Weniger Bewerberinnen und Bewerber - mehr unbesetzte Ausbildungsstellen

Mainzer Arbeitsagentur und Kammern ziehen Bilanz des abgelaufenen Berufsberatungsjahres
30.11.2022 – Am rheinhessischen Ausbildungsmarkt klaffen Angebot und Nachfrage seit Jahren immer weiter auseinander. Auch die diesjährige Bilanz des abgelaufenen Berufsberatungsjahrs zeigt, dass die rein rechnerische Lücke größer wird. Gab es im vergangenen Beratungsjahr noch 75 Bewerberinnen und Bewerber pro 100 Ausbildungsstellen, so waren es in 2021/2022 nur noch 65. Während die Zahl der jungen Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz bewarben, in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen hat, gab es bei den gemeldeten Ausbildungsstellen in diesem Jahr wieder ein Plus von 4,5 Prozent, nachdem diese zuvor pandemiebedingt rückläufig waren. Von insgesamt 3.821 Ausbildungsstellen waren zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres am 30.September 2022 noch 423 unbesetzt, über 9 Prozent mehr als im Vorjahr. 149 der insgesamt 2.388 jungen Menschen, die sich bei der Arbeitsagentur als ausbildungssuchend gemeldet hatten, waren zu diesem Zeitpunkt noch unversorgt. Das waren etwa ebenso viele wie vor einem Jahr.
Unter den gemeldeten Bewerberinnen und Bewerbern hatte jeweils rund ein Drittel Hochschul-/Fachhochschulreife, Realschulabschluss oder Hauptschulabschluss. Rund ein Fünftel hatte einen ausländischen Pass. Bei ihren Berufswünschen haben sich die Jugendlichen auch in diesem Jahr weitgehend am Markt orientiert. So fanden sich die Berufe Kaufmann/-frau Büromanagement, Verkäufer/in, Medizinische/r Fachangestellte/r, Kaufmann/-frau im Einzelhandel, Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r, und Elektroniker/in Energie- und Gebäudetechnik unter den Top Ten der Berufswünsche. Diese Berufe waren auch unter den zehn am häufigsten angebotenen Ausbildungsstellen vertreten. Beliebte Berufe bleiben nach wie vor auch der Kfz-Mechatroniker bei den männlichen Jugendlichen und die Frisörin bei den weiblichen Jugendlichen. Einen besonderen Boom erleben die Fachinformatiker für Systemintegration – seit das Berufsbild im Jahr 2020 modernisiert wurde, ist die Zahl der neuen Ausbildungsverträge bei der IHK für Rheinhessen um 16 Prozent gestiegen.
Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse hat sich nach Corona stabilisiert
„Grundsätzlich sind die Chancen auf eine Ausbildungsstelle so gut wie selten zuvor“, erklärt Heike Strack, Leiterin der Mainzer Arbeitsagentur. „Auch nachdem das neue Ausbildungsjahr bereits begonnen hat, können junge Menschen immer noch eine Ausbildung aufnehmen. Unsere Berufsberaterinnen und Berufsberater setzen sich in der Nachvermittlung gemeinsam mit den lokalen Netzwerkpartnern dafür ein, dass möglichst alle jungen Menschen die Chance auf einen Ausbildungsplatz erhalten. Sie beraten persönlich in der Arbeitsagentur und in den Jugendberufsagenturen, sind aber auch telefonisch sowie per Videoberatung erreichbar.“ Den Betrieben empfiehlt Strack, vielfältige Wege zu gehen, um Azubis zu finden. Dazu gehörten Angebote von Praktika, auch in Form von Einstiegsqualifizierungen, die Präsenz auf Messen und auf Social-Media-Kanälen als auch Angebote wie der Ausbildungsatlas oder Praktikums- und Lehrstellenbörsen.
Das gemeinsame Engagement der Unternehmen, der Arbeitsagentur und der Kammern in diesem Bereich zeigt offenbar Wirkung: So hat sich die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse bei der IHK in diesem Jahr stabilisiert – der coronabedingte Rückgang ist gestoppt. „Wir haben also Grund zur Hoffnung, dass diese Talsohle zunächst einmal durchschritten ist“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Günter Jertz. „Und es stimmt uns optimistisch, dass die duale Ausbildung weiterhin als das entscheidende Rezept gegen den sich verschärfenden Fachkräftemangel genutzt wird.“ So sei das Interesse an Ausbildung von Seiten der Betriebe ungebrochen, jedes Jahr kommen bei der IHK etwa 130 neue Ausbildungsbetriebe hinzu.
Mit Assistierter Ausbildung Ausbildungsabbrüche verhindern
Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bleibt jedoch, und sie ist laut Strack nicht nur ein rein rechnerisches Problem. Vielmehr gebe es auch hinsichtlich der Anforderungen der Arbeitgeber auf der einen Seite und dem, was die Bewerberinnen und Bewerber mitbrächten, auf der anderen Seite, immer wieder Passungsprobleme. Anja Obermann, Geschäftsführerin der Handwerkskammer Rheinhessen, hebt deshalb einmal mehr die Bedeutung von Praktika hervor. „Wir raten den jungen Menschen, die noch unentschlossen sind, einfach mal ein Praktikum in einem Betrieb zu machen. Gerne kann man hier auch mehrere Berufe ausprobieren. Meist merken sowohl Betrieb als auch junger Mensch sehr schnell, ob man zueinander passt. Gerne helfen die Berater aller drei Institutionen, Handwerkskammer, IHK und Agentur für Arbeit, den passenden Betrieb zu finden.“ Die BeraterInnen helfen auch Ausbildungsabbrüche zu verhindern, etwa mit dem von der Arbeitsagentur finanzierten Förderinstrument der Assistierten Ausbildung (AsA).
In Rheinhessen schließen über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler die Schulzeit mit der Fachhochschul- oder Hochschulreife ab. Damit liegt die Region deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Diese jungen Menschen beginnen nach der Schule in der Regel ein Studium. Aber auch unter den Studierenden steigen laut Strack die Abbrecherzahlen. Daher rät die Agenturchefin jungen Menschen dringend dazu, sich rechtzeitig bei der Berufs- und Studienberatung über Anforderungen und Voraussetzungen des angestrebten Studienfachs zu informieren. Mit Check-U, dem Erkundungstool der Bundesagentur für Arbeit könnten Jugendliche auch online ihre Stärken ermitteln.
„Aber auch wenn jemand in den ersten Semestern merkt, dass das Studium nicht das Richtige ist und er sich umorientieren möchte, kann das für den weiteren Berufsweg eine wichtige Erfahrung sein“, weiß Strack. „In der Berufsberatung kümmern wir uns ganz gezielt um diese Personen. Wir können Studienabbrechern zum Beispiel aufzeigen, welch vielfältige Möglichkeiten eine duale Ausbildung bietet. Sie ist die Basis für ein gutes, auskömmliches Einkommen und macht den Weg frei für vielfältige Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.