Ein Fundament für die Fachkräftesicherung
Wo bezahlbarer Wohnraum fehlt, haben es Unternehmen im Wettbewerb um Fachkräfte schwer. Doch können die Kommunen selbst die Lage am örtlichen Markt verbessern. Die Gemeinde Nottuln zeigt, wie es geht.
Mit dem Fahrrad vom Arbeitsplatz in den Feierabend fahren, und zwar in eine bezahlbare Unterkunft? Davon können viele Auszubildende angesichts knappen Wohnraums und steigender Kosten nur träumen. Dabei ist eine kurze Distanz zwischen Wohnung und Ausbildungsort für Bewerber hochrelevant, wie eine gemeinsame Umfrage von HWK Münster und IHK Nord Westfalen zeigt:
- Von den 5.000 befragten Auszubildenden nannten 79 Prozent diese Nähe als wichtiges Kriterium.
- Jede 15. dieser Personen hat bereits einen Ausbildungsplatz abgelehnt, weil sie keine Wohnung finden konnte. Damit zogen im IHK-Bezirk innerhalb eines Jahres insgesamt rund 1.300 der künftigen Fachkräfte ihre Bewerbung um einen Ausbildungsplatz wegen der Wohnungsnot zurück.
- Dabei zeigen sich Unterschiede zwischen den einzelnen Kreisen und Städten: Während im gesamten IHK-Bezirk sich 39 Prozent der Auszubildenden vorstellen können, zu Beginn oder während der Ausbildung in ein bezahlbares Wohnheim in der Nähe des Betriebes umzuziehen, lag der Anteil in Münster sogar bei über 51 Prozent.
„Wohnmöglichkeiten für Auszubildende sind damit ein wichtiger Faktor, wenn es um die betriebliche Fachkräftesicherung geht“, sagt Carsten Taudt, Geschäftsbereichsleiter Bildung, Fachkräftesicherung und Recht bei der IHK Nord Westfalen. Mit dem sich perspektivisch erneut verschärfenden Fachkräftemangel könne fehlender Wohnraum für manche Betriebe zum entscheidenden Engpass bei der Nachwuchssicherung werden. „Unternehmen, die heute nicht ausbilden können, laufen Gefahr, in wenigen Jahren mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen kämpfen zu müssen“, warnt Taudt.
Zauberwort Genossenschaft
Wie aber lässt sich die Herausforderung lösen? Können Kommunen und Unternehmen selbst die Initiative ergreifen und das Angebot verbessern? Die Gemeinde Nottuln macht es vor. Hier hatten ansässige Unternehmen im Dialog mit Bürgermeister Dr. Dietmar Thönnes deutlich gemacht, wie wichtig der Faktor Wohnraum für die Personalgewinnung geworden ist. „Es fällt immer schwerer, insbesondere für Auszubildende, die in die Nähe Arbeitgebers ziehen wollen, im angespannten Markt eine bezahlbare Wohnung zu finden“, berichtet Gemeindeoberrechtsrat Stefan Kohaus. Wenig später, im Zuge der Generalversammlung der Genossenschaft Lerchenhorst e.G, kam das Thema wieder auf. Diese Genossenschaft ist von der Gemeinde Nottuln, der Gewerbe- und Industrieförderungsgesellschaft mbH (GIG) sowie der Pyramis Immobilien Entwicklungs GmbH gegründet worden – mit dem Ziel bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Kohaus ist Vorstandsmitglied. Den geförderten Bau von zwei Mehrparteienhäuser für insgesamt 14 Familien hat die Kooperative bereits auf den Weg gebracht. Klarer Konsens in der Mitgliederrunde: Fördermittel stehen auch für den Bau von Wohnungen für Mitarbeitende parat, also ran an ein Projekt, das exklusiv an Auszubildende adressiert wird. Verfahren wird dabei nach dem sogenannten Detmolder Modell, wie Kohaus erklärt. Demnach bringt die Standortkommune ein verfügbares Grundstück als Kapital in die Genossenschaft ein und erhält im Zuge Genossenschaftsanteile.
Dr. Dietmar Thönnes, Bürgermeister der Gemeinde Nottuln, und Stefan Kohaus, Gemeindeoberrechtsrat.
Fördertopf steht bereit
Ganz trivial waren die Wege zu Baugenehmigung und Fördertopf allerdings nicht, berichtet Kohaus. So erfordert der Standort am Bahnhof Appelhülsen besondere Schallschutz-Maßnahmen und ein ausgeklügeltes Entwässerungskonzept. „Auch der Antrag auf Fördermittel schreibt sich nicht von selbst, wir mussten 43 Anlagen beifügen“,erzählt der Oberrechtsrat. Rund 868.000 Euro sind als Zuschuss geflossen, insgesamt 1,1 Mio. werden investiert, die Differenz mit Krediten gestemmt. Die Fördergelder stammen aus der öffentlichen Wohnraumförderung des Bundes, die von den Ländern verwaltet wird. Diese nämlich sind verfassungsgemäß zuständig, legen ihre eigenen Programme auf und können selbst zusätzliche Mittel bereitstellen. Die Bewilligungsbehörde hängt jeweils vom Standort des Bauvorhabens ab. Ansprechpartner für die Gemeinde Nottuln ist der Kreis Coesfeld, der sich, im Falle des Projektes in Nottuln-Appelhülsen, mit der NRW.Bank abgestimmt hat. Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen stellt für die Förderjahre 2025, 2026 und 2027 jeweils 180 Millionen Euro zur Verfügung. Die Förderung richtet sich an Ausbildungsbetriebe, Studierendenwerke, wohnungswirtschaftliche Unternehmen sowie private Investorinnen und Investoren. Gefördert werden die Neuschaffung und Modernisierung von Wohnraum für Auszubildende und Studierende an Bedarfsschwerpunkten.
An Bedarf fehlt es in der Gemeinde Nottuln nicht: Die Christopherus-Kliniken GmbH, Standort Nottuln, sowie weitere ansässige kleinere und mittelständische Unternehmen aus Industrie und Handwerk haben Interesse an Belegungsrechten angemeldet. Denn längst nicht mehr finden die Firmen Auszubildende in ausreichender Zahl, die in Nottuln und Ortsteilen ansässig sind. Warum aber ausgerechnet in Appelhülsen das Gebäude errichten? Diese Frage des Fördermittelgebers konnte Kohaus kontern: Der Ortsteil liege sehr verkehrsgünstig, der Bahnhof ist nur wenige Gehminuten entfernt. Innerhalb einer Viertelstunde bringe der Zug die Auszubildenden in die Innenstadt von Münster, deren kulturelle und gastronomische Infrastruktur somit zum Standortfaktor in Nottuln werde. Ins nahe gelegene Coesfeld mit seinen Berufsschulen und Berufskollegs oder ins angrenzende Ruhrgebiet sei es auch nicht weit, betont Kohaus. Ein kleines, aber feines Projekt also werde bis Mitte 2026 in Appelhülsen entstehen, freut sich Kohaus. Laut Baubeschreibung jedenfalls wird es wirklich wohnlich in diesem Klinkerbau: Die Auszubildenden, Werksstudierenden oder Studierenden ziehen in Ein-Zimmer-Appartements von rund 35 Quadratmetern Größe – mit Bad, WC, Küchenzeile, einem Balkon oder einer Terrasse. Im Erdgeschoss befinden sich drei Appartements, im Obergeschoss sind drei weitere Wohneinheiten geplant, und im Dachgeschoss des Flachbaus befindet sich eine Wohnung mit Dachterrasse, in der zwei Personen Platz finden. Ein gläsernes Treppenhaus mit Aufzug verbindet die Geschosse. Die Miete wird je Wohnplatz berechnet und setzt sich aus der Grundmiete in Höhe von 210 Euro monatlich sowie – wenn beantragt – 45 Euro monatlich für Einbaumöbel und 20 Euro Internetpauschale zusammen. In Summe sind dies also zwischen 210 und 275 Euro Kaltmiete zuzüglich Betriebs- und Heizkosten. Der Mietpreisanstieg ist auf 1,7 Prozent per anno begrenzt. Für vergleichbaren Wohnraum ohne Förderung wären bei 35 qm und einem Mietzins beim Neubau von ca. 15 Euro pro Quadratmeter ca. 525 Euro Kaltmiete fällig.
Potenziale liegen brach
Etabliert hat sich das Recruiting-Instrument „Wohnen für Auszubildende und Mitarbeiter“ bisher noch nicht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Ende vergangenen Jahres eine Bestandsaufnahme vorgelegt. Demnach unterstützen deutschlandweit nur 5,2 Prozent der Unternehmen ihre Mitarbeitenden mit direkten Maßnahmen – beispielsweise indem sie Bestandsimmobilien ankaufen, neu bauen, Belegrechte für Wohnungen erwerben oder Wohnungen an- und weitervermieten. Die Gemeinde Nottuln also ist ein Vorbild. „Im Prinzip orientiert sich das Projekt am Wohnen für Studierende in den Uni-Städten, aber ein vergleichbares Modell im ländlichen Raum ist uns nicht bekannt“, sagt Kohaus. Seine beiden Tipps für Kommunen der Region, die das Modell aufgreifen wollen: Nichts gehe über eine gute Kommunikation mit allen Beteiligten.
„Und bei der Standortwahl ist zu bedenken, wie Auszubildende ticken, die fahren gern mal in die Stadt“, weiß Kohaus. Carsten Taudt zeigt sich vom Engagement der Gemeinde Nottuln beeindruckt. „Die Idee ‚Wohnen für Auszubildende‘“ hat das Potenzial für ein Erfolgsmodell und kann Kommunen und Unternehmen der Region wertvolle Impulse geben, die ein ähnliches Angebot schaffen wollen“, sagt der IHK-Geschäftsbereichsleiter. Die Gemeinde Nottuln jedenfalls will nachlegen, wenn das Angebot gut aufgenommen wird – natürlich wieder mit einem genossenschaftlichen Projekt.
Kontakt
Redaktion Wirtschaftsspiegel