Ökonomie des Alterns: Geschäftschancen in China und Japan

Der demographische Wandel rückt den Bedarf von Senioren als gesellschaftliche Herausforderung sowie als wirtschaftliche Chance immer stärker in den Fokus.

Vergreisung im Eiltempo

Im Jahr 2050 werden 16 Prozent der Weltbevölkerung älter als 65 Jahre sein. Durch die Veralterung entstehen neue Märkte und neue Geschäftschancen. Mit entsprechendem Angebot an Produkten und Dienstleistungen können Unternehmen profitieren. Der Blick auf Japan als “ältestes” Land der Welt und China als “größtes Seniorenland” lohnt, denn dort stellt man sich bereits heute auf zusammengenommen fast 400 Millionen über 55-Jährige ein. Japans Gesellschaft vergreist im Eiltempo. Bereits heute ist knapp ein Drittel der Japaner über 65 Jahre, bis 2050 werden es sogar 40 Prozent der Gesamtbevölkerung sein. Die Universität Tokio hat einen Countdown erstellt, der die Sekunden zählt, bis das letzte Baby in Japan geboren werden könnte, was demnach in knapp 486.800 Tagen ist.
In der Volksrepublik China ist die rasche Alterung der Gesellschaft durch die Corona- Pandemie und den jüngst veröffentlichten Zensus schlagartig in den Fokus gerückt. Demnach liegt der Anteil der über 65-jährigen bei 13,5 Prozent, das sind über 190 Millionen Menschen. 
Beide Länder sehen in der demografischen Entwicklung die größte Herausforderung der kommenden Jahre mit weitreichenden Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, die Konjunktur und die Staatskasse. Es eröffnen sich aber auch neue Geschäftsfelder und Absatzchancen. Das breite Spektrum an involvierten Branchen birgt enormes Potenzial sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich.

Gesundheitswesen: Medizintechnik und Digital Health

Sowohl China als auch Japan forcieren die Digitalisierung und Automatisierung in der Pflege- und Gesundheitsbranche. Durch die Verschmelzung von Medizintechnik und Robotik entstehen für Softwareentwickler, Gerätehersteller und Anbieter verschiedenartigster Versorgungsdienstleistungen ein breites Absatzpotenzial. Auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Medizin, Robotik und Telemedizin sollen den Personalmangel kompensieren, Kosten senken und die Versorgungsqualität erhöhen. Befördert wird diese Entwicklung durch eine hohe digitale Affinität der Bevölkerung. Roboter sind als Kommunikations- und Assistenzgeräte bereits heute im Alltag schon voll integriert.

Japans Gesundheitsbranche auf hohem Niveau

Japan setzt auf moderne Medizintechnik, um die Qualität der Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau zu halten und die Effizienz zu erhöhen. Der japanische Markt für medizinische Geräte konzentriert sich zu knapp 60 Prozent auf therapeutische Geräte. Der Rest verteilt sich zu etwa 20 Prozent auf Diagnosesysteme und auf andere medizintechnische Ausstattung wie Pflegeheimausrüstung oder Dentaltechnik. Als Zukunftsfelder spielen Roboter, künstliche Gewebe und Organe, minimalinvasive Behandlung, diagnostische Bildgebung und medizinische Heimgeräte eine wichtige Rolle. Als Nettoimporteur fragt Japan qualitativ hochwertige Medizintechnik nach. Aus Deutschland werden hauptsächlich Röntgenapparate sowie Orthopädietechnik bezogen. 
Die Marktchancen für Digital Health sind gut, denn die größte Herausforderung im japanischen Gesundheitswesen ist der Personalmangel. Daher will sich Japan die Vorteile neuer Technologien wie Big-Data-Analyse, KI und Robotik zunutze machen. Im Laborbereich, in der Diagnostik und in der Intensivmedizin sind bereits seit vielen Jahren digitale Ausrüstungen in der Anwendung. Zudem setzt Japan verstärkt auf Digital Health Anwendungen zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten, zur Überwachung von Patienten sowie zur Rehabilitation und Pflege.

China hat Nachholbedarf

Chinas Ausgaben für die Gesundheitsversorgung haben sich in den vergangenen zwölf Jahren versechsfacht. Mit dem milliardenschweren Entwicklungsprogramm “Healthy China 2030” soll das Gesundheitswesen und die -industrie ausgebaut, Effizienzsteigerungen erzielt und die Gesundheitsversorgung im Land verbessert werden. Anders als in Japan wird in China der Bedarf fast gänzlich durch lokale Produktion bedient. Top-Cluster der Medizintechnik sind Peking und Shanghai sowie die Provinzen Guangdong, Jiangsu und Zhejiang. Im High-End-Bereich werden hingegen ausländische Medizinprodukte stark nachgefragt. Importiert werden insbesondere nicht aktive Implantate sowie ophthalmologische Instrumente, ebenso wie Geräte für verschiedene bildgebende Verfahren wie Röntgen, Computer- sowie Magnetresonanztomographie mit hoher Auflösung, stomatologische, neurologische sowie kardiovaskuläre chirurgische Instrumente und Produkte. Deutschland zählt dabei hinter den USA und neben Japan zu einem der wichtigsten Lieferanten. Zwar sind chinesische Forschungsinstitute und Medizintechnikunternehmen inzwischen in der Lage, eigenständig innovative Medizinprodukte zu entwickeln, dennoch setzt man im Bereich Forschung und Entwicklung weiterhin auf internationale Kooperationen. Zudem kauft China vermehrt Expertise und Technologien aus dem Ausland auf. 
Anbieter von Medizintechnik müssen sich auf das digitale Ökosystem im chinesischen Gesundheitssektor einstellen. Denn die Regierung treibt im großen Stil die Digitalisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen voran – auch im Gesundheitswesen. Zur besseren Ressourcennutzung setzt die Volksrepublik bereits seit Jahren auf den Ausbau der IT-Infrastruktur, auf digitale Hilfsmittel sowie Online-Plattformen für E-Health und zunehmend auf den Einsatz von Big Data und KI. Durch Telemedizin soll zum einen der Zugang zu ärztlicher Versorgung auch in ländlichen Gebieten sichergestellt und zum anderen Effizienzsteigerungen, Kostentransparenz und eine bessere Auslastung der ungleich verteilten Kapazitäten erwirkt werden. Bedenken bezüglich Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre sind in der chinesischen Bevölkerung geringer ausgeprägt, was positiv zur raschen Etablierung der digitalen Anwendungen beiträgt. Chinas Markt für KI-basierte Gesundheitsleistungen könnte bis 2022 rund 9 Milliarden Euro erreichen. Für die Zeit bis 2025 wird von einem jährlichen Wachstum von über 50 Prozent ausgegangen. Für ausländische KI-Anbieter ist der Markteintritt aufgrund regulatorischer Rahmenbedingungen relativ schwer. 

Pharmazeutika: Generika hoch im Kurs

Japan ist Nettoimporteur von Arzneimitteln und Deutschland ist einer der wichtigsten Lieferanten. Im Land werden überwiegend verschreibungspflichtige Arzneimittel produziert, allen voran Anti-Krebsmittel gefolgt von Mittel gegen Diabetes und Atemwegsinfektionen. Die Erzeugung von rezeptfreien Medikamenten soll künftig steigen, hier stehen vor allem Haut- und Schlafmittel im Vordergrund, gefolgt von Augenpräparaten und Vitaminen. Um Kapital für die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel freizusetzen, lagern viele Unternehmen die Formulierung und Produktion von Biopharmazeutika aus oder greifen auf Kooperationen zurück. Japan will die Kosten des Gesundheitssystems in Grenzen halten, weshalb die Umsätze mit Arzneimitteln kaum noch steigen oder sogar leicht zurückgehen dürften. Das liegt zum einen an staatlichen Preiskontrollen und zum anderen bremst der steigende Anteil von Generika den Absatzwert.  
Der chinesische Arzneimittelmarkt ist am Umsatz gemessen weltweit der zweitgrößte. Den größten Anteil machen die Generika aus.
Besonders forschungsintensive und moderne Arzneien kommen vielfach aus dem Ausland. Deutschland ist traditionell das mit Abstand wichtigste Lieferland. Zudem verfügen deutsche Pharmakonzerne über weltweit lang erprobte Blockbuster speziell für die mit dem Alter steigenden Zivilisationskrankheiten Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Demenz oder Diabetes. Langfristig möchte China autark von ausländischen Zulieferungen werden, umso wichtiger ist eine starke lokale Präsenz (eigene Fertigung, gut etablierte Vertriebskanäle). Auch wenn hohe Hürden für den Markteinstieg bestehen, so profitieren ausländische Hersteller in einigen Segmenten davon, dass es noch an chinesischen Alternativprodukten mangelt. Zudem herrscht innerhalb der Bevölkerung großes Misstrauen gegenüber Wirksamkeit und Reinheit vieler lokaler Produkte. 

Altenpflege: Versorgung aus der Ferne

Japans Arbeitskräftemangel wird gerade im Bereich der Altenpflege besonders brisant. Bis 2025 könnten nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums etwa 380.000 Pflegekräfte fehlen. Mithilfe von Robotik soll dem Mangel entgegengewirkt werden. Pflege- und Assistenzroboter werden bereits vermehrt in Krankenhäusern und Seniorenheimen als Ersatz beziehungsweise Unterstützung eingesetzt. Neue, digitale Pflegemethoden werden auch für die Versorgung aus der Ferne eingesetzt. Denn 75 Prozent der japanischen Senioren leben im Eigenheim, viele davon in Einpersonenhaushalten. Diese Gruppe wird OHA (Old, Home and Alone) genannt. “Streichelroboter“, die sich um die Psyche einsamer Senioren kümmern sowie motorische und kognitive Änderungen registrieren, werden vor allem bei Demenzpatienten eingesetzt. Durch moderne Sensortechnik, Informations- und Kommunikationstechnologie gesteuerte Patientenüberwachungssysteme und smarte Dosierungs- und Pillenboxen kann die Betreuung auch aus der Ferne sichergestellt und vielen Patienten die Eigenständigkeit bewahrt werden. 
In China steckt die öffentliche Altenpflege noch in den Kinderschuhen. Berufliche Mobilitätserfordernisse und das Auflösen traditioneller Familienstrukturen und Betreuungskonzepte erhöhen den Bedarf an institutionalisierter Pflege. Denn während junge Leute in die Städte ziehen, leben knapp 60 Prozent der Senioren in ländlichen Gebieten, was eine große Herausforderung für das Versorgungssystem darstellt. 

Seniorenwirtschaft: Anspruchsvoller Silbermarkt

Der Wandel in der Demografie hat auch Auswirkungen auf den Konsum. Beispielsweise liegt in Japan der Absatz von Erwachsenenwindeln seit einigen Jahren über dem der Babywindeln. Das erwartete “gesunde” Alter liegt in Japan für Männer bei 72 und Frauen bei 75 Jahren. Bis 2040 soll sich dies jeweils um drei Jahre erhöhen. Anders als in China hat sich in Japan schon früh eine Mittelklasse entwickelt, die zum allgemeinen Wohlstandsniveau beiträgt. So sind auch Japans Senioren mehrheitlich konsumfreudig und aktiv. Der Marketingbegriff “Silbermarkt“ stammt aus Japan und bezieht sich auf die grauen (= silbernen) Haare älterer Menschen. 
Shopping Malls stellen sich auf ihre ältere Kundschaft entsprechend ein und passen sowohl Marketing (altersgerechte Ansprache, Seniorenmodels), Warensortiment, als auch Dienstleistungen (frühere Öffnungszeiten, Heimfahrservice) und Infrastruktur (vermehrte Sitzgelegenheiten, barrierefreie Zugänge, einfache Orientierung und bessere Sichtbarkeit von Beschilderungen) an das spezifische Konsumverhalten und die speziellen Bedürfnisse an. Japanische Verbraucher sind gegenüber Produkt und Marke äußerst anspruchsvoll und qualitätsbewusst. So werden etwa bei Haushaltsgeräten eine einfache Bedienung und neue Funktionen gefordert: Beispielsweise sollen Mikrowellengeräte die Zubereitung von weichen und leicht zu schluckenden Mahlzeiten ermöglichen, ohne Verlust an Geschmacksqualität.  
Auch Kulturspezifika haben Einfluss auf den Silbermarkt. Ein würde- und respektvollerer Umgang mit dem Thema Alter zeigt sich beispielsweise bei Pflegeprodukten für reifere Haut. Hier geht der Trend weniger zur Vermarktung von Antifalten-Mitteln, sondern vielmehr zu Produkten, die Effekte versprechen, mit denen man sich “in seiner Haut wohler fühlen kann”. Frauen höherer Altersgruppen möchten lieber gesünder und gut für ihr Alter aussehen, statt es zu kaschieren. 
Im Gegensatz zu Japan sind Chinas Senioren eher sparsamer, das gilt als traditionell und tugendhaft, ist aber auch existenziellen, finanziellen Sorgen geschuldet. Die landesweit obligatorische Basiskrankenversicherung ist unzureichend, Krankheit zählt zum größten Armutsrisiko. Der Markt für private Zusatzversicherungen boomt. China ist bemüht, seine Älteren länger fit und arbeitsfähig zu halten. Dies birgt Absatzchancen für Produkte und Dienstleistungen aus dem zweiten Gesundheitsmarkt, wie Gesundheitsnahrung oder Fitnessangebote. Der Großteil der Alten ist auf die finanzielle Unterstützung ihrer Kinder und Enkel angewiesen. Kulturell, gesellschaftlich und historisch bedingt konsumiert die ältere Generation weniger für den eigenen Bedarf oder aus hedonistischen Intentionen. Stattdessen wird vielmehr in die Bildung und das Wohl der Kinder und Enkel investiert, welche auch die eigene Altersabsicherung gewährleisten sollen.

Bedarf erkennen, Chancen nutzen

Der demographische Wandel zu einer alternden Gesellschaft ist auch in den westlichen Ländern eine ernstzunehmende Entwicklung. Ein frühzeitiges Erkennen und eine markt- und konsumentenorientierte Adaption an die speziellen Bedürfnisse sowie ein umsichtiges Produkt- und Innovationsmanagement werden zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. 

Lead Markt Japan

Japan kann hierbei als Blaupause für den Umgang mit den gesellschaftlichen Herausforderungen und wirtschaftlichen Chancen dienen. Denn das Land hat seit Jahren mit einer schrumpfenden Bevölkerung infolge einer schnell alternden Gesellschaft bei gleichzeitig abnehmender Geburtenrate zu kämpfen. Die steigende Zahl an Patienten und der Mangel an medizinischem Personal führen dazu, dass das Land auf neue technologische Möglichkeiten setzt. So investieren Japans Branchenhersteller in die Digitalisierung und Automatisierung, allem voran in KI-basierte Medizin, Robotertechnologie und Telemedizin. Die Unternehmen arbeiten zudem intensiv an der Entwicklung pharmazeutischer Erzeugnisse. Im Fokus stehen hier die Forschung und der Einsatz von regenerativer Medizin und Biotechnologie. Parallel gibt es auch eine große Zahl an “aktiven Senioren”, die nach dem offiziellen Renteneintritt noch eine Teilzeitarbeit annehmen, sich einem Verein anschließen, oder aber ein zeitintensives Hobby betreiben und somit als konsumfreudige Verbraucher weiterhin interessant bleiben.

Wachstumsmarkt China

In China gerät die Alterung der Gesellschaft erst neuerdings in den Fokus, dadurch eröffnen sich noch zahlreiche Geschäftschancen. Durch die mäßige gesundheitliche Verfassung der chinesischen Bevölkerung und ein Vormarsch von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Adipositas besteht auch künftig hoher Bedarf an Gesundheitswaren. Massive staatliche Investitionsprogramme und ein erheblicher Nachholbedarf in der landesweiten Versorgung sichern langfristige Geschäftschancen. Jedoch erschweren Autarkiebestrebungen und eine zunehmende Fokussierung auf die Binnenwirtschaft den Zugang zum chinesischen Markt.