KI - Werkzeug, Gegner oder Partner?

Christian Uhle ist Philosoph und Zukunftsforscher aus Berlin. Er beschäftigt sich mit den Umwälzungen, die durch Künstliche Intelligenz hervorgerufen werden. Zu diesem Thema spricht er auch auf dem IHK-Ausbildertag am 8. Mai 2025 in Erkner. Vorab hat er mit FORUM über die richtige Balance zwischen Mensch und Maschine, die Gefahr der Vermenschlichung und den gesellschaftlichen Wandel durch KI gesprochen.
Gerade jetzt besteht ein Möglichkeitsfenster, diese Entwicklung zu gestalten. Das sollten wir nicht verpassen. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs dazu, einen regen Austausch und einen gemeinsamen Lernprozess.

Christian Uhle, Zukunftsforscher

FORUM: Wofür nutzt ein Philosoph und Zukunftsforscher wie Sie Künstliche Intelligenz?
Christian Uhle: Persönlich finde ich KI zum Beispiel nützlich, wenn ich ein Gedankengerüst für neue Projekte entwickle. KI ist für mich dann eine Art ‚Sparring Partner‘. Ich liefere der KI etwas und bitte um Verbesserungsvorschläge, bitte um Kritik und fordere explizit auf, dabei streng zu sein (lacht). Ich nutze KI also, um meine eigene Arbeit zu verbessern.
FORUM: KI kommt zunehmend zum Einsatz, ob beim Vergleichen von Daten, beim Texten, beim Erstellen von Präsentationen … Verarmen dadurch die Fähigkeiten von Menschen?
Christian Uhle: Inwieweit menschliche Fähigkeiten durch den Gebrauch von Künstlicher Intelligenz verarmen oder vielleicht sogar gestärkt werden, hängt wesentlich davon ab, wie sie genutzt wird. Nehmen wir das Schreiben von Texten. Unsere Fähigkeit dazu entwickelt sich über die Zeit hinweg durch die Übung. Nun ist es denkbar, dass diese Fähigkeit sinkt, wenn Menschen schon in einem frühen Stadium der persönlichen Entwicklung Texte von KI schreiben lassen. Ebenso ist aber auch denkbar, dass sich Fähigkeiten verbessern, wenn sie KI nutzen, um sich mit dem selbst geschriebenen Text kritisch auseinander zu setzen. Wenn Sie zum Beispiel KI bitten, diesen Text zu verbessern und sie auf Schwächen hinzuweisen.
FORUM: Es kommt also darauf an, wie man KI einsetzt?
Christian Uhle: Genau. Es ist wichtig, sich zu fragen, welches Mensch-Technik-Verhältnis ich will. Menschen neigen dazu, KI-Systeme zu vermenschlichen. Schon in der Kindheit projizieren wir in Gegenstände, wie Kuscheltiere, ein Bewusstsein hinein. KI-Design ist in vielen Fällen bewusst darauf ausgelegt, menschenähnlich zu wirken. Bei Anwendungen wie ChatGPT geht es darum, eine zwischenmenschliche Kommunikation möglichst realistisch zu simulieren. Und bei der Sprachausgabe sehen wir ein bemerkenswertes Niveau in der Simulation menschlicher Stimmen. Es lässt sich immer weniger feststellen, ob hier ein Mensch mit einem anderen Menschen spricht oder mit einer Maschine. Und das halte ich grundsätzlich für eine problematische Entwicklung.
FORUM: Warum?
Christian Uhle: Weil wir gezielt dazu gebracht werden, aus Geschäftsinteressen heraus Maschinen zu vermenschlichen. In unserer zunehmend vereinsamten Gesellschaft könnten mehr Menschen emotionale Bindungen zu KI-Systemen entwickeln. Ich wünsche mir aber eine Welt, in der wir pragmatisch mit Maschinen umgehen und menschlich miteinander.
FORUM: Wie könnte diese Vermenschlichung der KI verhindert werden?
Christian Uhle: Vieles liegt am Technologiedesign. Betrachten wir KI-basierte Sprachmodelle, wäre es kein Problem, diese so zu gestalten, dass sie nicht menschlich klingen, dass keine Emotionen simuliert werden, sondern tatsächlich wie in vielen Science-Fiction-Filmen eine roboterhafte Stimme spricht. Es wäre auch möglich, ein Sprachmodell so auszurichten, dass es nicht das Wort „Ich“ benutzt. Das sind kleine Details, die dazu beitragen, dass hier der Eindruck entsteht, wir hätten es mit einer Art Lebewesen zu tun.
FORUM: Studien zeigen, dass junge Menschen vor allem sinnstiftend arbeiten wollen. Wird Arbeit durch KI bedeutungsvoller oder sinnentleerter?
Christian Uhle: Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung. Ganz unterschiedliche Zukünfte sind derzeit möglich. Es liegt jetzt an uns als Gesellschaft, als Unternehmen und als Einzelpersonen, dazu beizutragen, dass wir eine positive Zukunft erreichen. Es gibt bereits heute Millionen von Menschen in Deutschland, die keinen Sinn in ihrem Job sehen. Künstliche Intelligenz könnte dies weiter verschärfen oder aber auch Teil der Lösung sein. Wenn Künstliche Intelligenz Routinearbeiten übernimmt, können Freiräume wachsen, um sinnstiftenden Tätigkeiten nachzugehen und die zwischenmenschlichen Beziehungen zu stärken. Umgekehrt ist es ebenso denkbar, dass KI-Systeme weniger die Assistenz von Menschen werden, sondern Menschen umgekehrt zur Assistenz von KI-Systemen werden. Dass KI in Organisationsstrukturen integriert wird, wo sie eher Führungskräften ähnelt. Sollten Menschen anfangen, einfach nur noch der KI zuzuarbeiten, würden sie sich von ihrer eigenen Arbeit noch weiter entfremden.
FORUM: Also ist es denkbar, dass KI irgendwann als Ausbilder agiert?
Christian Uhle: Ein Ersetzen halte ich für ein weniger realistisches Szenario. Es geht bei der Ausbildung um wesentlich mehr als nur einzelne klar definierte technische Fähigkeiten zu vermitteln. Es gibt viele Bereiche, die eine starke zwischenmenschliche Komponente benötigen. Aber KI wird ergänzen. Selbst in Bereichen wie der Psychotherapie, die stark auf Zwischenmenschlichkeit setzt. Denkt man zum Bespiel an Depressionen, ist eine Therapiesitzung pro Woche für viele betroffene Personen viel zu wenig. Wer sich in einer akuten Depression befindet, muss jeden Tag kämpfen, um aufzustehen. Ein KI-System als Coaching könnte die depressive Person ergänzend durch den Alltag begleiten und helfen, sich zu strukturieren.
FORUM: Welchen Rat geben Sie jungen Menschen im Umgang mit KI?
Christian Uhle: Wichtig ist, keine emotionalen Bindungen zu KI-Systemen einzugehen. Dass Menschen zunehmend mit KI ihre persönlichen Sorgen teilen, ist ein Thema, das erst jetzt so richtig die gesellschaftliche Bühne betritt. Wir haben bereits Suchtverhalten bei Smartphones – das sollte nicht durch KI verstärkt werden. Entscheidend ist, sich immer wieder zu fragen: Fördert KI meine Selbstbestimmung? Stärkt sie meine zwischenmenschlichen Beziehungen oder entfremdet sie? Das sind Fragen, die man sich privat stellen kann, über die aber auch Organisation und Unternehmen im Umgang mit KI nachdenken sollten. Anhand welcher Leitlinien und Kriterien will ich KI-Systeme implementieren? Gefährlich wird es, wenn wir anfangen, eigene Fähigkeiten zu vernachlässigen, wenn wir anfangen, immer stärker auf die Systeme zu vertrauen und auch Entscheidungen auslagern.
Wir haben keine Zeit, uns Stück für Stück mit KI auseinanderzusetzen, um eine allumfassende Souveränität im Umgang mit KI in der Arbeitswelt oder Ausbildung aufzubauen.

Christian Uhle, Zukunftsforscher

FORUM: Wie sollten Ausbilder junge Menschen auf eine Zukunft vorbereiten, in der KI tief in den Arbeitsalltag integriert ist?
Christian Uhle: Ein wichtiger Faktor ist Leistungsdruck bezogen auf die gelieferten Ergebnisse. Dieser muss reduziert werden. Bleiben wir beim Beispiel Texte schreiben oder Projektarbeiten. Wird auf lernende junge Menschen Druck ausgeübt, dass sie möglichst schnell möglichst perfekte Ergebnisse liefern, erzeugt das natürlich einen starken Anreiz, einfach komplett auf KI-Systeme zu setzen. Ein Ergebnis, bei dem sich Lernende intensiv mit ihrer Arbeit auseinandersetzen, braucht hingegen Zeit. Es muss ein Spielraum eröffnet werden, in dem weniger die glatten und perfekten Ergebnisse wichtig sind, sondern die Lernerfahrung viel mehr zählt.
FORUM: Braucht es dafür nicht aber gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen?
Christian Uhle: Wir haben keine Zeit, uns Stück für Stück mit KI auseinanderzusetzen, um eine allumfassende Souveränität im Umgang mit KI in der Arbeitswelt oder Ausbildung aufzubauen. Die technologische Entwicklung rast und wird in zehn Jahren an einem komplett anderen Punkt stehen. Es ist nie gut, in Panik zu verfallen und zu glauben, dass man jetzt möglichst schnell möglichst viel KI irgendwie einsetzen sollte. Aber ich glaube, es ist wirklich wichtig, dieses Thema viel stärker auf die Agenda zu setzen und flexibel zu begleiten. Nun führen wir dieses Gespräch wenige Wochen nach der deutschen Bundestagswahl. Und? Ich finde es bezeichnend, dass wir uns in einem technologischen Umbruch befinden, der wirklich weitreichend ist, und dennoch habe ich persönlich in den Wochen des Wahlkampfs fast nichts dazu gehört. Mir bereitet das Sorgen. Gerade jetzt besteht ein Möglichkeitsfenster, diese Entwicklung zu gestalten. Das sollten wir nicht verpassen. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs dazu, einen regen Austausch und einen gemeinsamen Lernprozess.
FORUM: Was ist die größte Herausforderung, wenn wir KI und die Arbeitswelt betrachten?
Christian Uhle: Unsere Arbeitswelt ist durch Gewinner-Verlierer-Verhältnisse geprägt. Es wird ganz entscheidend sein, dieses Verhältnis nicht zu verschärfen. KI darf nicht zu einem Brandbeschleuniger für aktuelle Ungleichheiten werden, auch was Anerkennung, Aufstiegschancen und eine lebenswerte Arbeitsumgebung betrifft. Es erfordert Mut, Arbeit umzugestalten und es muss weiter in Menschen investiert werden. Langfristig muss das Wohl unserer Gesellschaft im Blick behalten werden.
FORUM: Was ist die größte Herausforderung, wenn wir KI und die Arbeitswelt betrachten?
Christian Uhle: Ich sehe das Potenzial, dass wir in 15 Jahren in einer Arbeitswelt leben, in der in Deutschland weniger Menschen weniger Zeit als heute damit verbringen, einen Computer zu bedienen. Stattdessen verbringen sie mehr Zeit damit, in ein reales menschliches Gesicht zu schauen und tun etwas, was unmittelbar und spürbar ist und das Wohl anderer Menschen stärkt.
Es fragte Katharina Wieske
TERMIN IHK-Ausbilder-Tagung 2025: 8. Mai 2025, ab 9.15 Uhr, Ort: Bildungszentrum Erkner, Seestraße 39, 15537 Erkner. Für die Anmeldung hier klicken.

Silke Hartwig
Leiterin
Fachbereich Ausbildung