Standort & Politik

Einwanderung von Fachkräften erleichtern

„Wenn ein Unternehmen einwanderungswillige Fachkräfte aus einem Nicht-EU-Land vor Ort selbst kennengelernt hat, muss es eine Möglichkeit geben, sie schnell in den Betrieb zu holen“: Das forderte Helmut Rüskamp, Vizepräsident der IHK Nord Westfalen, bei einem Besuch der Finiglas Veredelungs GmbH am 30. März in Dülmen. (Von Dominik Dopheide)
Eine steile Erfolgskurve hat das Unternehmen mit seinem gebogenen Glas in den vergangenen Jahren hingelegt. Es zählt inzwischen zu den größten Glasbiegern Europas und hat beispielsweise die Fassade des Agora Garden in Taipeh mit seinen Produkten bestückt – ein extravaganter Öko-Wolkenkratzer, der die Form einer DNA-Spirale hat. Finiglas, das 80 Prozent seiner Umsätze im Exportgeschäft erwirtschaftet, hat in Dülmen kräftig expandiert und neue Büro- und Produktionsgebäude errichtet.

Fachkräftemangel spürbar

Dennoch blickt Geschäftsführer Alexander Nagel nicht ganz ohne Sorgen in die Zukunft. „Wir hätten genug Aufträge für eine dritte Schicht, doch fehlen uns Fachkräfte, insbesondere Flachglastechnologen“, berichtete er. Auch die Ausbildungsplätze zu besetzen, sei nicht einfach, zumal der Beruf in der Region noch nicht sehr bekannt sei. Fündig geworden auf der Suche nach Fachkräften ist Nagel im westlichen Balkan.
„Wir waren in Mazedonien und haben dort Glasbieger kennengelernt, die uns verstärken würden und zu uns wollen“, erzählt er. Sie seien so versiert, dass sie auch den Auszubildenden bei Finiglas wertvolles Know-how vermitteln könnten. Doch gibt es bürokratische Barrieren, die so schnell nicht zu überwinden sind: Mazedonische Abschlüsse würden in Deutschland nicht anerkannt, und der Weg zum Visum sei langwierig. „Wir schaffen es trotz Arbeitsvertrag seit zweieinhalb Jahren nicht, diese Fachkräfte langfristig nach Deutschland zu holen“, schilderte Nagel eine Situation, die er angesichts der Weltoffenheit des Unternehmens schwer nachvollziehen kann: Finiglas gehört der Semco-Gruppe an, die an 21 Standorten in Europa rund 1.800 Mitarbeitende aus 50 Kulturen beschäftigt.

Verbesserungsbedarf beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Helmut Rüskamp (Mitte)
„Wenn ein Unternehmen einwanderungswillige Fachkräfte aus einem Nicht-EU-Land vor Ort selbst kennengelernt hat, muss es eine Möglichkeit geben, sie schnell in den Betrieb zu holen“, forderte Helmut Rüskamp, Vizepräsident der IHK Nord Westfalen. © IHK
Die Erfahrung der Finiglas GmbH zeige beispielhaft, dass das Fachkräfteeinwanderungssystem nicht gut genug funktioniere und dringend verbessert werden müsse, betonte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel. „Wenn den Unternehmen Top-Leute aufgrund von Bürokratie entgehen, werden wir den Fachkräftemangel kaum in den Griff bekommen“, warnte er und griff die Forderung Helmut Rüskamps auf: „Wir müssen auch in Nicht-EU-Ländern schnell und gezielt anwerben können,“ sagte Jaeckel, der Finiglas Unterstützung in Form von Beratung anbot und einlud zum IHK-Fachkräftekongress am 9. Mai bei der IHK in Münster.
Relativ gut zurecht kommt das Unternehmen zurzeit mit den großen Herausforderungen der Energiepreisentwicklung. Die Fertigung und Veredelung von gebogenen Gläsern ist energieintensiv. Acht gasbetriebene Öfen heizen in den Produktionshallen am Wierlings Hook den Werkstoff auf, bis er reif ist fürs Biegen. Gerade erst hat Finiglas in den „Big Block 3“ investiert – ein Ofen, der Sonder-Abmessungen aufnehmen kann, aber auch im Verbrauch entsprechend Größe zeigt. Weil sich der Gaspreis im vergangenen Jahr vervielfacht hatte, drohte Finiglas ein Wettbewerbsnachteil, insbesondere im Vergleich mit jenen Glasbiegern, die im europäischen Ausland bereits von einer Gaspreisdeckelung profitiert hatten und ohnehin mit geringeren industriellen Arbeitskosten kalkulieren können. „Mittlerweile aber haben auch bei uns Preisdeckel und andere Maßnahmen die Situation planbarer gemacht“, berichtet Alexander Nagel.

Breiter Energiemix geplant

Dennoch musste Finiglas die Preise deutlich erhöhen. Zugleich feilt das Unternehmen mit Hochdruck an Effizienzsteigerung und Kostensenkung und will sich im Energiemix breiter aufstellen. „Wir haben bereits mit den Herstellern der Öfen Kontakt aufgenommen, weil wir erwägen, auf Strom oder Wasserstoff umzustellen“, berichtet Jürgen Kohn, technischer Niederlassungsleiter und Prokurist der Finiglas GmbH. Welchen Weg das Unternehmen wählt, ist noch offen. Helmut Rüskamp wies auf die Lagegunst des Standortes Dülmen zu künftigen Wasserstoffleitungen hin und riet zu einer zeitnahen Entscheidung: „Wenn die Leitungen unter Druck stehen, ist es zu spät, deshalb ist es wichtig, jetzt aktiv zu werden und sich bei der Stadt zu melden“, erklärte der IHK-Vizepräsident, um dann die unternehmerische Leistung zu würdigen, die Finiglas erbringt. „Die Berechenbarkeit der Energiepolitik ist gering, die Preise für Energieträger sind seit Jahren zu hoch und werden durch Abgaben und Umlagen stark belastet“, sagte Rüskamp und fügte hinzu: „Es spricht für die Innovationskraft von Finiglas, dass das Unternehmen diese Herausforderungen mit großem Erfolg meistert.“
Unternehmensinformationen: FINIGLAS Veredelungs GmbH, Dülmen