Politikberatung

Mehr fördern, weniger fordern

Unternehmertum schafft Wertschöpfung und gesellschaftliche Entwicklung. Damit das gelingt, setzen sich die IHKs mit ihrer Politikberatung für optimale Standortbedingungen ein. Das Credo: Nicht so viel meckern, sondern Angebote machen.
Anfang des Jahres verschickten die Parteien eine abgestimmte Mail mit einer Deadline: Verbände, Kammern und Organisationen müssten ihre Wahlbausteine bis Ende Januar eingereicht haben. Andernfalls könnten die Parteien Positionen und Forderungen nicht mehr berücksichtigen. Das zeigt: Auch bei uns im Land und allen voran in der Landeshauptstadt gibt es eine wachsende Zahl von Interessenvertretern. Zu den Ministerinnen und Politikern durchzudringen, kann also ein sehr zähes Geschäft werden. Wie verschaffen sich die IHKs da Gehör?
Das Alleinstellungsmerkmal ist klar: Anders als in Verbänden mit freiwilliger Mitgliedschaft vertreten die IHKs Flensburg, zu Kiel und zu Lübeck das Gesamtinteresse der rund 175.000 Unternehmen in Schleswig-Holstein, und das nicht nur auf Basis eines Gesetzes, sondern wegen ihres Auftrags: die Interessen der Wirtschaft zu bündeln und neutral zu vertreten. Das setzt die Ermittlung und Abwägung von Einzelinteressen voraus, um am Ende ein Gesamtinteresse entstehen zu lassen - unter Berücksichtigung von Mindermeinungen. Die IHK gibt Stellungnahmen zu geplanten Gesetzen ab, startet Gesetzesinitiativen, berät Politik und Verwaltung durch Vorschläge, Gutachten und Berichte in wirtschaftlichen Fragen und verleiht der regionalen Wirtschaft eine Stimme. Nur: Was heißt das in der Praxis?
Besonders sichtbar wird Politikberatung in Wahlkampfzeiten. Denn genau dann braucht es eine überzeugende Interessenvertretung. Nur mit konkreten, stichhaltigen und verständlichen Forderungen ist es möglich, bei der Politik eine Wirkung zu erzielen. Das Ziel ist es, möglichst viele Positionen im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung in einem neuen Koalitionsvertrag zu setzen. Vom Einsammeln der Einzelforderungen bis zur Arbeit während der Koalitionsverhandlungen vergeht rund ein Jahr. In dieser Zeit sind Hunderte Unternehmerinnen und Unternehmer durch Impulse, Facharbeit und intensive Befassung an der Positionsbildung beteiligt: in Dialogformaten, Arbeitskreisen und den IHK-Vollversammlungen. Am Ende steht ein gemeinsam erarbeiteter und legitimierter Forderungskatalog samt Lösungsansätzen, der die vielen Einzelinteressen zu einem ausgewogenen Gesamtinteresse bündelt. Wenn eine Institution im Jahr 2022 den “Bürokratieabbau“ oder “steuerliche Erleichterungen“ als schemenhaftes Ganzes fordert, werden viele Politikerinnen und Politiker zu Recht auf Durchzug schalten.
Die IHKs haben sich daher zum Ziel gesetzt, weniger “Me-too-Themen“ zu bespielen und nicht nur Probleme zu bestaunen, die die Wirtschaft beschäftigen, sondern konkrete Angebote zu schaffen. Die IHKs setzen sich für bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen ein, erkennen jedoch politische Ziele an. Sie unterstützen bei der wirtschaftsfreundlichen Erfüllung dieser Ziele, indem sie etwa nachteilige Entwicklungen für die Wirtschaft aufzeigen. Kurzum: mehr fördern, weniger fordern.
Karsten von Borstel
Veröffentlicht am 4. Juli 2022