Status quo und quo vadis China?

Innerhalb weniger Jahrzehnte ist die Volksrepublik China von der Werkbank des Westens zur globalen Wirtschaftsmacht und dabei zum Technologievorreiter aufgestiegen. Für die Unternehmen der Metropolregion Rhein-Neckar ist China ein wichtiger Handelspartner.
Um die Unternehmen aus der Region beim China-Geschäft zu unterstützten, arbeitet die IHK Rhein-Neckar eng mit der IHK Pfalz zusammen. Dort ist auch, seit inzwischen 20 Jahren, das Kompetenzzentrum Greater China angesiedelt. „Wer mit China Geschäfte machen will, muss die länderspezifischen Besonderheiten kennen und auch interkulturelles Feingefühl mitbringen“, wissen Anne-Christin Werkshage (Kompetenzzentrum Greater China – IHK Pfalz) und Stella Metzger (IHK Rhein-Neckar) aus ihrer mehrjährigen Berufspraxis mit und in China. Sie beraten Unternehmen zu sämtlichen Themen rund um China, stellen Kontakte zum Expertennetzwerk her und greifen in Veranstaltungen aktuelle und unternehmensrelevante Themen auf. Wir sprachen mit beiden über ihre Tätigkeit und aktuelle Entwicklungen im China-Geschäft. 
Welche Themen beeinflussen derzeit das Tagesgeschäft mit China?
Anne-Christin Werkshage: Der Beratungsbedarf zu China ist ungebrochen groß. Aktuell stehen Themen wie Einreisebestimmungen und Charterflüge, aber auch rechtliche Fragen zu Ex- und Import, Geschäftspartnersuche, Markteintritt und Investitionen im Vordergrund. Erst kürzlich haben wir eine Firma aus der Rhein-Neckar-Region zum Aufbau einer Office-in-Office-Lösung bei der AHK China verholfen. Der Trend zur Präsenz vor Ort ist wohl zum einen auf Chinas wirtschaftlich gute Entwicklung in der Corona-Pandemie zurückzuführen. So prognostiziert der Internationale Währungsfonds IWF für 2021 ein Wirtschaftsplus von 8,4 Prozent. Zum anderen spielt bei diesem Trend auch Chinas Fokussierung auf lokale Wertschöpfungsketten eine Rolle.
Stella Metzger: Auch rechtliche Rahmenbedingungen und neue Gesetze haben natürlich direkte Auswirkungen auf das Tagesgeschäft. Auf deutscher Seite wurde kürzlich das Sorgfaltspflichtengesetz verabschiedet, Mitte Juni hat die chinesische Regierung ein Anti-Sanktionsgesetz erlassen, ergänzend dazu sei hier das Exportkontrollgesetz als weiteres Beispiel genannt, worauf sich Unternehmen vorbereiten und einstellen müssen. Daneben haben aber auch die sogenannten Soft Facts auf interkultureller Ebene, vor allem in China, große Bedeutung. 
Was sind typische Fallstricke beim Geschäft mit China?
Metzger: Viele sehen in China mit seinen 1,4 Milliarden Menschen einen riesigen Absatzmarkt. Für den Geschäftserfolg ist allerdings eine intensive und ganzheitliche Vorbereitung unabdingbar. Oft wird die Auseinandersetzung mit der chinesischen Kultur, dem Wertesystem und insbesondere der Verhandlungstaktik vernachlässigt. Das kann aus Unternehmersicht fatal sein, denn heutige Gesellschaftsprinzipien und Geschäftspraktiken sind immens von Kulturtraditionen geprägt. Chinaspezifische Wirtschaftskompetenz reicht da mitunter nicht aus. Chinesische Geschäftsstrategien sind beispielsweise stark von den Kriegslehren Sunzis beeinflusst. Durch Vorbereitung entsprechend reagieren zu können, kann den Ausgang von Verhandlungen entscheiden. Daher beziehen wir bei der Beratung zum China-Geschäft zusätzlich zu den rechtlichen Rahmenbedingungen auch immer Kulturspezifika, die über Business Basics hinausgehen, mit ein, um den Unternehmen unnötiges Lehrgeld zu ersparen. Viele Missverständnisse und Informationsasymmetrien sind zudem sprachlich bedingt. Neben der Inhaltsebene ist auch die Ausdrucksweise und das weniger Offensichtliche zwischen den Zeilen sowie Ungesagtes von großer Bedeutung. Beispielsweise lassen sich zahlreiche Worte mit “ja” übersetzen. Missverständnisse können dann entstehen, wenn ein “Ja, ich habe zugehört” oder ein “Ja, dieser Vorschlag ergibt Sinn” mit einem “Ja, ich stimme dem Vorhaben zu” gleichgesetzt wird. 
Werkshage: Neben den interkulturellen Aspekten spielt auch das Medium in der Kommunikation eine wichtige Rolle. In China wird – auch im Business-Kontext – fast ausschließlich über WeChat kommuniziert. Aufgrund der gegenwärtigen Einreisebeschränkungen ist es umso wichtiger, den direkten Kontakt über WeChat aktiv aufrechtzuerhalten. Der Messenger-Dienst ist aber viel mehr als nur ein Chat-Programm. Es ist eine mobile, digitale Erweiterung der „realen“ Welt. Inzwischen wird die App auch zunehmend von deutschen Firmen zu Marketing- und Vertriebszwecken genutzt. Möchte man sich mit chinesischen Geschäftspartnern vernetzen, geschieht dies nicht mehr per Visitenkarte, sondern bevorzugt über einen QR-Code in der WeChat App. So habe auch ich es in den letzten Jahren auf Reisen mit rheinland-pfälzischen Firmen nach China erlebt.
Wohin wird sich China künftig entwickeln? 
Werkshage: Der neue, 14. Fünfjahresplan gibt klare Hinweise darauf, in welche Richtung sich China in den nächsten fünf Jahren entwickeln wird. China setzt verstärkt auf die Entwicklung zur Hightech-Nation sowie auf den Klima- und Umweltschutz. Dafür sollen Schlüsseltechnologien und industrielle Cluster wie etwa Schaltkreise und Chips, Robotik und Automatisierung, Maschinenbau, Medizintechnik, erneuerbare Energieerzeugung sowie Luftfahrt, Marine und Hochgeschwindigkeitszüge ausgebaut werden. Um auch in Zukunft in China erfolgreich zu sein, sollten sich Unternehmer mit solch richtungsweisenden Plänen der chinesischen Regierung auseinandersetzen. Vor allem vor dem Hintergrund des steigenden chinesischen Wettbewerbs. Laut der Business Confidence-Umfrage der AHK China glauben 41 Prozent der befragten Firmen, dass chinesische Wettbewerber in ihrer Branche bald Innovationsführer sein werden.
Metzger: China verfolgt eine langfristige Strategie. Die Neuausrichtung der nationalen Wirtschaft und die stärkere Fokussierung auf den Binnenmarkt haben natürlich unmittelbar Auswirkung auf die Unternehmen. Auch die stärker werdende Politisierung aller Lebensbereiche erfordert eine Anpassung der unternehmensinternen China-Strategie. Zudem entwickelt sich China in rasantem Tempo zu einem „Smart State“. Die Digitalisierung der Industrieproduktion und der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien sind jedoch globale Entwicklungen und bieten für deutsche Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten. China wird auch künftig deutsche Technologien nachfragen und gezielt ausländisches Know-how ins Land holen. Deshalb ist es für Unternehmer umso wichtiger, die “Spielregeln” zu kennen, um auch langfristig zu profitieren.
Das Gespräch führte Stephanie Palm, Bereichsleiterin Märkte International, IHK Rhein-Neckar.