Filmwirtschaft

Großes Kino aus dem Norden

Die Filmwirtschaft im Norden produziert für Kino, Fernsehsender und Streaminganbieter bereits seit Langem erfolgreiche Unterhaltungsformate. In Lübeck kommt nun neuer Schwung in die Branche.
Nur noch wenige Monate, dann geht die Anspannung langsam in Aufregung über: Ende Juli feiert der Film „Zwei zu Eins“ in deutschen Kinos Premiere. Martin Rehbock kennt vermutlich jede Sekunde des neuen Spielfilms auswendig, drei Jahre lang hat er intensiv an dem Film mitgearbeitet. Am Standort Lübeck ist er als Filmproduzent für die zischlermann filmproduktion GmbH tätig. In seinem Büro am Rande der Lübecker Altstadt organisiert Rehbock mit der Filmproduktionsfirma eigentlich fast alles, was ein Film zum Gelingen braucht: „Wir akquirieren Stoffe und Themen, kümmern uns um die Finanzierung sowie um Cast und Crew – kurz: wir behalten das große Ganze im Blick“, sagt Rehbock. Der neue Film sei etwas Besonders: Es ist die zweite Regiearbeit der Filmemacherin Natja Brunckhorst, die als Jugendliche die Hauptrolle in dem Film „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ spielte. Und auch „Zwei zu Eins“ ist mit den Schauspielern Sandra Hüller und Max Riemelt prominent besetzt. Rehbock ist gelernter Buchhändler und hat Filmwissenschaft studiert. 2017 stieg er in die Berliner zischlermann filmproduktion GmbH ein und gründete einen Standort in Lübeck.
Zwischen 15 und 20 Titel habe er als Drehbuchautor und/oder Produzent bislang realisiert, resümiert er. Darunter zum Beispiel die ARD-Fernsehserie „Bonn“ oder den Kinofilm „About a Girl“ mit Heike Makatsch, dessen Streamingrechte sich Netflix gesichert hat. Streaming habe die Filmbranche verändert, bringe aber auch Vorteile, sagt Rehbock. „Zum einen kann die Finanzierung eines Films sehr schnell gehen, wenn ein Streaminganbieter einen Film exklusiv produzieren lässt“, so Rehbock. Andernfalls könne das Akquirieren von Finanzierungspartnern für freie Produktionen schon mal mehrere Monate bis Jahre in Anspruch nehmen. „Zum anderen bekommt der deutsche Film mit Streamingplattformen ein weitaus größeres Publikum“, sagt er. Im Wandel begriffen sei auch die Lübecker Filmwirtschaft, findet Rehbock. Immer mehr Filmemachende siedeln sich hier an und bringen frischen Wind in die Hansestadt. Zusammen mit Thomas Hailer von den Nordischen Filmtagen und Stefanie Reis vom Kulturfunken Lübeck hat Martin Rehbock erst 2023 das Lübecker Drehbuchstipendium initiiert. „Wir haben sogleich zwei hochkarätige Künstlerinnen als Stipendiatinnen gewinnen können. Aktuell läuft bereits die zweite Ausschreibungsrunde. Mit dem Stipendium wollen wir Lübeck als Filmstandort noch prominenter positionieren“, erklärt Rehbock.
Neues Filmstudio in Lübeck 
Frischen Wind in die Filmlandschaft rund um Lübeck bringen seit April auch die Exvoli Studios. Der Neubau umfasst zwei Studios mit insgesamt 800 Quadratmeter Fläche und ist als Mietstudio konzipiert. „Die Exvoli Studios sind für den Dreh von Unterhaltungsfilmen ausgelegt, lassen sich aber beispielsweise auch von Videoagenturen für Filme im B2B-Bereich nutzen“, sagt Studioleiterin Lucca Grzywatz. Das acht Meter hohe Studio sei für größere Projekte mit aufwendigem Kulissenbau, ausgeklügeltem Lichtkonzept und Kamerakran gut geeignet. Auch Räume für Maske und Garderobe, für Produktionsbüros und als Lagerfläche bietet der große Hallenbau, der besonders nachhaltig ist und alle Standards für sogenannte Green Productions einhält. Der Standort im Gewerbegebiet Genin-Süd liegt durch die Autobahnnähe auch für die Hamburger Filmwirtschaft günstig, ist aber kein Zufall. Auf der anderen Straßenseite liegt das Veranstaltungstechnikunternehmen SG Medientechnik GmbH, das Sebastian Gartz betreibt.
Lucca Grzywatz vor den Exvoli Studios in Lübeck
Die Idee für ein Filmstudio sei bei ihm bereits länger vorhanden gewesen. Als die Hansestadt Lübeck 2021 das Nachbargrundstück ausschrieb, bewarb er sich nach einer Marktanalyse zur Filmwirtschaft erfolgreich im Rahmen der Ausschreibung. „Der Bedarf an weiteren Studioflächen in Norddeutschland ist definitiv da, weil in Hamburg viele Filmstudios durch Talkshows, Dailies und Weeklies geblockt sind. Das gibt uns zudem die Chance, mehr Filmemachende nach Lübeck zu holen“, so Grzywatz. Das sei gerade für Schleswig-Holsteiner Produktionsfirmen wichtig, da Fördergelder zu einem größeren Anteil im eigenen Bundesland ausgegeben werden müssten, weiß die Studioleiterin. Daher arbeitet Grzywatz auch gezielt mit lokalen Partnern und Freelancern in den Bereichen Technik, Requisiten, Maske und Catering zusammen. „Lübeck ist durch die Nordischen Filmtage und das neue Drehbuchstipendium bereits wichtig für die Filmlandschaft. Daran wollen wir anschließen“, sagt Grzywatz und ergänzt: „Außerdem sehen wir in der kommenden festen Fehmarnbelt-Querung große Chancen für skandinavische Filmproduktionen in Lübeck.“
Von Pöppendorf nach Cannes
Katja Adomeit ist es gewohnt, am Handy mehrmals täglich zwischen Deutsch und Dänisch zu wechseln, vor allem wenn es um die Finanzierung eines neuen Spielfilms geht. Seit 2013 hat die geborene Lübeckerin rund 20 Filme produziert und koproduziert – oftmals Produktionen mit deutscher und dänischer Beteiligung. Der Job der Filmproduzentin sei hochkomplex, aber auch extrem bereichernd, so Adomeit. Was zu dem Beruf genau gehört? „Von der Ideenentwicklung eines Films über das Managen von Finanzierung, Crew und Cast bis hin zu Produktion und Postproduktion, also dem Verkauf des Films an Filmverleihe, Fernsehsender oder Streamninganbieter, gehört eigentlich alles dazu“, sagt sie. Angefangen hat ihre Karriere 2005 in Dänemark bei Zentropa,
der berühmten Produktionsfirma der Filmkoryphäen Lars von Trier und Peter Aalbæk Jensen. „Im Bewerbungsgespräch sagte mir Jensen: ,Lern Dänisch, dann bekommst du einen Job.‘ Eine Woche später zog ich von Lübeck-Pöppendorf nach Kopenhagen, lernte in drei Monaten Dänisch und arbeitete als seine Assistentin“, sagt Adomeit. Kurze Zeit später drehte sie bereits ihre eigenen Kurzfilme. Mit Erfolg: Einer ihrer Filme erhielt auf den Filmfestspielen in Cannes den Hauptpreis in der Sparte Kurzfilme. „Mir war sofort klar, dass ich einen Spielfilm machen will“, erinnert sich die Filmemacherin. 2011 gründete sie zunächst noch in Dänemark eine Filmproduktionsfirma und 2017 schließlich die Adomeit Film GmbH in Lübeck. Heute kümmert sich Adomeit bei einer Filmproduktion vor allem um die Ideenentwicklung und Finanzierung. Gerade Letzteres gleiche oft einem Puzzle.
„Ein Film kann auf sehr unterschiedliche Weisen finanziert werden. Schnell geht es, wenn ein Streaminganbieter eine Produktion komplett bezahlt. Häufig sieht es aber anders aus“, weiß Adomeit. Aktuell managt sie die Finanzierung ihres kommenden Films „No Good Men“, den sie im September mit der afghanischen Regisseurin Shahrbanoo Sadat drehen will. „An diesem Film sind mehr als 20 Finanzierungspartner aus verschiedenen Ländern beteiligt. Die ersten Zahlungen für die Entwicklung des Films flossen bereits 2020. Da gilt es, die Übersicht zu behalten“, sagt Adomeit und ergänzt: „Derzeit sind bei uns sechs Spielfilme gleichzeitig in der Entwicklung und Finanzierung, das ist schon relativ anspruchsvoll.“ Der Firmensitz in Lübeck bringe viele Vorteile, vor allem die Nähe zur MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig- Holstein. Die länderübergreifende Filmförderung unterstützte erst kürzlich zwei Filmkooperationen mit der Regisseurin Sadat. 
Benjamin Tietjen
April 2024