Wissenstransfer in Schleswig-Holstein

Turbo für Innovationen

Deutschland ist Innovationsweltmeister, das hat der Wettbewerbsbericht 2018 des Weltwirtschaftsforums festgestellt. Gute, aber komplexe Ideen lassen sich besonders schnell in die Praxis überführen, wenn Unternehmen mit der Wissenschaft kooperieren.
Vor allem bei der Digitalisierung in der Produktion sind viele mittelständische Unternehmen auf Hilfe aus der Wissenschaft angewiesen. So auch die Kreyenberg GmbH in Norderstedt: Gemeinsam mit der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) entwickelt sie eine Software, die den Verbleib von Ladungsträgern in der Produktion nachverfolgen kann. Bei der Herstellung von Fräs- und Drehteilen nach Kundenwunsch können in dem Familienunternehmen verschiedene Materialflüsse entstehen.
​​​​​​​Das Ergebnis: Die Aufträge durchlaufen einzelne Stationen in drei Werkhallen in unterschiedlichen Reihenfolgen. "Durch die Software werden wir in der Lage sein, den Aufenthaltsort der Ladungsträger live zu erfassen und uns so einen besseren Überblick zu verschaffen", sagt Projektleiter Oliver Haack.
Da die Software den Verbleib auch für jede Kostenstelle registriert, können auch Controlling und Prozessplanung profitieren. Das Unternehmen hatte sich mit dem Projekt beim Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hamburg beworben, das die Firma an die HSU vermittelt hat.
Die Hochschule leiste vor allem konzeptionelle Entwicklungsarbeit, helfe bei Ist-Analysen und dem Technologieradar, erklärt Haack, der bei Kreyenberg Feinwerkmechaniker gelernt und ein duales Studium absolviert hat. "Wir wissen, wie unsere Prozesse funktionieren, aber die Analysen der Hochschule sind für uns Gold wert, diese könnten wir als Mittelständler in diesem Umfang nicht leisten."
Das Umsetzungskonzept hat die Hochschule gerade vorgelegt. "Wenn die Hardware-Tests erfolgreich sind, folgen der Einkauf und die Inbetriebnahme der Hardware", so Haack.
Parallel läuft bei Kreyenberg bereits das nächste Digitalisierungsprojekt an. Mit dem Förderprogramm POI von der WTSH im Rücken soll das Projekt „Industrie 4.0 in der Produktion im Handwerk“ eine Industrie-4.0-Lösung in Form eines Assistenzsystems implementieren und diese mit dem ERP-System und der Werkzeugdatenbank verknüpfen.
In Lübeck ist die UniTransferKlinik Lübeck GmbH (UTK) spezialisiert auf den Transfer von Digitalisierungstechnologien. Neben dem Transfer zwischen Forschung und Wirtschaft unterstützt sie bei der Beratung von Unternehmen, etwa Medizintechnikherstellern, die Produkte bauen, aber nicht genau wissen, welche Kriterien sie bei der Konformitätsbewertung beachten müssen.
"Häufig beantragen wir gemeinsam Forschungsprojekte, um mit den Betrieben Lösungen zu erarbeiten", sagt UTK-Leiter Professor Dr. Martin Leucker. Auch in der Energietechnik und Logistik erarbeitet die UTK Lösungen für die Wirtschaft.
Software gegen Unkraut
Unkraut im Bioanbau zu vernichten, ist ein aufwendiges wie kostspieliges Unterfangen. Denn der Verzicht auf die Chemiekeule bedeutet für Biobetriebe mühevolles Jäten per Hand. Abhilfe könnte schon bald ein Sensor-Aktor-System schaffen - eine robotergestützte Technik, die Unkraut von Kulturpflanzen direkt auf dem Feld unterscheidet und vernichtet.
Vorangetrieben wird die neuartige Technik in Friedrichsgabekoog und Heide - auf den Feldern der Westhof Bio-Gemüse GmbH & Co. KG und in den Laboren der Fachhochschule Westküste. Seit 2014 arbeiten beide gemeinsam an dem Projekt. Bisher braucht Westhof-Geschäftsführer Rainer Carstens sechs Wochen, um 200 Hektar manuell von Unkraut zu befreien. „Spätestens in zwei Jahren wollen wir mit dem Jätroboter feldfähig sein.“
Die Arbeitsteilung bei dem Projekt ist fest eingespielt: „Wir stellen unsere Felder zur Evolution und unser Know-how zu den Kulturpflanzen zur Verfügung, die FH entwickelt und baut die Sensorik und Software.“
Bis zu acht Reihen auf einmal soll das kameragestützte und selbstlernende System von Unkraut befreien können – deutlich mehr als bislang. Das Besondere sei die Sensorik: „Der Jätroboter kann das Unkraut bereits im anfänglichen Kleinblattstadium erkennen und aussortieren“, so Carstens.
Innovative Signalverarbeitung
Entspannt miteinander reden - und zwar dort, wo es laut ist. Die Grundidee der sonoware GmbH klingt einfach, stellt aber höchste Anforderungen an modernste Signalverarbeitung. Das Kieler Start-up entwickelt dafür spezielle Kommunikationssysteme, die Sprache in Räumen per Mikrofon aufnehmen und verstärkt über Lautsprecher ausgeben - etwa in schnell fahrenden Autos oder in Operationssälen.
Der Clou: Die Software macht das Tragen von Headsets komplett überflüssig. "Eine große Herausforderung ist die Rückkopplung der wiedergegebenen Sprache ins Mikrofon. Diese Signale dürfen nicht erneut verstärkt werden, da sonst Echos oder lautes Pfeifen entstehen. Die Algorithmen müssen also zwischen der Sprache des Sprechers und den bereits verstärkten Signalen unterscheiden, die idealerweise identisch sind", sagt Mitgründer Christian Lüke.
Innerhalb einer Hundertstelsekunde muss das Signal digital gewandelt, analysiert, aufbereitet und von Störgeräuschen sowie Rückkopplungen befreit werden. Lüke und seine drei Mitgründer haben sich ab 2010 in der Arbeitsgruppe Digitale Signalverarbeitung an der Uni Kiel kennengelernt. 2015 gründeten sie eine GmbH mit dem Ziel, die Forschungsergebnisse in ein marktreifes Produkt zu überführen.
Rückenwind gab es auch durch das Programm EXISTForschungstransfer. Mitgründer Dr. Jochen Withopf erforschte die Grundlagen für die komplexe Rückkopplungskontrolle in seiner Promotion. Die Software soll 2019 in Serienfertigung gehen. Aktuell erschließt das Start-up ein weiteres Marktsegment und greift mit seiner Software mittelständischen Betrieben unter die Arme.
"Mit Signalverarbeitung und Machine Learning können wir Produktionsabläufe verbessern und bevorstehende Defekte erkennen. Jede Maschine, jedes mechanische Bauteil macht Geräusche - der Algorithmus kann raushören, wenn etwas nicht mehr rundläuft", so Lüke.
Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 4. Dezember 2018