Interview Dr. Hinrich Habeck

"Innovationen brauchen Partner"

Seit Mai 2022 ist Dr. Hinrich Habeck neuer Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH (WTSH). Im Interview erzählt er, wie die WTSH Unternehmen aktuell unterstützen kann und was die Betriebe im Krisenmodus gelernt haben. 
Herr Habeck, Sie sind seit einem halben Jahr Geschäftsführer der WTSH. Was charakterisiert Ihrer Ansicht nach den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein?
Der echte Norden hat sich zu einem dynamischen Wirtschaftsstandort entwickelt und profitiert davon, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben - vor allem im Hinblick auf die Entwicklung eines modernen, nachhaltigen Standortes. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Energiekrise wird regenerativ erzeugte Energie für Unternehmen immer wichtiger. Unternehmen stellen sich den Anforderungen der Dekarbonisierung und rücken die Frage nach dem Angebot regenerativ erzeugter Energie bei der Standortwahl immer stärker in den Mittelpunkt. Grüne Energie wird ein maßgeblicher Standortfaktor und Innovationstreiber sein - und wir haben und nutzen sie. Schleswig-Holstein gewinnt damit klar weiter an Attraktivität.
Diesen Standortvorteil vermarkten wir als Wirtschaftsförderung im Rahmen unserer Ansiedlungsaktivitäten. Um dies leisten zu können, sind wir in allen relevanten Zukunftsthemen sehr gut aufgestellt, um den Köpfen hinter den innovativen Ideen, aber auch den Interessierten und Investoren von außen die bestmögliche Unterstützung zu geben, sei es mit der Landeskoordinierungsstelle Wasserstoffwirtschaft, der Landeskoordinierungsstelle Elektromobilität, dem KI-Transfer-Hub, der Innovations- und Förderberatung oder der Unterstützung von Start-ups. Als Wirtschaftsförderung setzen wir uns dafür ein, aus diesen Standortvorteilen Wertschöpfung zu generieren. In diesem Kontext vergessen wir nie, dass hinter all den Innovationen immer kluge Köpfe und unsere treibenden Mittelständler und Start-ups stehen, die wir individuell und zielgerichtet ihren Bedürfnissen entsprechend unterstützen. Ich habe in den vergangenen sechs Monaten viele Unternehmer aus unterschiedlichen
Branchen kennengelernt und mit ihnen über ihre Entwicklungen und Produkte, aber auch über ihren Umgang mit den derzeitigen Problemen gesprochen. Mir ist eine Machermentalität begegnet, und mir wurde bestätigt, dass der echte Norden mit seinem innovationsfreundlichen Klima und höchster Lebensqualität sowie mit seinem großen Angebot an regenerativ erzeugter Energie sehr viel zu bieten hat. Diese Pluspunkte gemeinsam auszubauen, sie nutzbar zu machen und stärker zu vermarkten, wird unsere Aufgabe sein.
Energiekrise, Inflation und Fachkräftemangel stellen die Wirtschaft vor große Herausforderungen. Wie kann die WTSH Unternehmen unterstützen?
Die Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen und Problemen, das steht außer Frage. Insbesondere die hohen Energiepreise betreffen fast alle Schritte der Lieferketten - von der Produktion bis hin zu Herstellung und Transport. Ich denke, dass die Wirtschaftsförderung dabei helfen sollte, auch das Thema Regionalisierung anzugehen und Unternehmen dabei zu unterstützen, dass Produktion und Markt gegebenenfalls näher aneinanderrücken, um Störungen in den Lieferketten zu minimieren. Hierzu verweisen wir zum Beispiel unter anderem auf die Supply-Chain-Resilience-Plattform des bei der WTSH ansässigen Enterprise Europe Network Hamburg/ Schleswig-Holstein. Wir müssen die Unternehmen dabei unterstützen, ihre Liefer- und Handelsbeziehungen auszubauen, zu diversifizieren und auf mehrere Standbeine zu stellen. Außerdem ist es notwendig, Unternehmen dabei zu helfen, auch in Krisenzeiten über den Tellerrand zu schauen, Innovationen voranzutreiben und sich mit neuen Märkten zu beschäftigen. Dabei leistet die WTSH einen wichtigen Beitrag: mit einem ganzheitlichen Blick ins Unternehmen, aber mit einem individuellen Angebot.
Wie können Innovationen auch in diesen Zeiten weiter vorangetrieben werden?
Die Innovationsdynamik in den Unternehmen muss gerade jetzt in der Krise unterstützt werden, denn Innovationen brauchen Partner. Sie werden nicht von allein vorangetrieben. Innovationsansätze sollten gerade jetzt noch kritischer bewertet und auf ihre Zukunftsfähigkeit und Kundenbedürfnisse geprüft werden und sie müssen sich ganz klar an den Unternehmenszielen orientieren. Es macht wenig Sinn, aus einem Krisenmodus heraus blinden Aktionismus zu betreiben und zu innovieren. Dazu bedarf es Strukturen und eines Innovationsmanagements. Wichtig ist auch, in einer offenen Unternehmenskultur Ideen möglich zu machen. Ich habe den Eindruck, dass in den schleswig-holsteinischen Unternehmen bereits eine offene Innovationskultur vorherrscht, was gerade in Krisenzeiten von Vorteil ist. Es müssen keine disruptiven Innovationen sein, die momentan entwickelt werden.
Auch kleine Innovationen entlang der Customer Journey sind Innovationen. Es sollte nur nicht zum Stillstand kommen, sondern eine Dynamik vorangetrieben werden. Dabei unterstützen wir als Sparringspartner - auch im Hinblick auf die Nutzung neuer, agiler Methoden. Unsere Angebote unterstützen den Innovationsprozess - von der Ideenfindung sowie der Findung neuer Technologieansätze und ihrer Entwicklung bis zur Testphase und schließlich zur Markteinführung. Wichtig ist, dass insbesondere im Bereich der Digitalisierung die Projekte weiter vorangetrieben werden, damit der Mittelstand der Profiteur der digitalen Transformation wird. Auch dabei stehen wir den Unternehmen zur Seite.
Wird sich Ihrer Meinung nach etwas an der Ausrichtung der internationalen Märkte etwas ändern und wie wird die WTSH darauf reagieren?
Märkte waren schon immer volatil, nur nicht so stark wie momentan. Die WTSH reagiert immer auf die Volatilität der Märkte und stellt ihre Leistungen daraufhin ab. Diese Flexibilität ist selbstverständlich und notwendig, um weiterhin passgenaue, individuelle Leistungen anbieten zu können. Auch an der Existenz oder Ausrichtung kann sich also immer etwas ändern“. Es sind die Bedarfe der Kunden und die Zielmärkte, die unser Handeln bestimmen.
Afrika gilt, vielleicht nicht zum ersten Mal, als Zukunftskontinent. Welche Chancen sehen Sie für schleswig-holsteinische Unternehmen?
Afrika wird häufig noch als schlafender Riese bezeichnet. Doch es gibt bereits jetzt gute Marktchancen auf dem multikulturellen Kontinent mit wachsenden Volkswirtschaften, gerade auch in Branchen, in denen der schleswig-holsteinische Mittelstand gut aufgestellt ist: Erneuerbare Energien, Life Sciences, Digitale Wirtschaft. Die WTSH wird dabei unterstützen, individuelle Marktchancen zu eruieren und Hindernisse abzubauen. Wir möchten dafür sorgen, dass Unternehmen von den Erfahrungen anderer Unternehmen, die bereits den Schritt nach Afrika getan haben, lernen. Die WTSH ist Mitglied im Wirtschaftsnetzwerk Afrika des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, um insbesondere kleinen und mittelständischen deutschen Unternehmen (KMU) den Zugang zu afrikanischen Märkten sowie zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten zu geben. Darüber hinaus möchten wir die Erfahrungen der Unternehmen, die den Schritt nach Afrika bereits gegangen sind, weitergeben.
Was hat die Wirtschaft aus dem Krisenmodus gelernt?
Was meiner Meinung nach den Weg in die Zukunft findet, ist das Bewusstsein dafür, dass die Unternehmen trotz vieler widriger Umstände eine sehr hohe Anpassungsfähigkeit, Agilität und Flexibilität entwickelt und schnell und erfolgreich auf geänderte Rahmenbedingungen reagiert haben. Dieses Bewusstsein wird man mitnehmen und in künftige Methodenkompetenzen implementieren, die wir als Wirtschaftsförderer weiter unterstützen müssen. Zukünftig wird die Frage sein, wie sich Unternehmen auf vorhersehbare Umbrüche und Krisen einstellen - mit welchem Mindset, mit welchen Arbeitsweisen und mit welchen Kooperationen und Partnern. Ich denke, dass die Wirtschaftsförderung dies neben konkreten Angeboten verstärkt als eine ihrer Aufgaben ansehen sollte: die Methodenkompetenz der Unternehmen im Hinblick auf bevorstehende Veränderungen zu stärken.
Interview: Benjamin Tietjen