Interview: Tobias Goldschmidt

"Ein gigantisches Infrastrukturprojekt"

Schleswig-Holstein ist der Dreh- und Angelpunkt der Energiewende. Staatssekretär Tobias Goldschmidt spricht über die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele, wichtige Innovationsbilanzen und die Kosten für Unternehmen - und wie Forschung und Innovationen gefördert und in Berlin verankert werden können.
Ist es in der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein möglich, die ambitionierten energiepolitischen Ziele der Grünen durchzusetzen?
Ja - die Energiewende ist ohnehin ein richtiges Schleswig-Holstein-Projekt. Erst kürzlich hat der Landtag mit breiter Mehrheit die Ziele des Klimaschutz- und Energiewendegesetzes bestätigt. Außer dem Ausbau der erneuerbaren Energien gibt es breite Unterstützung auch für die Sektorintegration, die Förderung der Elektromobilität, die Stärkung der Energieforschung und den Ausbau von Energiekooperationen. Das Thema bietet so viele Chancen und Herausforderungen, dass es sich für den Parteienstreit gar nicht eignet.
Was sind die energiepolitischen Meilensteine der aktuellen Legislaturperiode?
Wirtschafts- und energiepolitisch ist die Windenergie unsere Stärkenposition und soll es auch bleiben. Aktuell sind rund 6,3 Gigawatt Leistung installiert. Für den weiteren Ausbau haben wir im Koalitionsvertrag klare Ziele festgelegt. Die Onshore-Windenergie soll bis 2025 einen Beitrag von zehn Gigawatt installierter Leistung erbringen. Dafür sollen rund zwei Prozent der Landesfläche bereitgestellt werden. Den zweiten Planentwurf wollen wir noch 2018 beschließen. Entscheidend für die Energiewende bleibt der Netzausbau. Zum Ende dieser Legislaturperiode wollen wir alle wichtigen Höchstspannungsvorhaben in Betrieb genommen haben: die Mittelachse, die West- und die Ostküstenleitung sowie die Seekabelverbindung NordLink nach Norwegen. Die Energiewende ist ein gigantisches Infrastrukturprojekt. Wir brauchen den Stromnetzausbau auf Netzebenen wie Smart Meter, Breitbandinternet, den Ausbau der Wärmenetze, Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge und Speicher. Ein wichtiger Baustein für die Energiewende ist die Innovationsallianz NEW 4.0: Ziel dieses Innovationslabors ist es, die Grundlagen zu schaffen, um die Region bis 2030 auf 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien umstellen zu können. Zudem setzen wir auch die Aktivitäten zur Wärmewende fort. Der Wärmesektor benötigt künftig größere Aufmerksamkeit, schließlich entfallen auf die Bereiche Raumwärme, Warmwasser und Prozesswärme etwa 50 Prozent des Endenergieverbrauchs Deutschlands. Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand im Jahr 2050 gibt es zwei große Stellschrauben: die Reduktion des Wärmeenergiebedarfs und die Integration erneuerbarer Energien. Wärmenetze können die ideale Infrastruktur sein, um erneuerbare Energien kosteneffizient in den Wärmemarkt zu integrieren.
Was sind die nächsten Schritte, um die Windenergie als Wirtschaftsfaktor zu sichern?
Ohne Windenergie an Land wäre Schleswig-Holstein heute kein Energiewendeland und viele Innovationen würden woanders entstehen. Die Branche braucht jetzt Klarheit und Planungssicherheit. Die zügige Festlegung rechtssicherer Regionalpläne für Windenergie an Land ist dafür der entscheidende Hebel. Hieran wird im Innenministerium unter Hochdruck gearbeitet. Auf Bundesebene werden wir uns dafür einsetzen, dass das Netzausbaugebiet, das für die norddeutschen Länder Beschränkungen im Ausschreibungsverfahren mit sich bringt, 2019/20 auch tatsächlich abgeschafft wird, dass künftig eine Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz Voraussetzung für die Teilnahme an Ausschreibungen wird und dass die Ausbauziele und -mengen angehoben werden.
Was tut die Landesregierung dafür, dass Energie für die Unternehmen bezahlbar bleibt?
Wir haben Eckpunkte zur Reform der Abgaben und Umlagen auf Bundesebene entwickelt. Die erneuerbaren Energien müssen günstiger werden und die fossilen im Gegenzug teurer. Zentraler Punkt ist, die EEG-Umlage von Kosten für Industrieausnahmen und von Kosten der Technologieförderung zu entlasten. Denn es ist nicht Aufgabe der Stromkunden, diese Kosten zu tragen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen würden durch eine solche Reform spürbar entlastet, weil sie derzeit überwiegend die EEG-Umlage zahlen. Gegenfinanziert werden soll dies über eine Bepreisung von CO2-Emissionen. Unternehmen, die CO2-arme Technologien einsetzen, werden zu den Gewinnern der Reform gehören. Wir brauchen endlich ein innovationsorientiertes Steuer- und Abgabensystem im Energiebereich.
Zur Person
Tobias Goldschmidt, Jahrgang 1981, ist seit 2017 Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung. Zuvor war er Referatsleiter der Koordinierungsstelle und Leiter der Stabsstelle Energiepolitik. Goldschmidt hat Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Georgetown University in Washington, DC, studiert. Vor seinem Wechsel ins Kieler Ministerium war er als Kommunikationsberater tätig.
Im Norden gibt es viele innovative Projekte zur Ausgestaltung des Energieversorgungssystems. Wie wollen Sie diese in Berlin verankern?
Außer der Reform von Steuern und Abgaben fordern wir die Erprobung eines technologieoffenen und diskriminierungsfreien Wettbewerbs der Energieträger. Es wurden mit der Experimentierklausel für die Schaufenstermodelle wie NEW 4.0 zwar Angleichungen der wettbewerblichen Bedingungen geschaffen. Diese sind aber nicht ausreichend. Vor allem die anteilige EEG-Umlage und die Stromsteuer sind in Verbindung mit geringen Preisen für fossile Energieträger für die Realisierung von Projekten problematisch.
Gibt es Bestrebungen seitens der Landesregierung, die Forschung stärker zu unterstützen?
Ja - für Schleswig-Holstein bietet sich die besondere Chance, Reallabor für eine vollständige Energieversorgung mit erneuerbaren Energien zu werden. Wir wollen die Erforschung, Entwicklung und Produktion optimieren, um die Energiewende weiter voranzubringen und der Welt zu zeigen, wie es geht. Dabei müssen wir unsere Stärken ausspielen. Es ist ein herausragender Erfolg, dass Millionenbeträge aus Bundesmitteln für Projekte wie NEW 4.0 und den Feldversuch eHighway nach Schleswig-Holstein fließen. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wären geradezu mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie diese Chance nicht ergreifen würden. Ich jedenfalls will das in den nächsten Jahren tun.
Interview: Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 2. Februar 2018