Kinderladen schließt nach genau 100 Jahren
Es sollte ein freudiges Jubiläumsjahr werden. Stattdessen ist nach genau 100 Jahren Schluss. Wirth, der Kinderladen am Mainzer Münsterplatz, schließt zum Jahresende für immer seine Türen. Die Hoffnung, einen Nachfolger zu finden, hat Geschäftsleiter Friedrich Demmler aufgegeben. Globale, nationale und lokale Gründe kommen zusammen.
1922, zu Zeiten der Hyperinflation, legt das Unternehmen Wirth & Rühe mit dem Bau eines zentral betriebenen Nähmaschinenbandes für die eigene Wäschefabrikation den Grundstein. 1925 erfolgt die Spezialisierung auf Kinderkleidung, samt eingetragener Schutzmarke. Vier Jahre später, in wahrhaft krisenreiche Zeiten hinein, gründen Andreas und Elisabeth Wirth den „Kinderladen“.
Margot Wirth und ihr Ehemann, der Fabrikantensohn Heinz Demmler, bauen das Geschäft nach Krieg und Zerstörung wieder auf – ab 1957 mit Spiel- und Textilwaren unter einem Dach in der Großen Bleiche. 1981 tritt Friedrich Demmler, damals 26 Jahre jung, die Nachfolge seines Vaters an, bald an der Seite seiner Frau Elke sowie seines Bruders Christoph mit Ehefrau Gabi Demmler, die das Gebäude aufstocken und erweitern.
„Ganze Generationen von Mainzern haben als Kinder mit leuchtenden Augen vor den Schaufenstern des ‚Kinderladens‘ gestanden“, fasst die Allgemeine Zeitung die Bedeutung des Geschäfts in Worte. Als dann auch der SWR berichtete, war der Laden plötzlich wieder rappelvoll, wie Friedrich Demmler erzählt. Seit Ende Oktober läuft der Ausverkauf mit gestaffelten Rabatten bis Weihnachten. „Es ist eine gewisse Hektik zu spüren, all die Gutscheine der letzten Jahre noch einzulösen“, muss Demmler schmunzeln.
Viele Gründe für die Schließung, viel Bedauern von allen Seiten
Natürlich ist die Trauer groß in dem Familienunternehmen. Demmler berichtet von vielen teilnahmsvollen Reaktionen. Und war gerührt, dass die Kinder der Mainzer Feldbergschule Plakate für ihren Kinderladen malten und sogar eine annähernd dreistellige Summe an Spendengeld sammelten. Die stockte Demmler auf und steckte sie in den Förderverein der Schule. Denn das Aus ist irreversibel, obgleich es noch Bemühungen gab, Nachfolger zu finden. Doch für eine Kette sei die Lage nicht attraktiv genug, und der Branche geht es generell nicht gut.
Die Pandemie gab einen gründlichen Knacks. Die Zwangsschließungen setzten den Geschäften wirtschaftlich schwer zu. Und das Kundenverhalten änderte sich, wie sich zeigen sollte, bleibend. Infrastrukturelle Erschwernisse locken immer weniger Einkaufswillige in die Innenstädte. Die Verlagerung in den Online-Handel wird noch verschärft durch asiatische Billiganbieter wie Temu, Shein oder AliExpress. Hinzu kommen die aktuellen Unsicherheiten durch Krieg und Wirtschaftsflaute.
Und dann die Baustellen vor der eigenen Haustür, eine zehnjährige Leidenszeit mit einem ganzen Reigen an Maßnahmen in unmittelbarer Umgebung, wegfallenden Parkplätzen, sich immer wieder ändernden Verkehrswegen und, wie viele Unternehmen beklagen, lückenhafter Kommunikation gegenüber den potenziellen Kunden. Im Verbund mit dem Wegfall der Ladezone vor der Haustür waren die aktuellen Baustellen an Binger Straße und Münsterplatz „das I-Tüpfelchen“, sagt Demmler. Und kritisiert „die Lethargie der Stadt Mainz“.
Drei Stunden kostenloses Parken für Kunden der betroffenen Geschäfte in den städtischen Parkhäusern habe der Unternehmer schon vor fünf Jahren vorgeschlagen, um weiterhin Auswärtige – die unerlässlich sind für ein gelingendes Geschäft – in die Stadt zu locken. „Aber es heißt ja, die Autos sollen nicht mehr in die Innenstadt kommen. Wie naiv kann man sein, zu glauben, dass Oma und Opa mit Enkeln und Einkaufstüten in den Bus steigen?“
Vor diesem finalen Schlag sorgte der Rückzug von Lieferanten dafür, dass das Sortiment schrittweise von über 50.000 auf 20.000 Artikel schrumpfte. Gleichwohl: „Ohne einen logistischen Background lässt sich ein solch großes Geschäft nicht mehr betreiben“, sagt Demmler. An die 60 Vollzeitstellen gab es einst, gut die Hälfte waren es zuletzt, ehe nun ein knappes Dutzend die letzten Monate zu Ende bringen soll. „Zum 31. Dezember machen wir zu“, sagt Demmler. Es ist, zu einem traurigen Jubiläum, das Ende einer Ära.
TORBEN SCHRÖDER, FREIER JOURNALIST
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