Der Gasmangel droht weiter

Noch ist Sommer – doch alle haben schon den nächsten Winter im Blick, zusammen mit möglichen Energie-Engpässen. Im Frühjahr hatte die IHK für Rheinhessen das Thema in den Fokus ihrer Vollversammlung gestellt, und hinterher die Diskutanten und weitere Akteure in Rheinhessen befragt: Drohen Deindustrialisierung und Gasmangellage? Was macht die Bundesregierung energiepolitisch richtig, was läuft falsch? Was sollten Industrie und Wirtschaft bedenken?
Der Energieexperte
„Ich glaube persönlich nicht an eine Gasmangellage – aber wir sind nicht über den Berg“, sagt Dr. Sebastian Bolay, Bereichsleiter Energie, Umwelt, Industrie bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Bolay war im Frühjahr als Referent bei der IHK in Mainz zu Gast und sieht Versorgungsengpässe im nächsten Winter als durchaus möglich an. „Gaseinsparungen sind weiter wichtig für die Unternehmen“, sagt Bolay. „Sie sollten sich auch auf kurzfristig steigende und längerfristig höhere Strom- und Gaspreise einstellen.“ Zumal der europäische Emissionshandel die Lage verschärfe.
Herr Bolay, droht in Deutschland die Deindustrialisierung?
Die Unternehmen machen sich Gedanken, wie es weitergeht am Standort Deutschland. Die Investitionsneigung leidet. Wir müssen über den Industriestrompreis hinaus die Standortbedingungen verbessern, Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, Bürokratie abbauen.
Der Energieversorger
„Es war letzten Winter nicht knapp“, blickt Stephan Wilhelm, Vorstandssprecher der EWR AG mit Sitz in Worms, auf die Energieversorgung in Rheinhessen. Da- ran hatten die milden Temperaturen ihren Anteil, aber auch die gefüllten Speicher. Über das in den Rohrleitungen vorhandene Gas hinaus könne der Energieanbieter aus technischen Gründen keine Energie auf Vorrat speichern. Mit Kommunen, Gewerbe- und Industriekunden habe man Alternativen und Abschaltszenarien besprochen, Einspartipps gegeben. Wöchentlich tagte eine Task Force, um die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise und die Folgen eines Embargos im Blick zu halten. Krisenpläne sahen Wärmeinseln vor. „Einige Kunden haben selbst größere Mengen Öl vorgehalten“, erzählt Wilhelm.
Der Energienutzer
„Wir sind auf bezahlbare Energie angewiesen“, sagt Stefan Jungk, Geschäftsführer des Wöllsteiner Ziegelproduzenten Juwö. Nach derzeitigem Stand hätten die Strompreise verdoppelt und die Gaspreise sogar verdreifacht. „Obwohl das Gas aus Russland fehlt, hat die Bundesregierung durch die Abschaltung der Atomkraftwerke neue Abhängigkeiten geschaffen“, moniert Jungk. Einerseits werde der Klimaschutz in Deutschland politisch priorisiert, andererseits durch die Kohle- Renaissance konterkariert. „Durch politisch induzierte Maßnahmen ist das Angebot an Energieträgern verknappt worden, was zu steigenden Energiepreisen führt. Zugleich steigt der Strombedarf stark. Meine Forderung wäre, nicht durch regulatorische Maßnahmen die Preise zu lenken, sondern die soziale Marktwirtschaft walten zu lassen.“
Die Forderungen der Wirtschaft
Die DIHK hat einen Forderungskatalog zur Strom-Politik vorgelegt. „Man sollte keine Kraftwerke mehr ab- schalten, bevor wetterunabhängiger Ersatz zur Verfügung steht“, sagt Bolay. Auch mangels Verlässlichkeit der französischen Kernkraftwerke, die Import-Strom nach Deutschland liefern, solle die Braunkohlekraft- werke-Verordnung ins nächste Jahr hinein verlängert werden, um nicht weitere Abhängigkeiten zu schaffen und Mangellagen zu riskieren. Und: Es gelte beim Aus- bau erneuerbarer Energien „ernster zu machen“, also die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. „Was die Bundesregierung bisher gemacht hat, wird nicht ausreichen“, sagt Bolay. Bei einem Industriestrompreis würde sich die DIHK ein dreistufiges Modell wünschen: aus einer Stromsteuer auf dem europäischen Mindestmaß, Strompartnerschaften samt Investitionsprämie und Netzentgeltsenkungen für die Abnehmer sowie weitergehenden Entlastungen für besonders betroffene Unternehmen. Der steigende Bedarf an Strommengen macht, wie Wilhelm betont, eine bessere Infrastruktur notwendig. Auch Jungk und Bolay lenken den Blick auf kommunale Nah- und Fernwärmenetze, an denen es in Deutschland mangelt. „Es braucht Anreizregelungen, denn wir müssen unsere Netze schnell ausbauen“, betont der EWR-Vorstand.
Die Diskussion um Lösungen – Wie weit kann man sparen?
Einen drohenden Strommangel sieht Stephan Wilhelm indes nicht. Ebenso wenig glaubt er allerdings an Preise, die wieder auf den Stand vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zurückkehren. „Wir haben einen angemessenen Preis“, findet der Chef des Energieanbieters mit Blick auf die verbrauchsenkende Wirkung im Sinne des Klimaschutzes: „Wir müssen noch mehr Sensibilität für die Energie walten lassen, die wir heute verbrauchen – das Wachstum wird nicht mehr so sein wie früher, wir müssen alle verzichten.“
 Herr Jungk, was muss die Politik anders machen?
Die Wurzel aller Probleme ist die Fokussierung auf die Transformation in dem Glauben, Deutschland könne den Klimawandel beenden. Ich plädiere für einen kompletten Neustart in der Klimapolitik – erst das Alte über Bord werfen, wenn es das Neue gibt.
Die Unternehmen sind ohnehin schon dabei, alle Möglichkeiten zum Energiesparen auszureizen, stellt Juwö-Chef Jungk fest. „Den Anreiz, Energie zu sparen, braucht ein energieintensives Unternehmen nicht. Wir sind bemüht klimaneutral zu werden, planen einen riesigen Solarpark. Aber uns wird durch staatlich induzierte Maßnahmen das Geld für notwendige Investitionen aus den Taschen gezogen, sodass wir kaum noch in der Lage sind, die Transformation umzusetzen.“
Die Diskussion um Lösungen – welche Alternativen gibt es?
Unternehmer Jungk spricht sich für ein Kernkraft- Comeback aus, das DIHK-Experte Bolay für unwahrscheinlich hält. Aber Fracking könne in Deutschland perspektivisch zehn Prozent des Gasverbrauchs abdecken. Jungk fordert zudem, die Kapazität für LNG-Gas weiter zu erhöhen. „Und ich fordere von der Politik Technologieoffenheit. Sie soll uns Unternehmen einfach machen lassen, meinetwegen mit realistischen Zielen.“ Es bräuchte, sagt Bolay, derzeit eigentlich kein neues Heizungsgesetz, zumal auf europäischer Ebene wohl bald die Gebäudeenergieeffizienz neu geregelt werde. „Es wäre sinnvoll, Dämmung und Heizung gemeinsam in den Blick zu nehmen“, sagt der DIHK-Bereichsleiter. „Der Schritt eines Gesetzes zur kommunalen Wärmeplanung, das der Bund zurzeit plant, sollte eigentlich zuerst gegangen werden.“ Nur noch grünen Strom will der Energieversorger EWR binnen der nächsten zwei, drei Jahre anbieten. „Dann können wir nicht die günstigsten sein“, sagt Wilhelm, auch wenn das Unternehmen versuche, bei seinen Lieferanten
Herr Wilhelm, droht in Rheinhessen der Blackout?
„Da müssten sehr viele Dinge zusammenkommen: ein sehr kalter Winter und Mangellagen in den Energiequellen. Nach unserer Auffassung standen wir in unserem Versorgungsgebiet zu keinem Zeitpunkt kurz davor, und mit unserer jetzigen Infrastruktur und Lage sehen wir die Gefahr auch nicht.
Stephan Wilhelm, EWR
den günstigsten Strompreis für seine Kunden zu erzielen. „Wenn der nächste Winter komplizierter wird als der letzte, hätten wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Aber bei einem harten Winter mit starkem Frost über Wochen müssten wir uns auf eine temporäre Gasmangellage vorbereiten, an einzelnen Stellen.“ Die Gewerbe- und Industriekunden hätten sich vorbereitet, Privatkunden seien zunächst geschützt. Absolut notwendig sei die Energiepreisbremse gewesen um den gesellschaftlichen Frieden zu wahren sowie Anbieter und Stadtwerke vor Schieflagen durch Forderungsausfälle zu schützen.
Die mit den Unternehmen im Vorjahr besprochenen Vorkehrungen beurteilt Wilhelm als ausreichend. Es brauche viel mehr Anstrengungen bei erneuerbaren Energien, eine Dezentralisierung mit autarken Kunden.
„Das erlebt gerade einen Boom. Bei uns wird sich die Wertschöpfung bei Photovoltaik-Anlagen zulasten der Stromabnahme deutlich steigern.“
Beispiel Firmengebäude – Wege zu mehr Effizienz

Gebäude bieten viel Raum zum Energiesparen – und auch für Unternehmen gibt es hier eine Reihe von Förderprogrammen. Doch die möglichen Zuschüsse für energetische Sanierungen würden längst nicht ausgeschöpft, stellt Christian Wild fest, Geschäftsführer der ICONAG-Leittechnik GmbH: „Die Förderlandschaft ist besser aufgestellt als die Unternehmen sie zurzeit nutzen.“ ICONAG ist ein Softwarehersteller, der hilft, Gebäude energieeffizienter zu machen und zu betreiben.

„Eine gute Software in der Gebäudeleittechnik allein kann helfen, bis zu 40 Prozent Energie zu sparen“, sagt Wild.
Drei Förder-Blöcke listet Wild auf: Zuschüsse zu Einzelmaßnahmen zur energetischen Sanierung in Höhe von 15 bis 60 Prozent, Kredite mit Tilgungszuschuss und bis zu 35-prozentigem Nachlass sowie, für Neubauten, zinsvergünstigte Darlehen ohne Tilgungszuschuss. Die Förderprogramme reichen von Gebäudehülle über  Anlagentechnik bis zur Energiequelle. Meist sei die Bafa Zuschussgeber, in Verbindung mit der KfW. Auch die Erstellung von Fördergutachten sowie die Antragstellung würden mit bis zu 50 Prozent gefördert. Wild spricht von „sinnvollen Anreizen, und die Förderung ist technologieoffen“.

Am Anfang steht die Bestandsaufnahme, rät Tim Gemünden, Geschäftsführer der Bauunternehmung Gemünden mit Hauptsitz in Ingelheim. „Die entscheidende Frage ist, welchen Bedarf das jeweilige Unternehmen hat.“ Ein klassisches Büro, das man heizen und kühlen will, komme beispielsweise mit Geothermie, kleiner Solaranlage, Sole-Wasser-Wärmepumpe und Kreuzwärmetauscher aus. Für ein Rechenzentrum könne die Abwärme über Verdunstungskühlung nutzbar gemacht werden.

„Bei uns fallen betriebsbedingt sehr viele Holz- Abfälle an“, sagt Gemünden, „das bereiten wir seit über 30 Jahren auf und verfeuern es in einer Biomasseheizung mit Hackschnitzelanlage.“ In energieintensiven Produktionsstätten gebe es Potenziale, Abwärme zum Heizen von Gebäuden oder überschüssige Energien zur Kühlung zu nutzen. „Für hohe Temperaturbereiche ist Biomasseverbrennung eine absolut sinnvolle Alternative“, sagt Gemünden.
Doch der Bauunternehmer geht mit den Regularien ins Gericht: „Unsere Anforderungen an Neubauten sind überzogen. Und wer nachrüsten will, stößt schnell wirtschaftlich an seine Grenzen. Ich habe als Vermieter eigentlich keine Chance, nach einer Investition jemals in die schwarzen Zahlen zu kommen.“ Schließlich könnten die Kosten nur sehr ein- geschränkt an die Mieter weitergegeben werden.
„Da muss die Gesetzgebung mehr Kostengerechtigkeit herstellen. Das kann über Förderung oder veränderte Mieterschutzgesetze laufen“, fordert der Bauunternehmer. Ein weiteres Hindernis sei- en die Genehmigungszeiten. Gemündens Fazit: „In dem angedachten Tempo kommt man sicher nicht vorwärts. Aber wenn man nicht losgeht, kommt man erst recht nicht voran.“
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