Sport und Gesundheit

"Unser Ziel ist eine Win-win-Situation"

Technischer Fortschritt, Beschleunigung des Arbeitsprozesses, demografischer Wandel - Faktoren wie diese wirken sich auf Gesundheit und Krankenstand aus. Sport kann hier positive Wirkung entfalten. Über gesellschaftliche Bewegungsarmut, Sportprogramme in den Unternehmen Schleswig-Holsteins und Sport als Gesundheitsförderung sprach die Wirtschaft mit Hans-Jakob Tiessen, Präsident des Landessportverbands Schleswig-Holstein.
Wirtschaft: Wie steht es um die Bewegungsarmut im Lande?
Hans-Jakob Tiessen: Mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Schleswig-Holstein treibt regelmäßig Sport in einem Verein. In Zahlen sprechen wir von mehr als einer Million Menschen, die entweder als langjährige Mitglieder oder auch kurzzeitig, beispielsweise in Kursen, die Sportvereine aufsuchen. Darüber hinaus sind viele Menschen auch ohne Vereinsanbindung sportlich aktiv. Ich denke dabei zum Beispiel an Jogger, Walker oder auch die Nutzer von Fitness-Studios.
Wirtschaft: Sieht der Landessportverband besondere Defizite etwa bei Kindern und Jugendlichen?
Tiessen: Bei allem Sportinteresse gibt es leider bei den motorischen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen auch eine gegenläufige Entwicklung - die im Übrigen bundesweit gilt. Einfache Übungen wie Rückwärtsgehen, seitliches Hüpfen oder Auf-einem- Bein-Stehen werden oftmals nicht beherrscht. Auch hinsichtlich der Ausdauer ist durchaus zu beobachten, dass einige Kinder heute im Kindergarten oder in der Grundschule keinen Wanderausflug mehr durchhalten. Die Gründe für diese Entwicklung sind naheliegend. Die Beschäftigung in der Freizeit mit dem Fernseher oder dem Smartphone nimmt mittlerweile deutlich mehr Platz ein als Herumtollen, Radfahren oder Sport. Auch stehen für Kinder und Jugendliche heute gerade in den Städten immer weniger freie Spiel- und Bewegungsräume zur Verfügung, in denen sie ihre Bewegungsbedürfnisse ausleben dürfen. Als Folge lässt sich durchaus eine Zunahme an übergewichtigen Kindern bereits im Vorschul- und Grundschulalter feststellen.
Wirtschaft: Was empfehlen Sie?
Tiessen: Die Forderungen des Sports angesichts dieser Entwicklung sind eindeutig: Erstens muss der Stellenwert von Bewegung und Sport in den Kindertagesstätten und in den Schulen ein komplett anderer werden. Sport muss viel stärker als zentraler Bestandteil des Bildungsangebots verstanden werden. Zweitens muss die Ausstattung mit zeitgemäßen und damit attraktiven Sportstätten deutlich verbessert werden. Die Realität sieht leider so aus, dass wir in Schleswig-Holstein allein bei kommunalen Sportstätten einen Sanierungsstau von 55 Millionen Euro haben. Und drittens müssen die integrativen und präventiven Leistungen unserer Sportvereine gerade für unsere Kinder und Jugendlichen noch stärker ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden.
Wirtschaft: Streben die jungen Menschen noch zu den Sportvereinen?
Tiessen: Gemessen an der Bevölkerungszahl liegt der Organisationsgrad zum Beispiel bei den Sieben- bis 14-Jährigen seit zehn Jahren gleichbleibend bei 75 Prozent auf hohem Niveau. Mehr geht nicht.
Wirtschaft: Was empfiehlt Ihr Verband den Unternehmen im Land? Wie wichtig sind Sportprogramme für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Tiessen: Ein Drittel seines Lebens verbringt der Mensch an seinem Arbeitsplatz. Unsere Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess. Technischer Fortschritt und globaler Wettbewerb führen zu einer Beschleunigung und Verdichtung des Arbeitsprozesses und entsprechend zunehmendem Zeitdruck. Folge: Die Krankenstände in den Betrieben nehmen stark zu, Krankenkassen schlagen Alarm. Hinzu kommt der demografische Wandel mit ansteigendem Altersdurchschnitt der Belegschaft und wachsenden Nachwuchsproblemen. Ein Betrieb kann mit einem Sportangebot ein sehr positives Image entwickeln.
Wirtschaft: Wenn die Fachleute richtigliegen, gewinnt der Sport immer mehr Bedeutung in der Prävention und als Therapie. Wie geeignet ist der Sport für Teambuilding und Stressabbau?
Tiessen: Es ist erwiesen, dass durch gemeinsames Erleben und durch sportliche Aktivitäten das Teambuilding gestärkt werden kann. Eine ähnlich positive Wirkung von Sport auf die Gesundheit ist ebenfalls unstrittig. Durch ein Gesetz sollen die Gesundheitsförderung und die Prävention als feste Säule des Gesundheitswesens im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen etabliert werden. Dadurch soll das Zusammenwirken des organisierten Sports mit der betrieblichen Gesundheitsförderung und dem Arbeitsschutz verbessert werden.
Wirtschaft: Wie können sich Unternehmen sportlich besser aufstellen? Gibt es Hilfestellung von den Vereinen oder Ihrem Verband?
Tiessen: Ein Betrieb sollte seine Erwartung an ein Sportangebot definieren und für den entsprechenden Versicherungsschutz sowie die Finanzierung sorgen - nach Möglichkeit unter Einbeziehung von Fördermöglichkeiten aus dem Präventionsgesetz. Die sportliche Aktivität kann in einem Verein oder im Betrieb stattfinden. Gegebenenfalls könnten die Wirtschaftsverbände oder unsere Kreissportverbände im Sinne von Kooperationen beratend tätig werden. Wir als Landessportverband motivieren seit Längerem unsere Vereine und Verbände, sich der Thematik "Betrieb und Sportverein" stärker anzunehmen und auch die Übungsleiterinnen und Übungsleiter entsprechend zu qualifizieren.
Wirtschaft: Welches ist die Zielsetzung solcher Kooperationen?
Tiessen: Unser Ziel ist eine Win-win-Situation für alle beteiligten Partner. In jedem Fall sind die Sportvereine mit ihren qualifizierten Angeboten ideale Partner und erste Ansprechpartner beim Auf- und Ausbau einer betrieblichen Gesundheitsförderung für die Unternehmen in unserem Land.
Zur Person
Hans-Jakob Tiessen, Jahrgang 1948, ist seit 2013 Präsident des Landessportverbands Schleswig-Holstein. Zuvor war der parteilose Jurist unter anderem von 2003 bis 2013 Vorstandsvorsitzender der E.ON Hanse AG und von 1986 bis 1996 Landrat des Kreises Dithmarschen.
Michael Legband
Veröffentlicht am 9. Juni 2015