verbindung von Gastronomie und Einzelhandel mit Onlineshop gibt uns etwas Rückhalt“, sagt Anne. Trotzdem sei jeder Tag eine Hürde. Dringend müssten jetzt Entscheidungen der Politik her, die bessere Bedingungen ermöglichten und Konzepte nicht hinfällig machten, fordern Ratjens. “Selbst, wenn es bedeutet, dass wir nur noch Gruppen von 30 oder 50 Personen bewirten dürfen – wir brauchen Planbarkeit.“
Julia Königs
Veröffentlicht am 28. Februar 2022