„An Spitzentagen dauern die Staus bis zu sieben Stunden“

Eberhard Tief, Geschäftsführer des Landesverbands des Berliner und Brandenburger Verkehrsgewerbes, zur Situation an der deutsch-polnischen Grenze

Im Mai hat Deutschland die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze noch einmal verschärft. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe kündigte auch Polen Kontrollen an. Welche wirtschaftlichen Folgen die Grenzstaus bisher bereits hatten, dazu äußert sich Eberhard Tief vom Landesverband des Verkehrsgewerbes LBBV.
Grafik Grenzverkehr
FORUM: Herr Tief, die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze waren im Mai von deutscher Seite noch einmal verschärft worden. Welche Folgen hatte das für den Lkw-Verkehr, für die Stauzeiten an der Grenze?
EBERHARD TIEF: In der Regel haben wir eine durchschnittliche Wartezeit von bis zu drei Stunden. Es gibt aber auch Phasen, wo es relativ flüssig läuft, etwa in der Mittagszeit. An Spitzentagen dauern die Staus bis zu sieben Stunden.
Eberhard Tief
Eberhard Tief © IHK OBB
FORUM: Welches sind die Stau-Spitzentage?
EBERHARD TIEF: Das sind der Sonntag und der Montag oder Anschlusstage nach Feiertagen. Es beginnt sonntags ab 22 Uhr, wenn das Sonntagsfahrverbot aufgehoben wird, und der Verkehr an der Grenze wieder losrollt. Eigentlich sind es ja nicht die Kontrollen als solche, die so fürchterlich aufhalten. Das Problem ist das Kontrollregime, sind die Zufahrten zu den Kontrollstellen, die auf eine Spur für Lkw und Pkw verengt sind. Die zweite Fahrspur ist gesperrt. Der Übergang auf der A12 gehört nun mal zu den am meisten befahrenen Grenzübergangsstellen in Deutschland mit etwa 18 000 Lkw täglich.
FORUM: Welche Folgewirkungen hat das Warten an der Grenze für die Transportunternehmen?
EBERHARD TIEF : Viele deutsche Transportunternehmen nehmen derzeit keine Aufträge Richtung Polen und retour an wegen des hohen Zeitverlusts. Und der Stau hat Folgen für die Fahrer. Sie dürfen maximal neun Stunden fahren und insgesamt zehn Stunden arbeiten. Wenn sie drei Stunden im Stau stehen, gilt das als Bereitschaftszeit, und die ist zu bezahlen. Das bedeutet höhere Kosten für die Unternehmen und für die Fahrer Schichtzeiten von 13 ,14 Stunden. Inzwischen nimmt es zu, dass Fahrer ihrem Chef erklären, sie wollten nicht mehr im Fernverkehr eingesetzt werden, sondern nur noch im Regionalverkehr.
FORUM: Was kostet die verlorene Zeit?
EBERHARD TIEF: Ein Lkw erzeugt mit der Dienstleistung Transport pro Stunde im Schnitt eine Bruttowertschöpfung von 25 Euro. Das heißt, wenn ein Lkw drei Stunden im Stau steht, gehen der Volkswirtschaft 75 Euro Wertschöpfung verloren. Wenn man das für den Grenzübergang Frankfurt (Oder) für alle Transporte aufs Jahr hochrechnet, kommt man etwa auf eine Milliardensumme Verlust.
FORUM: Das ist jetzt eine volkswirtschaftliche Größe. Aber was bedeuten die Staus finanziell für die Fuhrunternehmen? Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
EBERHARD TIEF : Der Preis, den ein Unternehmen pro gefahrenem Kilometer derzeit verlangen sollte, liegt bei etwa 1,80 Euro. Wenn ein Unternehmen Fracht von Frankfurt (Oder) bis Warschau transportiert – das sind etwa 550 Kilometer - macht es also 990 Euro Umsatz. Durch die Staus erhöhen sich aber die Kosten für diese Strecke. Das heißt, es bleibt am Ende weniger Marge für die Unternehmen übrig. Die Gewinnmarge liegt aktuell zwischen 0,3 und einem Prozent, Tendenz weiter sinkend.
FORUM: Die höheren Kosten könnten die Unternehmen aber an ihre Kunden weitergeben. Dann steigen eben die Preise…
EBERHARD TIEF: Ein höherer Frachtpreis ist in der Regel nicht durchsetzbar. Dafür ist die Marktmacht der Auftraggeber, der Verlader zu groß. Viele Transportunternehmen lassen dann im Preis eher nach, deswegen sind auch die Margen mittlerweile so schmal im Transportlogistikgewerbe. Wir haben im Moment nicht wenige Unternehmen, die tiefrote Zahlen schreiben und Eigenkapital verbrennen. Das Thema Grenzkontrollen ist ja nur das eine, auch der deutschen Wirtschaft geht es schlecht. Manche Firmen bauen Kapazitäten ab und fahren unrentable Touren über die Grenze nicht mehr. Andere Unternehmen springen dann in diese Lücke und fahren unter Preis.
FORUM: Gibt es Zahlen zu Insolvenzen, zu Kapazitätsabbau?
BERHARD TIEF: Nein, Zahlen liegen uns aktuell nicht vor. Aber dieses Bild ergibt sich aus unseren eigenen Umfragen und Erhebungen.
FORUM: Ein anderes Problem sind sanierungsbedürftige Brücken. Die Brücke am Grenzübergang Küstrin-Kietz und Kostrzyn an der B1 soll voraussichtlich im Sommer länger gesperrt werden. Was kommt da auf uns zu?
EBERHARD TIEF: Es wird entsprechende Ausweichverkehre geben, vor allem in Richtung Frankfurt (Oder) und auch Guben. Der Druck auf diese Übergänge wächst, die Fahrzeiten werden länger.
FORUM: Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, damit sich die Lage für den Güterverkehr an der Grenze entspannt?
EBERHARD TIEF: Wir sollten ein Instrument wieder einführen, dass sich während der Corona-Pandemie bewährt hat. Damals wurden nach einer Forderung der EU sogenannte „Green Lane“-Übergangsstellen eingerichtet. Dort durfte der Grenzübertritt für alle Fahrzeuge im Güterverkehr einschließlich aller Überprüfungen nicht länger als 15 Minuten dauern. So muss das wieder organisiert werden.
Es fragte Ina Matthes
Guido Noack
Referent Verkehr
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik