Interview: Daniel Karasek, Theater Kiel

"Nicht mehr der Böse mit Aktentasche"

Seit 2006 ist Daniel Karasek, Sohn des Literaturkritikers Hellmuth Karasek, Generalintendant des Theaters Kiel. Im Interview spricht er über die Rolle des Kaufmanns in der Dramaturgie und auf der Bühne sowie sein Erfolgsrezept für ein
wirtschaftlich erfolgreiches Theater.
Herr Karasek, durch Ihren Vater wurde Ihnen die Liebe zur Kultur sicher in die Wiege gelegt. Warum haben Sie sich schließlich für das Theater entschieden?
Mein Vater war Dramaturg und ist so praktisch mit dem Theater groß geworden. Die meisten "Theaterkinder" tendieren in dieselbe Richtung wie ihre Eltern. Wenn man erst einmal in diese Atmosphäre eintaucht, ist es sehr schwierig, das gegen andere Welten einzutauschen.
Insbesondere das Fernsehen zeichnet oft ein negatives Unternehmerbild. Wie ist das im Theater?
Im Theater ist die Sichtweise sehr viel differenzierter. Nehmen Sie etwa Shakespeare: Im "Kaufmann von Venedig" ist Shylock auf den ersten Blick negativ gezeichnet. Tatsächlich ist aber auch hier bereits die Sichtweise äußerst komplex. Die meisten Dramatiker erarbeiten eher ein ambivalentes Bild des Kaufmanns. In Henrik Ibsens Werk "Ein Volksfeind" zum Beispiel wird der Unternehmer zwar durchaus kritisch, aber nicht plakativ als "das Böse", sondern als komplexer Charakter dargestellt.
Wie hat sich das Bild des Unternehmers im Theater im Laufe der Zeit verändert?
In den 20er-Jahren gab es etwa durch Bertolt Brecht eine sehr kritische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, der in seiner nackten Form ja tatsächlich nicht unbedingt ein menschliches Schild vor sich trägt. Auch in den 70er- und 80er-Jahren war es noch recht beliebt, dem Unternehmer einen negativen Charakter zu verleihen. Mittlerweile hat sich das grundlegend geändert. Das liegt zum einen daran, dass die Mittelschicht gewachsen und dadurch die Differenz zwischen Unternehmer und Gesellschaft nicht mehr so groß ist. Auch die Globalisierung hat das Ihre getan. Zwar finden noch immer kritische Auseinandersetzungen statt, aber nicht mehr mit dem Unternehmer als Person, sondern eher mit übergeordneten, "unheimlichen" Mächten. Zudem gibt es etwa durch Kultursponsoring einen starken Schulterschluss zwischen Kunst und Wirtschaft.
Inwieweit tragen die Medien und insbesondere das Theater zur Entstehung eines Bildes bestimmter Personengruppen in der Öffentlichkeit bei?
Karasek: Vor allem das Fernsehen spielt hier aus meiner Sicht eine sehr große Rolle. Aber natürlich haben auch andere Kulturformen wie etwa das Theater Einfluss. Ich habe aber den Eindruck, dass das politische Theater in den vergangenen zehn Jahren stark zurückgegangen ist. Es gibt noch immer engagierte gesellschaftskritische Theatermacher, aber auch hier hat ein Wandel stattgefunden. Während das politische Theater der 60er und 70er noch sehr plakativ das Bild des "Bösen mit der Aktentasche" gezeichnet hat, findet heute eine deutlich größere ästhetische Differenzierung statt. Schwarz-Weiß-Malerei wird im Theater generell eher als langweilig und unintelligent gesehen.
Sie sprachen über einen stärkeren Schulterschluss zwischen Kunst und Wirtschaft. Welche Rolle spielt das Theater Kiel für die regionale Wirtschaft und umgekehrt?
Der Stellenwert ist auf beiden Seiten deutlich gewachsen. Früher wurde das Theater sehr stark in Richtung der öffentlichen Hand als Geldgeber gerückt. Das hat sich mit den zum Teil massiven Einsparungen um die Jahrtausendwende geändert. So rückte etwa das Thema Kultursponsoring stärker in den Fokus. In Kiel pflegen wir durch unterschiedliche Formen des Sponsorings eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Unternehmen vor Ort. Das hat sicher viel mit dem Erfolg zu tun, den wir inzwischen haben. Darauf basierend können wir den Betrieben eine starke öffentliche Bühne bieten.
Zur Person
Daniel Karasek, Jahrgang 1959, wurde in München geboren und ist in Stuttgart, Caracas und Hamburg aufgewachsen. Seine Theaterkarriere begann in der Zeit von 1980 bis 1983 als Assistent am Schauspiel Köln. Sein weiterer Weg führte ihn unter anderem nach Frankfurt am Main, Stuttgart und Nürnberg. Neben seiner Tätigkeit als freier Regisseur an unterschiedlichen Häusern war er für einige Zeit Direktionsmitglied des Thalia Theaters in Hamburg. Seit 2003 ist Daniel Karasek Intendant des Kieler Schauspiels und seit 2006 Generalintendant des Theaters Kiel.
Sie sagten, dass die öffentlichen Zuschüsse zurückgegangen sind. Wie schaffen Sie es, trotzdem wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben?
Als ich 2003 nach Kiel kam, lag der Selbsterwirtschaftungsertrag bei 1,6 Millionen Euro. Heute sind es fünf Millionen. An öffentlichen Geldern bekommen wir 34 Millionen Euro, die etwa zu gleichen Teilen auf das Land Schleswig- Holstein und die Stadt Kiel entfallen. Der wirtschaftliche Erfolg eines Theaters basiert auf mehreren Faktoren. Da ist zuerst einmal der Spielplan, der das Interesse des Publikums wecken muss. Für uns haben alle Genres den gleichen Stellenwert - von der Operette über klassische Bühnenstücke bis hin zu vermeintlich "kleineren" Formen wie etwa Weihnachtsaufführungen. Wir haben in allen Bereichen denselben künstlerischen Anspruch, ob Kinder- und Jugendtheater, Ballett, Schauspiel, Oper oder Konzertwesen. Das ist wichtig, um gutes Theater zu machen. Außerdem sollte man das Publikum hin und wieder überraschen. Hier in Kiel ist das Vertrauen in das Theater sehr groß. Dadurch können wir es uns erlauben, auch hin und wieder zu experimentieren. Eine ganz zentrale Rolle spielen auch die Ensembles und Künstler mit ihrer Qualität und Persönlichkeit, denn sie sind die Menschen, die man auf der Straße trifft und mit denen man sich identifiziert. Und natürlich braucht man ein starkes Marketing. Zuletzt darf man auch als Theaterleitung keine Berührungsängste den Leuten gegenüber haben.
Welche Ziele und Wünsche haben Sie als Generalintendant des Kieler Theaters für die kommenden Jahre?
Der erste Wunsch ist natürlich, dass die Ideen nicht versiegen. Dafür muss man manchmal seinen Blick auf die Dinge verändern, kritikfähig sein und neue Impulse etwa junger Mitarbeiter zulassen. Das habe ich mir vorgenommen.
Interview: Andrea Henkel
Veröffentlicht am 22. Januar 2018