Sicherheit mit der Wirtschaft
Das Thema „Gesamtverteidigung“, also das Zusammenspiel aller militärischen und zivilen Maßnahmen in den Mittelpunkt. Die neue Realität einer hybriden Bedrohungslage zwingt Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu einem Umdenken – auch in Nord-Westfalen.
Die sicherheitspolitische Lage in Deutschland hat sich seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine grundlegend verändert. Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in diesem Kontext von einer „Zeitenwende“. Auch wenn Deutschland aktuell nicht unmittelbar in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt ist, leben wir längst nicht mehr in einem Zustand des Friedens, wie wir ihn jahrzehntelang kannten.
Ausschreibungen im Verteidigungsbereich: Hürden und Chancen
Unternehmen, die sich um Aufträge im Verteidigungssektor bemühen, müssen oft hohe IT-Sicherheitsstandards erfüllen und umfassende Sicherheitsüberprüfungen von Mitarbeitenden akzeptieren. Gerade in Krisenzeiten werden Verfahren aber auch beschleunigt.

So hat die die EU-Kommission nach der Europawahl eine Kürzung der bürokratischen und administrativen Belastungen angekündigt. Dadurch soll die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europas verbessert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, reformiert die EU-Kommission in Artikelgesetzen, die sie „Omnibus-Pakete“ nennt, eine Reihe von besonders belastenden Regelungen. Ein erster Omnibus im Bereich Verteidigung ist kürzlich veröffentlicht worden. Er soll insbesondere Anreize für die gemeinsame Auftragsvergabe setzen, für Erleichterung von Standardkäufen zum Auffüllen von Lagerbeständen sorgen und mehr Flexibilität bei Rahmenverträgen ermöglichen. Darüber hinaus führt eine Verdoppelung der Schwellenwerte für die Beschaffung von Verteidigungsgütern und für Liefer- und Dienstleistungsaufträge zu verbesserten Bedingungen auch für kleine und mittlere Unternehmen.
Bei all dem sollte berücksichtigt werden, dass der Einstieg beispielsweise als Zulieferer in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) kein Sprint ist, sondern es einer präzisen Planung bedarf.
Die Bundeswehr selbst vergibt jährlich umfangreiche Aufträge in den Bereichen Ausrüstung, Infrastruktur, IT, Dienstleistungen und Logistik. Für Unternehmen ist die Beteiligung an diesen Ausschreibungen eine attraktive Möglichkeit, sich als Partner für sicherheits- und verteidigungsrelevante Leistungen zu positionieren.
Der Bedarf im Rahmen der Gesamtverteidigung geht allerdings weit über die klassische Rüstungsindustrie hinaus. Neben verteidigungsspezifischen Gütern besteht ein erheblicher Bedarf an Produkten und Dienstleistungen verschiedenster Branchen. Dazu zählen etwa Logistikleistungen (zum Beispiel Transportkapazitäten), Bauleistungen (Instandhaltung von Liegenschaften, Bau von Schutzräumen, Bereitstellung von Baumaschinen), IT-Sicherheitsdienste und Versorgungsleistungen, etwa im Bereich Verpflegung oder Lebensmittel entlang militärischer Aufmarschwege.
Die Bundeswehr deckt diesen Bedarf über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) ist dabei für die Ausstattung der Bundeswehr mit moderner Wehrtechnik zuständig und beschafft zentral auf der Grundlage eines konkreten und bundesquerschnittlich vorliegenden zusammengefassten Bedarfs. Die Ausschreibungen werden zentral auf der e-Vergabe-Plattform des Bundes sowie auf der EU-weiten Plattform TED veröffentlicht. Dabei geht es nicht nur um militärische Ausrüstung. Auch „klassische“ Leistungen wie Büromaterial, Gebäudereinigung und -instandhaltung, Bewachung oder Bauleistungen werden regelmäßig ausgeschrieben.
Das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr BAIUDBw ist zuständig für Baumaßnahmen im Inland, Ausland und in den Einsatzgebieten, für die Einhaltung von umweltschutzrechtlichen Vorgaben und für allgemeine Dienstleistungsangelegenheiten. Das BAIUDBw verantwortet alle zentralen Aufgaben in der Bundeswehr für die Bereiche Finanzen, Controlling, Infrastruktur, gesetzliche Schutzaufgaben sowie Dienstleistungen und bündelt bundeswehrgemeinsame Fachaufgaben. Entsprechende Dienstleister und Partner werden auch in diesen Bereichen gesucht. Dieses macht die Bundeswehr zu einem interessanten öffentlichen Auftraggeber auch für Unternehmen außerhalb der Rüstungsindustrie, etwa aus der IT, dem Bau- oder Dienstleistungssektor oder dem technischen Service. Zum nachgeordneten Bereich des BAIUDBw zählen außerdem 42 Bundeswehr-Dienstleistungszentren (BwDLZ), die die verschiedenen Dienststellen der Bundeswehr mit vielfältigen Serviceleistungen „aus einer Hand“ unterstützen. Allein das BwDLZ Münster betreut mehr als 50 Liegenschaften in Nord-Westfalen und darüber hinaus.
- Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Fokus
Mit einer Unternehmerreise nach Litauen bieten mehrere Industrie- und Handelskammern Unternehmen aus NRW die Möglichkeit, sich in Vilnius über Entwicklungen, Chancen und Kooperationsmöglichkeiten in der Sicherheits- und Verteidigungsbranche zu informieren. Die Reise findet vom 24. bis 26. November 2025 statt. Anmeldeschluss ist der 23. Oktober 2025.Das Programm bietet Einblicke in Forschung, Praxis und Strategie – unter anderem bei Unternehmensbesuchen, im Austausch mit lokalen Akteuren und beim gezielten B2B-Matching.Infos zum Programm und zur Anmeldung gibt es im IHK-Veranstaltungskalender.
Unterstützung konkret
Mit DEFENCE.NRW bündeln aktuell zentrale Akteure in Nordrhein-Westfalen wie NMWP.NRW, ZENIT GmbH, KI.NRW, Digital.Sicher.NRW, AeroSpace.NRW und automotivland.nrw ihre Kompetenzen, Netzwerke und Ressourcen. Ziel ist es, technologische Souveränität zu stärken, resiliente Wertschöpfungsketten aufzubauen und sicherheitskritische Innovationen voranzutreiben. Ein besonderer Fokus liegt auf der Vernetzung von Technologieunternehmen, Forschungseinrichtungen und weiteren Partnern, um neue Wertschöpfungsketten zu entwickeln – insbesondere für Industrieunternehmen aus NRW.
Auch die IHK Nord Westfalen bietet Unternehmen Hilfestellung, um sich in diesem neuen Umfeld zu orientieren. Erstinformationen, Einstiegsberatung und Kontaktvermittlung zu sicherheitsrelevanten Akteuren, Informationsveranstaltungen, sowie Erfahrungsaustauschformate und grenzüberschreitendes Matchmaking, zum Beispiel im deutsch-niederländischen Technologie- und Innovationscluster TECH.LAND, bieten praxisnahe Hilfe für Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Gesamtverteidigung stellen und gleichzeitig neue Märkte erschließen wollen.
- Von Personal bis Infrastruktur
Die veränderte Sicherheitslage sorgt nicht nur für neue Absatzmärkte für die Industrie. Sie berührt die Unternehmen auch in anderen Zusammenhängen:
Zivil-militärische Zusammenarbeit
Unternehmen aus Nord-Westfalen, insbesondere aus den Bereichen Logistik, Maschinenbau, IT und Energieversorgung, werden zunehmend in sicherheitsrelevante Überlegungen einbezogen. Kooperationen mit der Bundeswehr, Behörden und Blaulichtorganisationen (Feuerwehr, THW, Polizei) schaffen neue Anforderungen – und eröffnen zugleich neue Perspektiven.Personalfragen
Beschäftigte, die als Reservisten oder in Blaulichtorganisationen tätig sind, könnten im Krisenfall kurzfristig nicht mehr verfügbar sein. Auch viele ausländische Lkw-Fahrer könnten durch Einberufung zum Wehrdienst oder durch Grenzschließungen ausfallen. Unternehmen sollten daher Szenarien für gestörte Lieferketten, Notfalllagerung und Wartungsplanung durchdenken – auch für die Unterstützung bei der Truppenversorgung oder Instandhaltung von Fahrzeugen und Infrastruktur im Falle einer weiter veränderten Sicherheitslage.Digitalisierung für Behörden
Für Unternehmen eröffnen sich vielfältige Chancen, nicht nur die Streitkräfte, sondern auch die dahinterstehenden Behörden als Kunden zu gewinnen. Besonders gefragt sind Innovationen im Bereich Digitalisierung, Sensorik, Robotik oder energieeffiziente Systeme.Infrastrukturausbau
Auch in verteidigungsrelevante Infrastruktur wird investiert: Der Bau und die Modernisierung von Liegenschaften, Kasernen oder Übungseinrichtungen bieten Potenzial für Bauunternehmen, Planer und Zulieferer in der Region. Auch bei der zivilen Infrastruktur – etwa beim Ausbau von Notstromversorgung oder Kommunikationsnetzen – entstehen neue Bedarfe.
IHK-Ansprechpartner:

Markus Lübbering
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Redaktion Wirtschaftsspiegel