Interview: Georg Conradi über Gewerbearchitektur

"Schema F funktioniert nicht"

Auch der Gewerbebau unterliegt Moden, aber er stellt immer besondere Herausforderungen an den Architekten. Georg Conradi, Professor am Fachbereich für Bauwesen der Fachhochschule Lübeck, spricht im Interview mit der Wirtschaft über Gewerbebautrends, die Wirkung von Gebäuden und Unterschiede zum Wohnungsbau.
Wirtschaft: Kürzlich hat die Kaufmannschaft zu Lübeck ihren "Architekturpreis für Gewerbebauten" vergeben. Sie saßen in der Jury. Was hat den Siegerbau der Lübecker Wache GmbH ausgezeichnet?
Georg Conradi: Zunächst ist da die für ein Gewerbegebiet vollkommen atypische Gartenlandschaft. Es entsteht gleich eine erfreute Stimmung. Die gekippte Fassade des Gebäudes bildet sich auch sichtbar im Grundriss ab, der nicht rechtwinklig zur Produktionshalle steht. Die weitausladende Dachkonstruktion erinnert schon fast an ein modernes Museum und nicht an einen metallverarbeitenden Betrieb. Überraschend ist dann der Blick in die Produktionshalle mit hohen Leim-Holzträgern an der Decke - ein schönes warmes Klima mit Tageslicht im Kontrast zum Metallgewerk. Die Beheizung erfolgt über besonders energiesparende und auch gesunde Infrarot-Deckenstrahler, die Sonnenwärme imitieren. Ein gelungenes Gesamtkonzept des Architekten Michael Stropeit.
Wirtschaft: Gibt es aktuelle Trends in der Architektur von Gewerbebauten?
Conradi: Natürlich. Architektur ist genauso Modekind der Zeit wie andere Moden. Es geht um die Fassade, also die Oberfläche oder die Haut des Gebäudes, und die unterliegt dem Wandel der Zeit - sowohl technisch als auch ästhetisch. Unternehmen wollen nicht nur produzieren, sondern sie wollen auch sich selbst produzieren - und das nicht nur mit dem eigenen Produkt, sondern auch mit der eigenen Produktionsstätte. Beste Beispiele sind die Trendsetter in der Autoindustrie: das Porsche-Auslieferungscentrum in Stuttgart oder die BMWWorld in München. Da geht es ums Prestige. Auch Dräger präsentiert sich mit seinem gelungenen Büro- und Laborgebäude an der Lachswehr in Lübeck. Das große Thema im Moment ist die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel, innerhalb und außerhalb von Gebäuden.
Wirtschaft: Was spielt da eine Rolle?
Conradi: Bei Hallen ist die natürliche Be- und Entlüftung wichtig. Wie entsteht das Klima? Wie schaffe ich für meine Mitarbeiter gesunde Arbeitsplätze mit maximaler Energieeinsparung und hohem Komfort? Und das Ganze sollte natürlich noch angenehm verpackt, also ästhetisch ansprechend sein, sodass der Mitarbeiter gern an seinen Arbeitsplatz kommt. Wenn der Qualitätsanspruch an den Außenraum auch im Innenraum fortgesetzt werden kann, dann ist das Ziel eines gelungenen Gewerbebaus erreicht.
Wirtschaft: Lassen sich durch ein ansprechendes Firmengebäude Fachkräfte gewinnen?
Conradi: Zumindest hilft ein angenehmer Arbeitsplatz Unternehmen dabei, ihre schon vorhanden Fachkräfte zu halten, die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist viel höher. In einem schönen Ambiente wird das Wirgefühl deutlich ausgeprägter sein.
Wirtschaft: Unternehmen profitieren bei einem gelungenen Gewerbebau also sowohl hinsichtlich der Sicherung ihrer Fachkräfte als auch durch die erhöhte Außenwirkung?
Conradi: Ja, und Letzteres ist natürlich auch verkaufsfördernd, wenn Kunden angesprochen werden. Die positive Ausstrahlung eines Gebäudes ist also letztlich ein doppelter Gewinn für das Unternehmen - als Werbeträger profitabel und auch günstig: Ein Gebäude muss schließlich sowieso gebaut werden.
Wirtschaft: Was muss ein Architekt bei Gewerbebauten im Vergleich zum Privathaus beachten?
Conradi: Der Architekt muss sich mit den Handlungsabläufen im Betrieb auseinandersetzen und sie kennen. Beim Wohnen ist dem Architekten die Funktion eines jeden Raumes durch eigene Erfahrung bekannt, während ein Gewerbebau jeweils sehr spezifisch ist. Der Architekt muss die Funktionsabläufe kennen, er muss sich Gedanken darüber machen, was genau in dem Gebäude passiert: Ein Gebäude eines Zeitungsverlags hat natürlich ganz andere Ansprüche als eine Werkhalle oder ein Krankenhaus. Der Architekt kann nicht einfach nach "Schema F" vorgehen, sondern muss immer das Besondere herausfinden.
Interview Jan Philipp Witt
Veröffentlich am 3. September 2014