Arbeitswelten

Komm ins Offene

Unabhängigkeit von Ort und Zeit, virtuelle Kollaboration, Sharing-Konzepte, Wohlfühlatmosphäre: Arbeitsmodelle von morgen verbinden die Lebenssituationen von Arbeitnehmern mit den Erwartungen und Möglichkeiten der Betriebe.
Heute sind es Schlagworte wie Wissenstransfer, Nachhaltigkeit und Kommunikation, die die Arbeitsorte von morgen bestimmen. Wie wir arbeiten und leben wollen, danach müsse man aber kontinuierlich fragen, sagt Industriedesign-Professorin Dr. Bettina Möllring von der Muthesius Kunsthochschule Kiel. “Allgemein wird offener und kommunikativer gearbeitet, Netzwerke sollen schnell bedient werden, vor allem digital.” Gleichzeitig sollte es nicht komplett virtuell werden, denn ohne kollegiales Gegenüber könne man auch schnell unproduktiv werden. “Man muss Kollegen auch mal sehen.” Es gehe um die Balance zwischen Zusammenkommen und konzentriertem Fokus, so Möllring. Entscheidend hierbei: Angebote der Arbeitgeber, um die Belegschaft für sich zu gewinnen. “Das zeigt, dass Arbeitgeber ihren Angestellten etwas zurückgeben wollen. Lebensqualität steht im Mittelpunkt der Arbeit von morgen.”

Ruhezonen

Dass der notorische Tischkicker, Eismaschinen und Co. weiterhin in Büros Einzug halten, bewertet Möllering  dabei positiv: “Es geht nicht um den Kicker per se, sondern um einen Ort, an den man sich zurückzieht, wenn man Pause machen, Stress loslassen will. Im einen Betrieb ist es das Firmenrad, woanders ist es die Etage der Ruhe, und in der dritten Firma gibt es den Fitnessraum.” Beim Arbeiten von morgen gehe es weniger um reine Gestaltung als um Handlungen. “Es braucht Orte, die in ihrem Design Möglichkeiten neuen Arbeitens zulassen. Und Unternehmen müssen gewillt sein, etwas zu verändern - an der räumlichen Situation und am Arbeiten an sich. Design-Thinking- Workshops, von Coaches moderiert, können helfen. Man muss dieses Neue erfahrbar machen.”

Hybride Neubauten 

An anderen Stellen wird es bereits konkret: Für den Neubau der Verwaltung im Marie-Curie- Ring in Flensburg arbeitet die team AG mit dem Architekturbüro Asmussen & Partner GmbH zusammen. „Der Bau ist ein Hybrid aus 400 Quadratmeter großen Büroflächen, die in Nutzungseinheiten in modularer Bauweise eingeteilt werden. Das ist die Zukunft“, sagt Volker Dücker, Architekt und Gesellschafter der Asmussen & Partner GmbH. Für die team AG entstehen Bereiche für den Rückzug und für Besprechungen in dezenten Farben. Die richtige Akustik ist entscheidend: “Es darf nicht zu laut sein, und das geht nur, wenn man individuelle Kernbereiche und Separees schafft.” Zusätzlich wird ein Essbereich mit Vollküche hinter dem Foyer gebaut. „Dieser Raum ist komplett umgeben von Grünem“, sagt Dücker. “Man gelangt auf eine Terrasse und in die Freianlage: Pavillons, Stege, Spazierwege zum Entspannen.”
Für Dücker gehört die klassische Bürostruktur der Vergangenheit an. “Arbeitsorte von morgen werden Marktplätze, wo man mit Trolley und Notebook zur Arbeit kommt und sich einen freien Platz sucht”, sagt er. “Gleichzeitig hat das Wohl der Mitarbeiter einen anderen Stellenwert als früher. Arbeitgeber müssen ein Wohlfühlklima schaffen - in der Architektur und der Raumgestaltung. Arbeitnehmer wollen gepflegt werden.” Was den Kunden außerdem wichtiger geworden sei? “Solarenergie auf den Dächern, zentralisierte Wärmezufuhr sowie Dach- und Fassadenbegrünungen”, sagt der Architekt. Auch Mobilität wird mitgedacht. Ob es Parkplätze gibt oder man E-Räder an die Belegschaft verteilt, sind Fragen, die Bauherren umtreiben. “Nachhaltigkeit ist in aller Munde, und das nicht nur als Schmuckwerk, sondern als ganzheitlicher Ansatz.”

Co-Working 

Vor allem wolle man weg vom stationären Schreibtisch, meint Nicole Dau, Teammitglied der Genossenschaft CoWorkLand eG: “Stattdessen sind mobile Lösungen gefragt, bei Selbstständigen und Festangestellten gleichermaßen. Die Prämisse: Arbeit soll sich an das Leben anpassen, nicht andersherum.” Die CoWorkLand eG vernetzt deutschlandweit Co-Working-Spaces, um Betreiber zu unterstützen und Nutzern eine breite Auswahl an Arbeitsplätzen aufzuzeigen. “Man kann frei entscheiden, welcher Space dem Zuhause am nächsten liegt, um Pendelzeiten zu verringern.
Viele Menschen können oder wollen kein Homeoffice machen, zum Beispiel wegen fehlender Trennung zwischen Privatem und Arbeit”, so Dau. Spaces wie der Alte Heuboden in Felde, der eine Sonnensegelmacherei beheimatet, oder der in Hitzacker, in dem eine Theatergruppe Auftritte einübt, sind beliebt, auch wenn nicht alle Berufsgruppen auf räumliche Anwesenheit verzichten können. Dau: “Viele Branchen entdecken, dass sich doch mehr digital und somit ortsungebunden abbilden lässt als vermutet. Das Modell richtet sich längst nicht nur an hippe Digitalarbeitende. So hat ein Pilzzüchter einen Raum vollständig für die Zucht umgebaut.”

Co-Living 

Manche Spaces bieten auch Kinderbetreuung an, im zugehörigen Garten kann man Gemüse anpflanzen, Workshops besuchen, Yoga machen, beim Bäcker Brötchen kaufen. Co-Working ist keine Lohnarbeit in geteilten Großraumbüros, sondern die vielfältige Gemeinschaft, die sich um die Gemeindehäuser bildet: vom Co-Working zum Co-Living. Das beste Beispiel ist der Alsenhof bei Lägerdorf, eine Genossenschaft in Gründung. Zwischen Silotürmen, Ställen und Heuböden im Grünen entsteht ein in sich geschlossenes Ökosystem: Marktplätze, Lern- und Lehrwerkstätten, Gastronomie, Events, Wohntrakte. Ein potenzieller Ort von morgen, an dem Zusammenarbeiten in Zusammenleben übergeht.
Julia Königs