Wirtschaftspolitik im Norden

Impulse setzen, Politik bewegen

Ob Fachkräfte, Unternehmerrollen oder Energiepolitik: Drei Unternehmerinnen und Unternehmer aus Schleswig-Holstein machen vor, wie sie die Wirtschaftspolitik im Norden aktiv mitgestalten. Das gelingt ihnen über ihre Ehrenämter.
Seine Laufbahn führte ihn über Sylt über Bulgarien bis nach Istanbul und Belarus: Hans-Peter Hansen war seit 1975 beteiligt am Aufbau der Altstadt-Gastronomie Köln, organisierte Aftershow-Partys mit den Rolling Stones, und eröffnete 1993 in Schleswig-Holstein ein Gasthaus. Mit seiner Firma Media & Gastro Consulting Hansen in Voldewraa im Kreis Schleswig-Flensburg ist Hansen seit 2008 Mittler zwischen Behörden und Ministerien zur Gastronomie, Hotellerie und zum Tourismus. “So wirke ich an der Weiterentwicklung meiner Branche mit“, sagt Hansen.
Mit derselben Energie engagiert sich Hansen ehrenamtlich - als Kreisverbandsvorsitzender des Dehoga Schleswig-Flensburg, als Bewertungskommissar der Deutschen Hotelklassifizierung, als Beirat im Dehoga Landesverband in Kiel, im Marketing-Beirat der Tourismus Agentur Flensburger Förde, als Mitglied im Tourismusausschuss der IHK zu Flensburg, als Mentor der IHK zu Kiel. Die Tafel Flensburg unterstützt Hansen wöchentlich mit einem Kochangebot. “Aktuell habe ich mit der WAK Husum die Teilqualifizierung ins Leben rufen können“, sagt Hansen. “Quereinsteiger haben mit diesem Programm die Chance, wieder im Berufsleben anzukommen und mit einer IHK-Prüfung dann als Koch zu arbeiten.“ Aktivitäten wie diese sind es, die den Unternehmer immer wieder motivieren, sich für seine Branche zu engagieren.
“Mit der Teilqualifizierung verbessern wir etwa die Arbeitsmarktbedingungen.“ Der Fachkräftemangel in der Gastronomie, sowohl im Lehr- als auch im Arbeitsbetrieb, beschreibt den akuten Handlungsbedarf. “Wir müssen Nachwuchs an allen Enden fördern“, sagt der Unternehmer. “So haben wir durch die Kontakte zur Tafel und zur Agentur für Arbeit Menschen in einen Lehrvertrag helfen können.“ Hansen beschreibt sich als ehrgeizig, hat hohen Anspruch an seine ehrenamtlichen Aufgaben. Den guten Kontakt und Dialog mit der Landespolitik weiß Hansen bei seinem Engagement zu schätzen – und zu nutzen.
Auch Lara C. Roßmeißl, geschäftsführende Gesellschafterin der GSK vertrauen punkt erfolg GmbH aus Hohenfelde, betrachtet ihr Ehrenamt nicht als Selbstzweck, sondern schaut genau hin, wo sie ihre Kenntnisse und Stärken einbringen und Veränderungen bewirken kann. Mit ihrem Ehemann Martin R. Roßmeißl führt sie das Unternehmen, zu dessen Kerngeschäft die Herstellung von Druckprodukten sowie alles rund um Etikettierung und Kennzeichnung zählen. So lieferte das Unternehmen für die Medizintechnikbranche Etiketten zur Kennzeichnung von Test-Kits zum Nachweis des SARS-CoV-2-Erregers.
Insbesondere Erfahrungen aus der Wendezeit haben die gebürtige Berlinerin beeinflusst - bis heute: “Ich habe als junge Frau nach der Wende mit Jugendlichen ehrenamtlich gearbeitet. Sie hatten trotz Schulausbildung keine Aussicht auf einen späteren Platz in der Gesellschaft. So ein Klima schafft Raum für Ressentiments und bildet den Boden für Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit.“ Seither beschäftigt Roßmeißl die Frage, wie sich negative soziale Entwicklungen aufhalten lassen, auch im Sinne einer funktionierenden Wirtschaft. “Ich glaube, dass es darauf ankommt, so viele Menschen wie möglich an Erfolg und Fortschritt zu beteiligen, natürlich in erster Linie über sozialverträgliche Arbeitsplätze und faire Entlohnung“, sagt sie, „aber auch über das Engagement für andere. Wenn immer nur die starken Schultern etwas für die vermeintlich Schwächeren tun, ist das auf Dauer ein problematisches Ungleichgewicht.“ Unter anderem deshalb ist Lara Roßmeißl seit mehr als acht Jahren für den Business and Professional Women Germany-Club Kiel e.V. (BPW) aktiv. “Vor der Pandemie haben wir eine Gruppe von Elftklässlerinnen in einer Gemeinschaftsschule besucht, die sich um ein Praktikum bemühen mussten“, erzählt sie.
“Es herrschte Unsicherheit darüber, wie sinnvoll ein solches Praktikum zu einem Zeitpunkt sei, wo viele von ihnen noch nicht wissen, was sie beruflich machen wollen.“ Gleichzeitig fehlte es den Schülerinnen an Orientierung, da sie mangels Kontakten zur regionalen Wirtschaft meist in den üblichen Dienstleistungsbranchen oder den Firmen der Eltern landeten, teilweise in dem Wissen, dass sie diese Berufe später nicht ausüben wollten. Roßmeißl: “Wir BPW-Frauen teilten unsere beruflichen Höhen und Tiefen sehr offen mit ihnen und konnten mit dem Missverständnis aufräumen, dass beruflicher Erfolg immer geradlinig verläuft. Mir zeigt diese Erfahrung, dass Schülerschaft, Studierende und regionale Wirtschaft noch zu wenig durchdrungen sind, trotz des Fachkräftemangels“, sagt Roßmeißl. Von der Politik wünscht sich die Unternehmerin darüber hinaus eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Kitaplätze und Personal. “Manche denken, das Problem sei gelöst, aber seit dem ersten Lockdown ist die Situation für Familien und insbesondere berufstätige Mütter noch prekärer geworden“, beschreibt Roßmeißl die Lage. „Hier muss dringend etwas geschehen!”
In der Hansestadt Lübeck ist Jochen Brüggen als Geschäftsführer der H. & J. Brüggen KG einer der führenden Hersteller von Müsli, Cerealien und Riegeln - und engagierter Unternehmer in mehr als 20 Ehrenämtern. Als Mitglied des Präsidiums der IHK zu Lübeck gestaltet er die Wirtschaftspolitik im Norden mit, engagiert sich in den Bereichen Energie und Industrie am Standort, ist vertreten im Vorstand des UV Nord, im Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS e. V., im Netzwerk Haus der kleinen Forscher und ist Österreichischer Honorarkonsul. Im Dialog mit der Politik steht Brüggen über den Vorstand des foodRegio-Netzwerks der Ernährungsindustrie in Norddeutschland. Die Energieversorgung ist eins der entscheidenden Themen für den Unternehmer. “Nahrungsmittelherstellung ist sehr energieintensiv und wir erleben derzeit eine akute Energiekrise“, erklärt er. “Wir hören aus Politik und Presse zunehmend Forderungen nach einem Embargo auch für Gas gegenüber Russland. Der Auftrag der Ernährungsindustrie, die Bevölkerung mit preiswerten Lebensmitteln zu versorgen, ist aber ohne gesicherte Energieversorgung nicht erfüllbar.“ In der Diskussion käme zu kurz, wie notwendig die Gasversorgung für das Fortbestehen der deutschen Wirtschaft sei. Getreideverarbeiter wie Brüggen sind als Kunden der Landwirtschaft indirekt von der Verfügbarkeit von Düngemitteln abhängig - die ebenfalls aus Gas produziert werden. Und ohne Düngemittel werden weitere Ernteausfälle folgen: “Durch den Krieg sind die maßgeblichen Player in der Getreidewirtschaft, Russland und die Ukraine, ausgeschaltet. Folglich stehen wir vor einer Ernährungskrise.“ Die Gespräche mit der Politik nahm Brüggen jedoch als zielführend wahr, im Rahmen des schleswig-holsteinischen Wahlkampfes tauschte er sich im Rahmen seiner vielfältigen Ehrenämter intensiv mit Thomas Losse-Müller (SPD) sowie Cem Özdemir und Monika Heinold (Grüne) aus. Seine Botschaft, die er auch über seine Ehrenämter streut, ist klar: mehr Flexibilität bei den Erneuerbaren, schnellere Genehmigungsverfahren, kein Getreide für Biofuels.
Auf offene Ohren hofft Brüggen auch zur Lieferkettensorgfaltspflicht. Das Gesetz wird kritisch im Vorstand des UV Nord beäugt und die Auswirkungen auf die schleswig-holsteinische Wirtschaft abgewogen. “Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass wir mit diesem Gesetz in Deutschland zur denkbar schlechtesten Zeit einen Alleingang hinlegen. Wir können froh sein, wenn wir überhaupt noch Rohstoffe und Verpackungsmaterial erhalten.“ Lieferanten aus Lateinamerika oder Indonesien würden sich durch geforderte Dokumentationspflichten sowie weiterhin geltende Reisebeschränkungen durchaus von deutschen Unternehmen abwenden, so Brüggen. Klare Kommunikation, auch über die Positions- und Forderungspapiere der IHKs und die direkte Ansprache auf allen politischen Ebenen, sorge hier für Abhilfe. Brüggen betont: “Wir Unternehmer sind nah dran an den Themen, die unser Bundesland und ganz Deutschland bewegen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass uns die Politik zuhört.“
Julia Königs
Veröffentlicht am 4. Juli 2022