Medieninformation vom 21. Mai 2021

IHK appelliert an EU und Schweiz für ein ausgleichendes Rahmenabkommen

Droht nun also nach dem Brexit ein Schwexit? „Ein Bruch mit der Europäischen Union (EU) kann kaum im Interesse der Schweiz sein“, sagt IHK-Außenwirtschaftsexperte Jörg Hermle. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung gemeinsam mit der University of Sussex aus dem Jahr 2019 profitiert die Schweiz mehr als jedes andere Land vom EU-Binnenmarkt - und das, ohne EU-Mitglied zu sein.
Bislang sind die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz in über 100 bilateralen Verträgen geregelt und müssen immer wieder aktualisiert werden. „Mit dem neuen Rahmenabkommen sollte das alles einfacher werden. Die Verträge sollten in einigen Bereichen automatisch an EU-Recht angepasst werden“, fordert IHK-Vizepräsident Dr. Steffen P. Würth. Im Monat Mai droht de facto das Auslaufen eines wichtigen bilateralen Vertrages für technische Handelshemmnisse.
Auf der einen Seite nimmt die Schweiz am EU-Forschungsrahmenprogramm teil, kommt in den Genuss für Erleichterungen bei Lizenzen für Patente und Produkte, und die Lebensmittelindustrie bezahlt kaum Zölle. Außerdem steht sie für Baden-Württemberg sehr erfolgreich an dritter Stelle als Handelspartner nach den USA und China.
 
Auf der anderen Seite werden Industrie- und Handwerksfirmen mit unterschiedlichen Auflagen der Schweiz konfrontiert, zum Beispiel mit Meldepflichten mindestens acht Tage vor Arbeitsaufnahme für Personalien und Einsatzort, mit der Einhaltung des Schweizer Mindestlohnes, einer Kautionshinterlegung und der Beantragung einer Schweizer Steuernummer. „Die Schweiz hatte diese Auflagen unter dem Schlagwort ‚Flankierende Maßnahmen gegenüber der EU‘ durchgesetzt. Das muss man unter dem Siegel eines übertriebenen Protektionismus sehen“, so Dr. Würth.
Am 23. April dieses Jahres kam es zu bilateralen Gesprächen zwischen der EU und der Berner Regierung. Nach den Gesprächen mit der EU sieht die Schweiz allerdings noch weiteren Redebedarf. „Sollte das Rahmenabkommen scheitern, bleiben die bestehenden bilateralen Verträge zwar bestehen, doch ob in Zukunft weitere Verträge abgeschlossen werden können ist mehr als fraglich“, sagt Dr. Steffen P. Würth.
„Zahlreiche Medizintechnikunternehmen in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg sorgen sich jetzt schon darum, dass durch mangelnde gegenseitige Anerkennung von Normen und Bewertungen die Kosten künftig für Neuzertifizierungen erheblich steigen werden. Es müssten ebenso jeweils gesetzliche Vertreter eingesetzt werden. Nichttarifäre Handelshemmnisse verteuern damit den Marktzugang nach beiden Seiten und stören die Lieferketten“, ergänzt der IHK-Vizepräsident. Weitere Problemfelder seien die Aktualisierung der Maschinenrichtlinie und der Abschluss eines Stromabkommens. Gerade in der jetzigen Situation, in der die Coronapandemie bewältigt werden kann, benötigt die deutsche Wirtschaft Verlässlichkeit und einen offenen Marktzugang. Das gilt auch umgekehrt für die Schweizer Wirtschaft“, betont Dr. Würth.