Arbeitsrecht in der Türkei
Derzeit sind über 8.000 deutsche Unternehmen bzw. türkische Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei tätig. Deshalb spielt das türkische Arbeitsrecht im deutsch-türkischen Rechtsverkehr zunehmend eine wichtigere Rolle. Vergleicht man das deutsche mit dem türkischen Arbeitsrecht, fällt auf, dass beide Rechtsordnungen im Wesentlichen große Ähnlichkeiten aufweisen. So werden beispielsweise sowohl in Deutschland als auch in der Türkei strenge Anforderungen an eine wirksame Kündigung gestellt, ein Mindesturlaubsanspruch gewährt und Arbeitszeitregelungen aufgestellt. Beide Rechtsordnungen sind sehr ausgereift. Zwar bestehen Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung einzelner Regelungsbereiche, auf diese wird jedoch im Folgenden näher eingegangen.
I. Begründung des Arbeitsverhältnisses
Keine Unterschiede ergeben sich bei der wirksamen Begründung eines Arbeitsverhältnisses. In beiden Ländern kann ein Arbeitsvertrag grundsätzlich formfrei – also mündlich oder schriftlich – geschlossen werden. Ein Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn sich eine Person verpflichtet, eine weisungsgebundene Arbeitsleistung gegen Entgelt zu erbringen.
Nach deutschem Recht ist für eine wirksame Befristung zwingend die Schriftform erforderlich (§ 14 Abs. 4 TzBfG). Im türkischen Arbeitsrecht gilt die Schriftformpflicht hingegen nur in bestimmten Fällen – insbesondere bei befristeten Verträgen mit einer Laufzeit von mindestens einem Jahr. Darüber hinaus ist auch bei besonderen Vertragsformen wie etwa bei Arbeit auf Abruf, Fernarbeit, oder Heuerverträgen (für die Beschäftigung von Seeleuten auf Schiffen) eine schriftliche Vereinbarung gesetzlich vorgeschrieben. Wird die Schriftform nicht eingehalten, bleibt das Arbeitsverhältnis als solches wirksam und gilt – entsprechend dem deutschen Arbeitsrecht – als unbefristet.
II. Arbeitszeit
In Deutschland darf die werktägliche Arbeitszeit grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten. Daraus ergibt sich eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn sie innerhalb von sechs Monaten im Durchschnitt acht Stunden nicht überschreitet (§ 3 ArbZG).
Im türkischen Arbeitsrecht beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit höchstens 45 Stunden. Diese Zeit ist grundsätzlich gleichmäßig auf die Arbeitstage der Woche zu verteilen, kann aber durch eine sogenannte „Ausgleichsregelung (türkisch: denkleştirme)“ flexibel gestaltet werden. Dabei darf die tägliche Arbeitszeit jedoch 11 Stunden nicht überschreiten. Innerhalb eines Ausgleichszeitraums von zwei Monaten (bzw. bis zu vier Monaten bei Tarifverträgen) darf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 45 Stunden nicht übersteigen.
Für Überstunden gilt in der Türkei: Sie sind nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers zulässig und dürfen 270 Stunden pro Jahr nicht überschreiten (Art. 41 S. 6 und 7 İş Kanunu). Jede Überstunde wird mit einem Zuschlag von 50 Prozent vergütet. Alternativ kann auch Freizeitausgleich gewährt werden.
III. Probezeit
In Deutschland wird häufig eine Probezeit von bis zu sechs Monaten vereinbart – dies entspricht auch der gesetzlich zulässigen Höchstdauer (§ 622 Abs. 3 BGB). Im türkischen Arbeitsrecht ist ebenfalls eine Probezeit möglich, jedoch gesetzlich auf zwei Monate begrenzt. Bei Tarifverträgen kann die Probezeit auf bis zu vier Monate verlängert werden (Art. 15 İş Kanunu).
IV. Urlaub
Ein wesentlicher Unterschied besteht in der gesetzlichen Urlaubsregelung. In Deutschland beträgt der Mindesturlaub 24 Werktage bei einer Sechs-Tage-Woche. In der Türkei hingegen richtet sich der Urlaubsanspruch nach der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses: Bei einer Betriebszugehörigkeit von einem bis fünf Jahren stehen dem Arbeitnehmer mindestens 14 Urlaubstage zu. Ab fünf Jahren erhöht sich der Anspruch auf mindestens 20 Tage, und bei mehr als fünfzehn Jahren auf mindestens 26 Tage. Wie in Deutschland kann der Urlaubsanspruch auch in der Türkei durch Tarifvertrag oder individuelle Vereinbarung erweitert werden.
V. Mindestlohn
In Deutschland beträgt der gesetzliche Mindestlohn seit dem 1. Januar 2025 12,82 Euro brutto pro Stunde. Er gilt für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, sofern keine branchenspezifischen höheren Mindestlöhne greifen. Die Mindestlohnkommission hat im Juni 2025 empfohlen, dass der gesetzliche Mindestlohn in zwei weiteren Stufen steigen soll: Ab Januar 2026 soll er bei 13,90 Euro brutto in der Stunde und ab Januar 2027 bei 14,60 Euro liegen.
In der Türkei existiert ein gesetzlich geregelter Mindestlohn bereits seit vielen Jahren. Für das Jahr 2025 wurde der monatliche Bruttomindestlohn auf 26.005,50 Türkische Lira (netto 22.104,67 Türkische Lira, umgerechnet ca. 465 Euro) festgesetzt. Dieser Betrag gilt für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und wird regelmäßig durch die „Asgari Ücret Tespit Komisyonu“ (Mindestlohnfestsetzungskommission) überprüft und angepasst.
VI. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Arbeitsverhältnisse können sowohl nach deutschem als auch nach türkischem Recht durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung, durch Aufhebungsvertrag oder durch Fristablauf bei befristeten Verträgen beendet werden. Darüber hinaus endet das Arbeitsverhältnis automatisch mit dem Tod des Arbeitnehmers.
Die fristlose Kündigung des Arbeitsvertrages, bei der keine Kündigungsfrist einzuhalten ist, kann nach beiden Rechtsordnungen nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgesprochen werden. Das türkische Recht zählt beispielhaft als solch einen wichtigen Grund gesundheitliche Einschränkungen, Verstöße gegen Anstand und Moral und die beharrliche Arbeitsverweigerung auf. Nach türkischem Recht muss die außerordentliche Kündigung innerhalb von sechs Arbeitstagen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes und in jedem Fall spätestens innerhalb eines Jahres, ausgesprochen werden.
Beim Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ist hingegen jeweils eine Kündigungsfrist einzuhalten. Die gesetzlichen Fristen im türkischen Arbeitsrecht betragen –ähnlich wie im deutschen Arbeitsrecht – bei einer Dauer von
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0 - 6 Monate: 2 Wochen
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6 - 1,5 Jahre: 4 Wochen
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1,5 Jahre - 3 Jahre: 6 Wochen
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ab 3 Jahre: 8 Wochen
Nach türkischem Recht bedarf die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung eines Kündigungsgrundes, wenn 30 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigt werden und das Arbeitsverhältnis sechs Monate Bestand hatte. In diesem Fall ist der besondere Kündigungsschutz für Arbeitnehmer einschlägig. Die Kündigung muss dann auf einem verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Grund beruhen. Die Kündigung bedarf der Schriftform und muss den Kündigungsgrund aufführen. Dabei ist zu beachten, dass die auf verhaltens- oder personenbedingte Kündigung nur wirksam ist, wenn der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung zu den Vorwürfen angehört worden ist.
Der Arbeitnehmer kann innerhalb eines Monats nach Zustellung der Kündigung das Arbeitsgericht anrufen. Bei Unwirksamkeit der Kündigung ist der Arbeitgeber zur Wiederbeschäftigung des Arbeitnehmers oder zur Zahlung von einer vom Gericht im Einzelfall zu bestimmenden Entschädigung von mindestens vier und höchstens acht Gehältern verpflichtet.
VII. Abfindung
Abschließend ist zu beachten, dass in der Türkei – anders als in Deutschland – gesetzlich geregelte Abfindungsansprüche (sogenannte Kıdem Tazminatı) bestehen. Diese entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis durch eine rechtmäßige Kündigung – sei es durch den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber – beendet wird und der Arbeitnehmer mindestens ein Jahr ununterbrochene Betriebszugehörigkeit vorweisen kann. In diesem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet, eine Abfindung zu zahlen, deren Höhe sich nach der Dauer der Beschäftigung richtet.
Autorin und Kontakt
Dr. Gökce Uzar Schüller
GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB
Ulmenstr. 23
60325 Frankfurt am Main
Tel.: 069 707970-132
E-Mail: g.uzar@gvw.com
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Hinweis: Dieses Merkblatt soll nur erste Hinweise geben und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.