Mobilität und Klimaschutz

STANDPUNKT

STANDPUNKT. Das ist die FORUM-Serie, in der Menschen zu Wort kommen, die auf dem wirtschaftspolitischen Parkett unterwegs sind und damit die regionalen Unternehmen unterstützen. Ob in Verbänden oder Vereinen, im Ehrenamt oder hauptamtlich, in Verwaltungen oder Interessenvertretungen – im Mittelpunkt steht die Wirtschaft in der Hauptstadtregion, in Brandenburg und Berlin. Heute kommt zu Wort: Christian Schultz, Deutscher Bahnkunden-Verband e.V.
Trotz des Bekenntnisses der Regierungskoalition dazu, mehr Verkehre auf die Schiene zu verlagern, sieht die Praxis anders aus. Nur mit einem deutlich leistungsfähigeren Bahnnetz kann der energieeffiziente Verkehrsträger Schiene jedoch den notwendigen Beitrag zur Verkehrswende bzw. zum Erreichen der Klimaschutzziele leisten. Auch in der Region Berlin/Brandenburg besteht dafür unverändert hoher Handlungsbedarf. Ein Beispiel: Etliche grenzüberschreitende Bahnstrecken nach Polen führen auch derzeit ein Schattendasein. Potenziale zur Verlagerung von Verkehren auf die Schiene können daher nicht genutzt werden. Angesichts der Lkw-Kolonnen allein auf der A 12 (Berlin – Frankfurt (Oder) – Grenze Deutschland/Polen) wäre insbesondere eine verstärkte Verlagerung auf den kombinierten Verkehr Schiene-Straße erforderlich. Länder wie Österreich und die Schweiz beweisen u. a. durch ordnungspolitische Maßnahmen, dass dieses Ziel auch erreichbar ist. Wenn die Politik die Verlagerung tatsächlich ernst nehmen würde, müssten die Kapazitäten auf der Schiene forciert ausgebaut werden. Die Strecke Berlin – Frankfurt (Oder) erreicht inzwischen die Kapazitätsgrenze. So wurde z. B. die Regionalexpress-Linie RE 1 zwischen Brandenburg (Havel) und Frankfurt (Oder) in der Hauptverkehrszeit inzwischen auf drei Fahrten pro Stunde und Richtung verdichtet, was in dieser stark nachgefragten Relation eine überfällige Angebotsverbesserung ist. Trassenkonflikte sind dabei jedoch kaum zu vermeiden. Dies gilt erst recht, wenn ein Großunternehmen wie Tesla Verkehre künftig auch über die Schiene abwickeln wird.

„Ostbahnstrecke“ als Bypass ausbauen

Um ausreichende Kapazitäten im Schienenverkehr zu erzielen, wird seit vielen Jahren der Ausbau der „Ostbahnstrecke“ Berlin – Kostrzyn – Piła als Entlastungs- bzw. Umleitungsstrecke diskutiert. Leider hat die Politik bei Erstellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 auch in diesem Fall nicht weitsichtig gehandelt. Als Grund für die Nicht-Berücksichtigung des Abschnitts Berlin – Küstrin-Kietz – Grenze Deutschland/ Polen wurde genannt: „Aufgrund der geringen Nachfrage und vorteilhafterer Alternativstrecken in der Umgebung hat der geplante Ausbau keinen Nutzen für den Schienenpersonenfern- und Schienengüterverkehr.“ Wie kann aber eine Strecke, auf der sich bereits seit vielen Jahren zunehmende Trassenkonflikte abzeichnen, seitens des Bundesverkehrsministeriums als „vorteilhaftere Alternativstrecke“ eingestuft werden? Politisches Desinteresse beschreibt den Sachverhalt wohl treffender. Und ist zwischenzeitlich ein Sinneswandel eingetreten? Nein, auch gegenwärtig stehen die politischen Signale auf „Weiter so“: Erst beim (enttäuschenden) Deutsch-Polnischen Bahngipfel im Februar 2023 wurde dies von Staatssekretär Michael Theurer einmal mehr bestätigt.
Auch mit dem Ausbau bzw. der Elektrifizierung der Strecke Guben – Czerwieńsk würde die Kapazität auf der Schiene erhöht. Dieses Teilstück hätte speziell für den Schienengüterverkehr der Relation Leipzig – Cottbus – Guben – Poznań hohe Bedeutung, da diese Strecke Umwege über den hoch belasteten Bahnknoten Berlin erspart. Entlastet würde auch hierbei die Strecke Berlin – Frankfurt (Oder). Um das politische Ziel zu erreichen, in 2030 auf der Schiene ein Viertel der Verkehrsleistung im Güterverkehr abzuwickeln, muss der Fokus auf dem zügigen Ausbau der Schieneninfrastruktur liegen, keinesfalls jedoch auf der weiteren massiven Kapazitätssteigerung des Straßennetzes. Der nunmehr geplante beschleunigte Autobahnausbau, so wie er beim jüngsten Koalitionsausschuss beschlossen wurde, ist dagegen kein klimapolitischer Durchbruch.

Mehr Schienenverkehr braucht auch mehr Fachkräfte

Das Problem, ausreichend Fachkräfte zu gewinnen, hat mittlerweile die Bahnbranche voll erfasst. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang, dass nun der Eisenbahnlehrstuhl an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) geschlossen wurde. Dies ist ein falsches Signal zur falschen Zeit, werden doch gerade in den kommenden Jahren Nachwuchskräfte im Bahnsektor dringender benötigt denn je! Für eine klimafreundliche Mobilität bleibt somit in den kommenden Jahren viel zu tun! Dabei muss auch das Thema „Verkehrsvermeidung“ wesentlich mehr Bedeutung erhalten als derzeit.
Zur Person

Christian Schultz leitet die Abteilung Verkehr beim Deutschen Bahnkunden-Verband e.V. (DBV). Der DBV ist seit 1990 als Lobby für die Bahnkunden tätig, und zwar sowohl für Güterkunden als auch für Fahrgäste des Nah- und Fernverkehrs. Gemeinsam mit seinen Landes- und Regionalverbänden erarbeitet der Verband Konzepte und unterbreitet den Verantwortlichen Vorschläge für Verbesserungen.
FORUM/Christian Schultz
Guido Noack
Referent Verkehr
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik