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10-Punkte-Programm für Bürokratievermeidung und -abbau

Formale Hürden, lange Planungs- und Genehmigungsverfahren, diverse redundante Meldepflichten und eine zunehmend schwerer zu durchschauende Flut gesetzlicher Regelungen belasten gerade KMU nachhaltig und oftmals über Gebühr. Während der Corona-Pandemie hat sich punktuell bereits deutlich gezeigt, dass es auch einfacher, digitaler, schneller und damit unbürokratischer geht. Diese Ansätze müssen weiter ausgebaut werden.
  1. Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen - Verfahren insbesondere im Baubereich straffen, Fast-Track-Verfahren einführen, Behörden personell und materiell besser ausstatten, Einsatz von Lotsen und Projektmanagern fördern, Verbandsklagerecht begrenzen
  2. Bürokratiedialog mit der Landesregierung verstetigen und intensivieren – regelmäßigeren Austausch zum Bürokratieabbau mit Politik, Verbänden und Unternehmen auf der Arbeitsebene führen, detaillierte Einzelvorschläge zur Verschlankung der Gesetzgebung einbringen
  3. Kompetenzen der Clearingstelle ausbauen – Clearingstelle des Landes Niedersachsen bei der Verhinderung mittelstandsfeindlicher Bürokratie in der Gesetzgebung unterstützen, Kompetenzen der Clearingstelle auf existierende Vorschriften erweitern
  4. Digitalisierungs-Check einführen – bei allen neuen Gesetzgebungsprojekten schon in ihrer Entstehungsphase die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer digitalen Umsetzung mitdenken
  5. Verwaltungsverfahren digital straffen – gesetzliche Grundlagen für eine vollständig papierlose Verwaltung schaffen; Unternehmen durch anwenderfreundliche IT-Lösungen entlasten; OZG-Ansatz weiter verfolgen und ausbauen
  6. Bürokratiekosten-Monitoring einführen – alle niedersächsischen Rechtsvorschriften auf den damit verbundenen finanziellen Aufwand der Unternehmen prüfen; auf Basis der Ergebnisse unnötige und überzogene Regelungen abbauen
  7. Verwaltungskosten minimieren – Gebühren für die Tätigkeit von Landes- und Kommunalbehörden unternehmensfreundlich ausgestalten, anlasslose und beanstandungsfreie behördliche Kontrollen für die Unternehmen kostenfrei ausgestalten
  8. Informations-, Melde- und Dokumentationspflichten reduzieren  Überflüssige Aufzeichnungspflichten abschaffen, digitale Erfüllung von Informations-, Melde- und Dokumentationspflichten erleichtern
  9. „Once-Only“-Prinzip konsequent umsetzen – Datenaustausch zwischen den Behörden effizient ausgestalten, einheitliche Service-Konten für Unternehmen schaffen, Verwaltungs- und Registerverfahren medienbruchfrei ausgestalten
  10. Wirtschaftsnahe hoheitliche Aufgaben auf die IHK übertragen – Selbstverwaltung der Wirtschaft stärken, Effizienz- und Kostenvorteile der Aufgabenübernahme durch die IHK nutzen
     

Erläuterungen zum 10-Punkte-Programm Bürokratievermeidung

1. Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen
Wichtige Ziele, etwa des Klimaschutzes, der Energiewende oder der Digitalisierung, sind nur mit beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren im Baubereich zu erreichen. Derzeit erstrecken sich die Verfahren oft über mehrere Jahre oder Jahrzehnte. Der IHK-Ausschuss für Bau-, Immobilien- und Grundstückswirtschaft hat umfangreiche Vorschläge zur Beschleunigung erarbeitet, die in die Wirtschaftspolitischen Positionen der IHK eingeflossen sind. An erster Stelle stehen dabei Fast-Track-Verfahren, eine bessere Ausstattung der Behörden und der Einsatz von Lotsen und Projektmanagern.
Um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verkürzen, sind Rechtsvorschriften grundlegend zu überarbeiten. Beschleunigende Elemente aus Fast-Track-Verfahren sollten vermehrt angewendet werden. Verbindliche Entscheidungsfristen, nach deren Ablauf ein Antrag als genehmigt gilt, können nachhaltig zur Verfahrensbeschleunigung beitragen. Durch eine bessere personelle und materielle Ausstattung der zuständigen Ämter und Behörden könnten in allen Planungsphasen erhebliche Beschleunigungspotentiale gehoben werden.
In Bauleitplanungsverfahren sollten Lotsen, Projektmanager und „Ermöglicherrunden“ eingesetzt werden, um Ämter und Behörden abzustimmen, zu vermitteln und dadurch Verfahren abzukürzen. Das Personal innerhalb der Behörden sollte spezialisiert eingesetzt werden, so dass einfache, schnelle Verfahren nicht durch die Bearbeitung umfangreicher, komplexer Verfahren blockiert werden und Mitarbeiter nicht durch ungewohnte, komplizierte Bauvorhaben überlastet werden. Für umfangreiche Vorhaben sollten spezialisierte Teams in einer Zulassungsbehörde eingerichtet werden, die alle bau- und umweltrechtlichen Entscheidungen treffen können. Papierakten und Gutachten sollten soweit möglich digitalisiert werden, alle nicht vertraulichen Planungsunterlagen sollten online über ein zentrales Portal abrufbar sein. Um die Rechtssicherheit zu stärken, sollte eine unionsrechtskonforme Präklusionsklausel eingeführt werden. Zugleich muss das durch die Arhus-Konvention geschaffene Klagerecht für Umweltverbände auf das absolut notwendige Maß beschränkt werden, um Planungsprozesse nicht zu verzögern. Klare Stichtagsregelungen könnten zudem die Planbarkeit von Infrastrukturprojekten erheblich verbessern.
2. Bürokratiedialog mit der Landesregierung verstetigen und intensivieren
Die bisherigen Initiativen der IHK-Organisation mit Blick auf den Abbau überflüssiger Bürokratie müssen weiter ausgebaut werden. Insbesondere das direkte Gespräch mit der Arbeitsebene in den Ministerien, die für die Umsetzung der großen politischen Linien im Detail verantwortlich ist, ist ein wichtiger Baustein, um erkennbare Hemmnisse für die Betriebe Stück für Stück abzubauen bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen. Zu diesem Zweck trifft sich die Federführung Recht und Bürokratieabbau der IHK Niedersachsen, die von der Oldenburgischen IHK verantwortet wird, mindestens einmal im Quartal mit der Stabsstelle Bürokratieabbau im niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Ziel ist es, dem Ministerium auf der Basis der Positionen der IHK-Organisation und der praktischen Erfahrungen der IHK-Mitglieder fortlaufend ganz konkrete Vorschläge zur Änderung oder Abschaffung einzelner Rechtsvorschriften mit auf den Weg zu geben und in regelmäßigen Abständen nachzuhalten, ob und wie die Vorschläge umgesetzt wurden. In diesen Dialog werden künftig auch die Clearingstelle des Landes Niedersachsen, Wirtschaftsverbände und Unternehmen eingebunden.
3. Kompetenzen der Clearingstelle ausbauen
Die im Jahr 2020 eingerichtete Clearingstelle des Landes Niedersachsen prüft neue Rechtsvorschriften schon im Entwurfsstadium auf bürokratische Belastungen für KMU und berät die Ministerien zu diesen und weiteren mittelstandsrelevanten Themen. Sie wird getragen von der IHK Niedersachsen und dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung. Bislang wird die Clearingstelle seitens der Landesregierung noch nicht im erforderlichen Umfang mit der Bewertung neuer Rechtsvorschriften befasst. Die Ministerien sind daher aufgefordert, die Stelle stärker als bisher in Rechtsetzungsverfahren einzubinden, damit sie den Bedürfnissen des Mittelstandes schon in einem frühen Verfahrensstadium eine Stimme geben, auf unnötige Belastungen hinweisen und Alternativen aufzeigen kann. Zudem sollte die Clearingstelle perspektivisch nicht nur für die Bewertung neuer Vorschriften zuständig sein, sondern auch Vorschläge zur Entbürokratisierung bereits bestehender Gesetze und Verordnung machen können.
4. Digitalisierungs-Check einführen
In verwaltungsbezogenen Gesetzgebungsprozessen spielt die strukturierte Behandlung der Frage nach der digitalen Umsetzbarkeit von Rechtsvorschriften bislang eher eine Nebenrolle. Evaluiert werden im Vorfeld zwar z. B. die Auswirkungen auf die Haushalte des Landes und der Kommunen sowie auf die Umwelt, nicht aber Frage, ob und inwieweit die Verwaltung neue Regeln im Rahmen schlanker digitaler Verfahren effizient umsetzen kann. Zwar sieht die Geschäftsordnung der Landesregierung vor, dass bei Kabinettsvorlagen die „Auswirkungen auf die Digitalisierung“ darzulegen ist. Diese sehr abstrakte Vorgabe gilt allerdings nur für die Landesregierung, nicht aber für das weitere parlamentarische Verfahren.
Schon beim Entwurf neuer Rechtsvorschriften, die in der Folge Verwaltungsverfahren auslösen oder beeinflussen, müssen daher vornherein die Möglichkeiten einer digitalen Umsetzung regelmäßig mitgedacht und die einzelnen Vorschriften hieran angepasst werden. Hierzu sollte ein effektiver Prozess definiert werden, den der Gesetzgeber bei jedem Rechtsetzungsverfahren abarbeiten muss. Durch diesen Digitalisierungs-Check wird verhindert, dass schon die Konzeption der neuen Vorschriften eine digitale Umsetzung erschwert oder gar verhindert.
5. Verwaltungsverfahren digital straffen
Viele Leistungen der Verwaltung können schon heute digital abgerufen werden. Es gibt allerdings noch eine Vielzahl von Verfahren, die entweder gar nicht oder nur partiell digital abgebildet sind. Insbesondere bei landesgrenzüberschreitenden Vorgängen ist die Vernetzung der Verwaltungsträger noch ausbaufähig. Die Corona-Krise hat bereits punktuell gezeigt, dass eine starke Digitalisierung der Verwaltung Belastungen der Unternehmen durch formalistische  und langwierige behördliche Verfahren deutlich reduzieren kann.
Hierauf aufbauend sollten alle verantwortlichen Stellen auf Bundes- und Landesebene gemeinsam und in gegenseitiger Abstimmung eine zügige, vollständig digitale Durchführung von Verwaltungsverfahren zu Gunsten der Wirtschaft anstreben. Dort, wo dies möglich ist, müssen Verfahren mittels künstlicher Intelligenz gestrafft werden. Auch muss das Online-Zugangsgesetz noch einmal grundlegend überarbeitet und der elektronische Rechtsverkehr weiter ausbaut und vereinfacht werden. Insbesondere muss ein einheitlicher Zugang zur Verwaltung („Single Point of Contact“) auch über das Online-Zugangsgesetz hinaus durch Einführung bundesweit einheitlicher Servicekonten für Unternehmen geschaffen werden. Schriftformerfordernisse müssen überall dort, wo dies möglich ist, durch digitale Formate ersetzt werden, beispielsweise bei der Antragstellung für Fördermittel. Medienbrüche im Rahmen von Verwaltungsverfahren müssen vermieden werden. Massenkontakte der Unternehmen mit den Behörden sollten über standardisierte technische Schnittstellen abgewickelt werden können, um eine Maschine-zu-Maschine-Kommunikation zu ermöglichen. All dies setzt auch voraus, dass die IT-Systeme in Bund und Ländern die notwendige Interoperabilität aufweisen, damit der Datenaustausch nicht an den Landesgrenzen scheitert.
6. Bürokratiekosten-Monitoring einführen
Derzeit werden die Vorschriften des Bundes- und Landesrechts mit Blick auf deren bürokratische Kostenlasten zum Nachteil der Unternehmen nicht systematisch erfasst. Nicht zuletzt deshalb sind aussagekräftige Vergleiche unter den Bundesländern zum Bürokratieabbau kaum möglich. Auch die systematische Bereinigung gesetzlicher Vorschriften von unangemessener Bürokratie wird hierdurch erschwert. Um sie zu ermöglichen, müssen die mit bereits existierenden und geplanten Rechtsetzungsmaßnahmen verbundenen Bürokratielasten quantifizierbar gemacht und transparent dargestellt werden. Die Ergebnisse sind zu veröffentlichen. Auf ihrer Grundlage können überbordende Regelungen systematisch abgebaut bzw. vermieden werden.
7. Verwaltungskosten minimieren
Das Überwachen der Einhaltung rechtlicher Vorgaben ist eine Kernleistung der öffentlichen Verwaltung, die nicht zuletzt auch der Sicherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen dienen. Insbesondere die mit anlasslosen Kontrollen, beispielsweise im Bereich des Veterinärwesens und der Lebensmittelkontrolle, verbundenen Gebühren berücksichtigen allerdings zum Teil die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Unternehmen nicht hinreichend. Das führt zu einer ungleichen Lastenverteilung und damit zu vermeidbaren Wettbewerbsverzerrungen.
Aus diesem Grund müssen Regeln zur Überwachung der Einhaltung von Rechtsvorschriften verhältnismäßig und angemessen sein. Unternehmen dürfen durch Überwachungsvorschriften nicht über Gebühr in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Verwaltungsgebühren für anlasslose Kontrollen insbesondere im Lebensmittel- und Veterinärbereich, aber auch in allen anderen wirtschaftsrelevanten Bereichen, müssen auf das absolut notwendige Mindestmaß beschränkt werden. Die Höhe solcher Gebühren muss die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens berücksichtigen. Vor allem aber dürfen Unternehmen nicht mit Kontrollgebühren belastet werden, wenn eine anlasslose Kontrolle keine wesentliche Beanstandung ergibt.
8. Informations-, Dokumentations- und Meldepflichten reduzieren
Informations-, Melde- und Dokumentationspflichten behindern die Unternehmen in ihrem Tagesgeschäft und erschweren oftmals auch Existenzgründungen. Gerade bei KMU verursachen solche Pflichten in der Regel einen überproportional großen Aufwand, während der konkrete Nutzen solcher Vorgaben häufig zweifelhaft ist. Die Entbürokratisierungsgesetze der vergangenen Jahre sind dabei ein begrüßenswerter erster Ansatz, reichen aber nicht aus, um die Wirtschaft nachhaltig von formalen Pflichten zu entlasten. Das zeigt sich beispielsweise an den Meldescheinen für Hotelgäste. Rund 1,5 Milliarden solcher Scheine sind in den vergangenen zehn Jahren in deutschen Hotels ausgefüllt worden. Nur in seltenen Ausnahmefällen werden sie tatsächlich von den Sicherheitsbehörden eingesehen. Zudem sind sie mangels Ausweispflicht ohnehin von begrenzter Aussagekraft und verursachen daher einen unnötigen, aber nicht unerheblichen Aufwand für Hotelbetreiber, so dass sie ersatzlos abzuschaffen sind.
9. Once-Only“-Prinzip konsequent umsetzen
Die Vielzahl von Steuer-, Statistik- und anderen Meldepflichten, mit denen Unternehmen konfrontiert sind, verursachen einen immensen Aufwand, während zugleich der praktische Nutzen vieler Meldungen fraglich ist. Besonders umständlich und fehleranfällig wird es, wenn dieselben Daten gleich mehrfach an unterschiedliche Adressaten in der Verwaltung geschickt werden müssen, weil die Behörden in technischer Hinsicht nicht ausreichend miteinander vernetzt sind. Gleiches gilt für die Zulieferung von Daten im Rahmen von Genehmigungs- und anderen Verwaltungsverfahren. Diese Zerfaserung der Datenerhebung zu Lasten der Unternehmen muss beendet werden.
Um dies zu erreichen, muss das „Once Only"-Prinzip konsequent umgesetzt werden: Der Austausch von Daten zwischen verschiedenen Behörden ist so auszugestalten, dass die Unternehmen ihre Daten nur einmal zuliefern müssen und alle ihre Behördenkontakte über ein bundesweit einheitliches Unternehmenskonto, das alle relevanten Informationen enthält, abwickeln können. Die weitere Zusammenführung der Daten zu unterschiedlichen gesetzlichen Zwecken muss dann unmittelbar zwischen den Behörden koordiniert werden. Das gilt insbesondere für die verschiedenen Register (Melderegister, Handelsregister, Gewerberegister etc.), die bundeslandübergreifend technisch stärker harmonisiert und modernisiert sowie medienbruchfrei ausgestaltet werden müssen. Die Meldung von Daten muss zudem durchgängig elektronisch (z. B. über behördliche Cloud-Lösungen) möglich sein. Die Datenzulieferung und -erhebung auf Papier muss endgültig der Vergangenheit angehören. Bei allen diesen Maßnahmen ist eine enge Abstimmung und Kooperation der Verwaltungsträger auf kommunaler, Landes- und Bundesebene notwendig.
10. Wirtschaftsnahe hoheitliche Aufgaben auf die IHK übertragen
Schon heute übernimmt die IHK im Interesse ihrer Mitgliedsunternehmen eine Vielzahl hoheitlicher Aufgaben, beispielsweise im Bereich der Berufsausbildung und der Fortbildung, bei Prüfungen und Unterrichtungen u. a. im Verkehrs- und Bewachungsbereich und bei der Erteilung von Gewerbeerlaubnissen für Versicherungs- und andere Vermittler. Die Erfüllung dieser Aufgaben durch die IHK ist nachweislich schneller, kostengünstiger, digitaler und damit effizienter, als dies bei staatlichen Behörden der Fall ist. Der Gesetzgeber sollte daher prüfen, ob bereits existierende oder künftig geplante wirtschaftsnahe hoheitliche Aufgaben im Interesse der Wirtschaft auf die IHK übertragen werden können.