Interview: Leiter Fraunhofer EMB

"Kräfte bündeln für Exzellenz"

Der Markt ist ihr Maßstab: Fraunhofer-Institute arbeiten konsequent anwendungsorientiert. Die Wirtschaft sprach mit Professor Dr. Charli Kruse, dem Leiter der Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie (Fraunhofer EMB), über Partnerschaften, Projekte und Förderprogramme.
Wirtschaft: Herr Professor, wie entstehen bei Ihnen Forschungsprojekte mit Unternehmen?
Professor Dr. Charli Kruse: Jedes Fraunhofer-Institut hat sich als erstes eine gewisse Expertise erarbeitet. Gemeinsam mit unseren Partnern schätzen wir ab, was in einigen Jahren wirtschaftlich interessant wird. Diese Bereiche entwickeln wir weiter und treiben sie voran. Mit dieser Expertise geht man auf Betriebe oder Kunden in der Industrie zu. Umgekehrt werden Firmen auf uns aufmerksam und sprechen uns direkt an. Das ist uns sogar lieber. Denn dann können wir auf die Interessen des Kunden eingehen und genau das anbieten, was gebraucht wird und auf dem Markt erfolgreich sein kann. Daraufhin wird mit dem Kunden ein Vertrag geschlossen.
Wirtschaft: Mit welchen Bedürfnissen kommen Unternehmen auf Sie zu?
Kruse: Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, möchte ich einige Beispiele nennen: Im Bereich Zelltechnik sind etwa Firmen auf uns zugekommen, die bestimmte Chemikalien oder Gerätschaften entwickelt haben und diese zur Anwendungsreife bringen wollten. Wir erhalten die vorläufigen Produkte, testen sie und entwickeln Möglichkeiten, wie man sie so verbessern kann, dass sich das beabsichtigte Ergebnis einstellt.
Wirtschaft: Welche Produkte stellen diese Firmen her?
Kruse: Zum Beispiel Laborartikel, Chemikalien fürs Labor, Kits zum Präparieren von Zellen, zum Entnehmen von Zellen, zum Sterilisieren. Alles, was Zellhandling, Zellkultur, Zellanalyse und Zellisolation betrifft, sind Themen, für die wir bekannt sind.
Wirtschaft: Wie marktnah agieren Sie?
Kruse: Wir arbeiten im Prinzip wie normale Unternehmen, wobei wir Auftraggeber aus der Wirtschaft und aus dem öffentlichen Sektor haben. Wir beteiligen uns auch an Ausschreibungen von Bund, Land oder der EU. Das heißt, wir müssen alles, was wir ausgeben, erst eingenommen haben.
Wirtschaft: Welche Produkte hat Fraunhofer beispielsweise entwickelt?
Kruse: Ein klassisches Beispiel ist MP3. Dieses Verfahren zur Kompression von Audiodaten ist eine typische Fraunhofer-Entwicklung. Hier in der Fraunhofer EMB haben wir eine Zelltransportbox entwickelt. Damit kann man lebende Zellen und Gewebe bei 37 Grad Celsius und fünf Prozent CO2 48 Stunden lang transportieren. Bislang mussten Zellen in der Regel eingefroren und wieder aufgetaut werden. Oft waren bestimmte Funktionen danach nicht mehr gegeben. Der Prototyp ist fertig, nun suchen wir eine Firma, die das Produkt auf den Markt bringt.
Wirtschaft: Welche Bedeutung hat der Standort am Campus in Lübeck?
Kruse: Mit unseren Kompetenzen in der Labormedizintechnik ist dieser Standort für uns natürlich sehr vorteilhaft. Außerdem ist die Lage strategisch günstig: Wir haben zu den norddeutschen Standorten kurze Wege, nach Hamburg sowieso, auch Kiel ist schnell zu erreichen, aber auch die Unis Rostock und Greifswald mit dem Komplex BioCon-Valley. Außerdem haben wir in der HanseBelt Region kurze Wege zu unseren skandinavischen Kollegen, etwa in den Bereichen Aquakultur und Lebensmittelentwicklung. Gerade die Aquakultur spielt dort eine viel größere Rolle als bei uns.
Fraunhofer EMB in Lübeck
Die Fraunhofer EMB hat ihre Schwerpunkte vor allem in den Life Sciences. In der Medizinforschung wird etwa an individualisierten, zellbasierten Therapien und Diagnostika für die regenerative Medizin gearbeitet. Der zweite große Bereich ist die marine Biotechnologie, wozu auch die Aquakultur gezählt wird. Aufgebaut wurde vom Fraunhofer EMB auch der Cryo-Brehm, eine deutschlandweite Zellbank.
Wirtschaft: Welche Faktoren sind entscheidend, damit Technologietransfer optimal funktioniert?
Kruse: Ganz wichtig sind effiziente Förderprogramme. Wir arbeiten häufig mit kleinen und mittleren Unternehmen, für die sich immer die Frage stellt, ob sie die finanziellen Möglichkeiten für ein Entwicklungsprojekt haben. Diese Firmen sind auf Förderprogramme angewiesen. Eine gute Entwicklung ist, dass die Ländergrenzen nicht mehr so eine große Rolle spielen, sondern dass man bewusst versucht, sich zusammenzuschließen, etwa in der Kooperation mit Hamburg.
Wirtschaft: Sie arbeiten viel mit kleinen und mittleren Unternehmen?
Kruse: Auf jeden Fall. Nehmen wir an, ein mittelständischer Unternehmer kommt auf uns zu. Er hat zwar eine gewisse Summe für eine Innovation zur Verfügung, aber es lohnt sich für ihn nicht, eine eigene Forschungsabteilung aufzubauen. Wir bieten ihm an, gemeinsam seine Ideen durchzusprechen und zeigen auf, was wir für ihn tun können. Wir bieten auch an, bestimmte bürokratische Aufgaben zu übernehmen. Wir können etwa eine Projektbeschreibung erarbeiten oder prüfen, in welche Förderprogramme das Vorhaben passen könnte.
Wirtschaft: Fraunhofer ist ein offenes System, ein Angebot an die Wirtschaft?
Kruse: Genau. Aber vielleicht muss man Wissenstransfer als solchen konkreter organisieren und systematischer den Bedarf erfassen. Ein Beispiel dafür ist die Brancheninitiative foodregio: Unternehmen mit einem gemeinsamen Interesse tun sich zusammen. Dann organisiert man etwa eine Veranstaltung mit den Firmen und Anbietern aus der Wissenschaft.
Wirtschaft: Wie gut sind wir am Wissenschafts- und Technologiestandort Schleswig-Holstein aufgestellt?
Kruse: Wir haben sicher einzelne Bereiche, da sind wir sehr gut. Weil wir aber nicht so breit wie beispielsweise Süddeutschland aufgestellt sind, müssen wir die norddeutschen Stärken identifizieren und uns verbünden, um exzellent zu sein. Wenn wir unsere Kräfte über die Ländergrenzen hinweg vereinen, bin ich optimistisch, dass wir damit auch Erfolg haben werden.
Interview: Klemens Vogel
Veröffentlicht im Oktober 2012

Weitere Informationen