IHK-Forderungen: Verzahnte Teststrategie mit Bürgertests als Grundlage

Seit nunmehr einem Jahr hält die Corona-Pandemie in Deutschland Gesellschaft und Wirtschaft im Griff. Weite Teile der Wirtschaft befinden sich in einem Lockdown: Zum Beispiel die Messe- und die Kulturwirtschaft von Beginn an, die Gastronomie und Hotellerie ein weiteres Mal seit November 2020, wie auch weite Teile des Einzelhandels erneut seit Mitte Dezember 2020.
Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wurde beim Impfen, Testen und bei der digitalen Nachverfolgung der Infektionsketten leider viel Zeit versäumt. Inzwischen befinden wir uns epidemiologisch in einer “dritten Welle”, geprägt durch noch ansteckendere Virusmutanten.
Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die öffentliche Diskussion im Frühjahr 2021 darauf, durch verstärkte Tests einerseits die Infektionsgefahren bis zu einer erfolgreichen Durchimpfung der Bevölkerung zu zügeln, andererseits mehr Spielräume für baldige Öffnungsschritte gerade in der Wirtschaft zu eröffnen. Zum Thema Teststrategie positioniert sich die IHK Rhein-Neckar mit den Zielen “Gesundheitsschutz“ und zugleich “Sicherung der wirtschaftlichen Basis” wie folgt.

Die hier skizzierte Teststrategie basiert auf fünf Elementen, die sich gegenseitig ergänzen:

1. Bürgertests schnell und flächendeckend als Grundlage für eine Gesamtstrategie aufbauen

  • Die grundlegende Infrastruktur müssen die Bürgertests bilden, sei es in öffentlichen oder in privaten Testzentren. Solche für die Nutzer kostenlosen Bürgertests wurden vom Gesundheitsminister bereits für Anfang März angekündigt, sind aber bislang nicht flächendeckend umgesetzt worden. Die erzielten Testergebnisse eignen sich als Basisregelung für den Zugang zu Schulen und Kitas, zum ÖPNV, für Kunden zu Geschäftsbetrieben, Gästen zu Restaurants sowie auch für Mitarbeiter zu den Unternehmen. Hierdurch lassen sich viele Personen erreichen, die ansonsten keiner Test-Reglementierung unterliegen.

2. Durchgängig testen in Schulen und Kitas sowie in öffentlichen Einrichtungen – Vorbildfunktion des Staates erfüllen.

  •  Mit Blick auf die aktuelle Infektionsentwicklung kommt die derzeit höchste Priorität – wenn man deren Schließungen aus bildungspolitischen Gründen verhindern will – verpflichtenden Tests in Schulen und Kitas zu: Schulen sind ein hochpotenter Kontaktknoten, der viele Haus-halte netzartig miteinander verbindet – mit Verbindungen bis zu allen anderen öffentlichen Lebensbereichen wie Seniorenzentren und Unternehmen. Vor dem Hintergrund, dass Infektionen bei Kindern oftmals symptomfrei ablaufen und damit unentdeckt bleiben, die Kinder über lange Zeiträume in geschlossenen Räumen zusammen sind und sich gerade durch die Mutanten die Übertragungswahrscheinlichkeit auf die eigenen Familienmitglieder deutlich er-höht haben, kommt dieser Test-Strategie die mit Abstand größte Bedeutung zu.
  • Insgesamt muss der Staat seiner Vorbildfunktion beim Thema Testen in all seinen Einrichtungen nachkommen.

3. Tests von Mitarbeitern in Unternehmen weitgehend mit den Bürgertests verzahnen

  • Ein weiteres Element, die betriebliche Testung von Mitarbeitern, bezieht sich auf die Mitarbeiter, die in Präsenz arbeiten. Sie hat eine ergänzende Funktion zu den anderen Säulen.
  • Die Durchführung von Mitarbeitertests müssen der jeweiligen Unternehmenssituation angepasst werden: Je nachdem, ob zum Beispiel ein betrieblicher medizinischer Dienst vorhanden ist oder inwiefern die Unternehmen logistisch bzw. finanziell zur Test-Durchführung in der Lage sind. In diesem Zusammenhang muss den Betrieben auch die Anerkennung von Negativtestaten aus den Bürgertests ermöglicht werden.
  • Die Mitarbeiter unterliegen bereits den strengen Regularien des betrieblichen Arbeits- und Infektionsschutzes. Sofern Home-Office nicht möglich ist, liegt eine der wichtigsten Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes in der Reduzierung von Kontakten unter Mitarbeitern und deren „Vereinzelung“. Damit konnte das Infektionsgeschehen in Betrieben bislang weitgehend wirksam eingedämmt werden.
  • In den Fällen, in denen dies nicht möglich ist, testen die Betriebe bereits Woche für Woche intensiver, in Abhängigkeit auch von der Verfügbarkeit von Testkits. Die Unternehmen verfolgen dabei einen risikoorientierten Ansatz, d. h. dass an den Arbeitsplätzen, an denen die Abstandsregeln nicht sicher/dauerhaft eingehalten werden können, oder an denen es häufig zu Lieferanten- oder Kundenkontakten kommt, häufiger getestet wird als an anderen Arbeitsplätzen.
  • Maßstab aller Dinge bei der Testung von Mitarbeitern ist die sogenannte Gefährdungsbeurteilung. Hierfür beurteilt der Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern die individuelle Gefährdung an jedem einzelnen (typisierten) Arbeitsplatz.
  • Alle Tests von Mitarbeitern, die über die Notwendigkeit des betrieblichen Arbeitsschutzes hin-ausgehen, sind betrieblich nicht erforderlich. Gleichwohl können sie im Sinne einer „epidemiologischen Schleierfahndung“ gesamtgesellschaftlich sinnvoll sein. In solchen Fällen sollte der Staat die Kosten für die dafür erforderlichen Testkits übernehmen oder den Betrieben diese zur Verfügung stellen. Denn die Betriebe tragen ohnehin durch die coronabedingten Auflagen des Staates bereits erhebliche Sonderlasten für die Gesellschaft.
  • Den betrieblichen Tests, die über die Anforderungen des betrieblichen Arbeitsschutzes hinaus-gehen, sind insofern enge Grenzen gesetzt, weil für die Arbeitnehmer keine Mitwirkungspflicht besteht und der Arbeitgeber bei Tests, die betrieblich nicht erforderlich sind, – anders als bei betrieblich begründeten Tests – nicht mit arbeitsrechtlichen Mitteln reagieren kann.
  • Für die bislang und weiterhin geschlossenen Betriebe sollte der Staat die Kosten für die Testdurchführung generell übernehmen, um sie angesichts ihrer Betroffenheit infolge der Schließungen nicht finanziell zusätzlich zu überfordern.
  • Eine ganz breite Forcierung der Mitarbeitertests würde dazu führen, dass Unternehmen und Staat in einen Wettbewerb um die knappen Testkits treten. Nach den bisherigen Erfahrungen in der Pandemie mit der Maskenbeschaffung ist absehbar, dass der Staat bei diesem Wettbewerb in puncto Preise und ausreichender Menge zumindest kurzzeitig in Beschaffungsprobleme kommen würde. Da den beiden anderen Elementen (Bürgertests, Schultests) der Teststrategie für das Infektionsgeschehen insgesamt eine größere Bedeutung zukommt, wäre das aber problematisch.

4. Kundenzugänge durch den Nachweis von Negativtestaten ermöglichen

  • Der verpflichtende Nachweis von Negativtestaten beim Zugang zu den unterschiedlichsten Be-reichen des öffentlichen Lebens muss abgestuft nach Infektionsgeschehen und Infektionsgefahren erfolgen. Weniger infektionsgefährdete Bereichen wie zum Beispiel Handel, der Außengastronomie und der Hotellerie müssen geringere Testauflagen erfüllen als Bereiche, die mehr gefährdet sind.
  • Bei stärker infektionsgefährdeten Angeboten würde der Nachweis von Negativtestaten beim Zugang zusätzlich eine infektionsschützende Wirkung entfalten, indem dort potentielle Ansteckungspersonen ausgeschlossen werden. Nur in diesen Fällen scheint eine besondere Sorgfalt bei der Identitätsprüfung erforderlich zu sein.
  • In jedem Fall gilt, dass die Öffnung von Betrieben eine zusätzliche Anreizwirkung für das Testen entfaltet und die Chance erhöht, Infektionen zu identifizieren und nachzuverfolgen.
  • Durch den jüngsten MPK-Beschluss vom 22. März 2021 sind in Deutschland Modellregionen bei der Nutzung von Negativtestaten als Kriterium für den Kundenzugang möglich. Dabei sollten alle Betriebe mit Kundenzugang ohne Ausnahme einbezogen werden, weil nur dann die Vorgehensweise lückenlos und sachgerecht ist. Die Modelle müssen zügig ausgewertet wer-den, damit bald eine Umsetzung in der ganzen Breite des Geschäfts- und Freizeitlebens auch jenseits der Modellregionen erfolgen kann.
  • Im bereits praktizierten Tübinger Modell bekommen die Bürger bei negativem Schnelltest, der in offiziellen Teststationen durchgeführt werden muss, ein “Tagesticket“, mit dem sie in der Tübinger Innenstadt die dort ansässigen Geschäfte und Restaurants besuchen dürfen. Mit dieser Strategie konnte eine Öffnung der Innenstadt ohne nennenswerten Anstieg der Infektions-zahlen erreicht werden, weil durch die lückenlose Testung infizierte Personen vor Betreten der Innenstadt „herausgefischt“ werden konnten. Dieses Element der Teststrategie ermöglicht eine Wiedereröffnung begrenzter Teile von Handel und Gastronomie ohne die Gefahr eines Infektionsanstiegs. Anders als in Tübingen sollte der reglementierte Zugang mit Negativtests aber erst bei besonderer Gefährdungslage zum Einsatz kommen, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.
  • Als Modellregion soll die Metropolregion Rhein-Neckar eingerichtet werden – mit ihren intensiven bundeslandübergreifenden Verflechtungen wäre sie ein wichtiges Testfeld, um den Tübinger Ansatz erstmals länderübergreifend zu erproben.

5. Gesamtkonzeption effizient gestalten durch eine konsequente digitalisierte Nachverfolgung

  • Zu einer erfolgreichen Gesamtstrategie beim Testen gehört, dass die einzelnen Test-Elemente nicht einfach unverbunden nebeneinanderstehen, sondern miteinander verknüpft werden. Auf jeden Fall müssen Positivtests unabhängig vom Testanlass mit einem PCR-Test überprüft werden. Sollte es auch dabei zu positiven Testergebnissen kommen, wäre eine konsequente Sequenzierung nötig. Erforderlich ist insgesamt der konsequente Einsatz digitaler Anwendungen im Nachverfolgen und Auffinden von Corona-Infizierten (“track & trace“) sowie der konsequente volldigitale Austausch aller Akteure in der Pandemiebekämpfung. Der Datenschutz darf dabei kein Hemmnis sein, um den erforderlichen Gesundheitsschutz zu sichern.