Grün, frisch, zukunftsfähig
Jungunternehmer und Biologe Ben Schwedhelm gründete die MySpirulina GmbH, um die Alge einer breiten Zielgruppe bekannt und zugänglich zu machen - mit Growkits für zuhause.
Als in einem Kieler Studentenwohnheim plötzlich das Licht ausging, lag das nicht am Stromanbieter. Es lag an einem Glas voller Spirulina-Algen, das Biologiestudent Ben Schwedhelm auf seiner Fensterbank kultivierte. „Der Schlauch hat zurück ins Glas gesprudelt, das Wasser floss in die Steckdose – und das ganze Wohnheim hatte keinen Strom mehr“, erinnert er sich heute lachend. Für den Jungunternehmer war dieses Erlebnis der erste Grundstein für seine Geschäftsidee: Anbau von Spirulina-Algen für Endverbraucher einfach, sicher und zugänglich machen.
Spirulina gilt in der Forschung längst als Nahrungsmittel der Zukunft. Mit einem Proteingehalt von 60 bis 70 Prozent, dazu Vitaminen, Mineralstoffen und Antioxidantien, bietet die Mikroalge mehr Nährstoffe als viele klassische Lebensmittel. Sie wächst extrem schnell, benötigt wenig Wasser und kann auch dort gedeihen, wo Landwirtschaft nicht möglich ist. WHO und NASA setzen seit Jahren auf Spirulina als Ergänzung für Ernährungssicherheit.
Ben Schwedhelm entdeckte seine Leidenschaft für Algen während eines zweijährigen Aufenthalts in Südkorea. „Dort gibt es eine riesige Vielfalt an Algen in der Ernährung, zum Beispiel ganze Suppen, die nur aus Algen bestehen. In Deutschland kennen wir Algen als Lebensmittel praktisch nur als Sushi-Beilage.“ Spirulina, als Pulver oder Tablette in Deutschland angeboten, fand er geschmacklich wenig überzeugend. Also begann er selbst zu experimentieren – erst im Limoglas mit Kochlöffel, später mit improvisierten Licht- und Belüftungssystemen. „Das hat sofort funktioniert. Ich hatte mein erstes Spirulina-Mousse und konnte es einfach aufs Brot schmieren – ohne Geschmack, aber voller Nährstoffe. Die Wissenschaft ist sich längst einig, dass Algen wie Spirulina als das Nahrungsmittel der Zukunft gelten“, erklärt Schwedhelm. „Das Problem ist die Akzeptanz. Das Pulver riecht nach Fischfutter und landet im Schrank. Frisch angebaut und direkt essbar – das macht den Unterschied. Denn wir müssen bedenken, dass wir die Menschen zunächst von Spirulina, und dann noch einmal von frischer Spirulina überzeugen müssen.“
Das Produkt: frische Spirulina auf der Fensterbank
Schritt für Schritt erarbeitete Ben Schwedhelm nach seinem Experiment im Jahr 2021 ein System, das Spirulina-Anbau zu Hause ermöglicht: Glas, Wasser, Nährlösung und Starterkultur ergänzt durch Technik. Erst manuell, mittlerweile mit Zeitschaltuhr, Belüftungsstein und Lichtmodul. Das Ergebnis ist heute ein autarkes, kompaktes Kit, das über die MySpirulina GmbH im Verkauf ist: Ein Glas mit Deckel, in dem Belüftung, Filter und Lichteinheit integriert sind, dazu eine Starterkultur, Nährlösung für drei Monate und eine Anleitung. „Man packt alle Elemente aus, füllt Leitungswasser auf, gibt die Spirulina dazu, stellt es auf die Fensterbank und wartet, der Rest passiert automatisch“, erklärt der Unternehmer. Nach zwei Wochen lassen sich erstmals rund 50 Gramm frische Spirulina ernten. Durch den Filter verbleiben kleinste Spirulina-Zellen, die die nächste Kultur starten – ähnlich wie ein Sauerteig. „Am Ende wird es deine eigene Spirulina-Kultur“, sagt Schwedhelm.
Das Geschäftsmodell folgt dem Razorblade-Prinzip: Neben dem Starterkit, das derzeit 149 Euro kostet, liefert das Unternehmen regelmäßig Nachfüllsets mit Nährlösung. Das Besondere: Die Spirulina ist frisch, neutral im Geschmack und kann vielseitig verwendet werden – im Smoothie, im Kuchen oder einfach aufs Brot gestrichen.
Aus dem anfänglichen Solo-Projekt entstand ein Gründerteam: Yannic, ein alter Handballfreund, brachte Hardware- und Softwarekompetenz ein. Später kamen Sarah (Kommunikation, Marketing) und Jan (Biologie, Produktentwicklung) dazu. Heute arbeitet das Quartett im Kieler Innovations- und Technologiezentrum (KITZ). Unterstützt wurde das Team intensiv durch das Zentrum für Entrepreneurship (ZfE) Kiel. „Da haben wir zum ersten Mal darüber nachgedacht, die Idee größer zu denken“, sagt Ben Schwedhelm. Unter anderem konnte sich die MySpirulina GmbH mit dieser Hilfe das EXIST-Gründerstipendium (seit August 2024) sichern. Das Stipendium enthalt zwölf Monate Lebenshaltungskosten und 30.000 Euro Entwicklungsgelder. „Das hat uns erlaubt, uns ein Jahr lang komplett auf MySpirulina zu konzentrieren – ohne nebenbei kellnern zu müssen.“ Im November 2024 verkaufte MySpirulina die ersten 100 Prototypen als Beta-Version, um Feedback einzusammeln. Seitdem ist das Produkt mehrfach verbessert worden.
Noch produziert MySpirulina die Elemente für die Starterkits per 3D-Druck, was flexibel, aber langsam ist. Nun stehen Gespräche mit Herstellern für eine industrielle Produktion an. „Wir wollen günstiger werden, um mehr Menschen den Zugang zu ermöglichen“, sagt Schwedhelm. Parallel arbeitet das Team an einer ersten Finanzierungsrunde. Ein zweites Standbein soll der Bildungsbereich werden: Sechs Schulen in Schleswig-Holstein nutzen bereits MySpirulina-Farmen im Unterricht für Experimente zu Photosynthese und Nährstoffkreisläufen. Kinder backen grüne Plätzchen oder probieren Spirulina im Smoothie. Ben Schwedhelm freut sich über diese gelungene Phase der Aufklärungsarbeit: „Dieser Aha-Moment, wenn sie sehen, dass ein Keks grün ist und trotzdem normal schmeckt, ist unbezahlbar.“
Perspektive: Algen auf dem Teller, nicht nur im Labor
Die größte Hürde sei die Akzeptanz – und der Preis. „149 Euro sind viel, wenn man Spirulina noch nie probiert hat“, so der Biologe. Deshalb will das Unternehmen frische Spirulina in Cafés, Yoga-Studios oder Restaurants anbieten. Geplant sind Spirulina-Shots, Eis oder Smoothies, um Berührungsängste abzubauen. Ob also als Snack im Café, Experiment im Schulunterricht oder blubberndes Glas auf der Fensterbank: MySpirulina will die Alge aus der Nische holen. Für Ben Schwedhelm ist das nicht nur ein Geschäft, sondern auch eine Überzeugung: „Algen sind das Nahrungsmittel der Zukunft. Mit unserer Farm können Menschen sie zu Hause kennenlernen – frisch, unkompliziert und ohne Hürde.“ Sein persönliches Lieblingsrezept mit frischer Spirulina? „Spirulina-Zitronenkuchen – er ist knallgrün, schmeckt aber ganz normal. Genau das zeigt: Man kann Spirulina überall integrieren.“
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Julia Romanowski