„KI ist ein Werkzeug – kein Selbstzweck“

Wie setzt man KI im Mittelstand so ein, dass sie echten Nutzen bringt? Dr. Sandra Wissing, Data Scientist bei FIEGE Logistik, erklärt, wie das Unternehmen KI-Projekte plant, die Zeit sparen, Prozesse entlasten – und am Ende wirklich eingesetzt werden. Ein Gespräch über Forecasts, Chatbots, Bauchgefühl – und die Kunst, Projekte auch mal zu stoppen.
Frau Dr. Wissing, wo kommen Fiege-Mitarbeitende heute zuerst mit KI in Berührung?
Dr. Sandra Wissing: Wahrscheinlich im Büro. Wir haben dort eine Benutzergruppe, die den Microsoft Copilot testet. In der operativen Logistik kommt es darauf an, in welchen Bereich man schaut: Auch dort haben wir KI-Anwendungen – etwa in der Kommissionierung oder in der Auftragsvorhersage. Manche KI-Lösungen entwickeln wir in unserer Data- und KI-Abteilung – andere setzen wir gemeinsam mit Partnern um. Wichtig ist: Sie müssen im Alltag funktionieren.
Wie ist die KI-Entwicklung bei FIEGE organisatorisch verankert?
Wissing: Ich bin seit zweieinhalb Jahren bei FIEGE – und schon davor war hier viel in Bewegung. Heute haben wir innerhalb unserer Data & AI-Abteilung ein AI-Solutions-Team, das sich um die Umsetzung von KI-Lösungen kümmert. Ein anderes Team entwickelt Standard-Datenprodukte, wie etwa Standard-Reportings, ein weiteres kundenspezifische Lösungen. Daneben gibt es noch Teams, die sich um Grundlagen wie Data Management, Self-Service oder die Plattform und Architektur kümmern.
Woran erkennen Sie, ob ein Problem sich überhaupt für eine KI-Lösung eignet?
Wissing: Wir fangen nie mit der Technologie an – wir fangen mit dem Problem an. Wenn sich etwas durch einen klareren Prozess oder ein klassisches Tool lösen lässt, dann machen wir das. KI kommt dann zum Einsatz, wenn die Fragestellung wirklich datenbasiert ist und wir davon ausgehen, dass ein Modell helfen kann – etwa bei Vorhersagen, Klassifizierungen oder bei automatisierter Texterstellung. Wichtig ist, dass Fachleute und Entwicklerinnen früh zusammenarbeiten. Erst wenn klar ist, was gelöst werden soll und welche Daten zur Verfügung stehen, entscheiden wir, ob KI das richtige Werkzeug ist.
Woran merken Sie, dass aus einem Projekt ein richtiges KI-Produkt wird?
Wissing: Wir definieren früh, woran wir Erfolg messen. Soll ein Prozess besser laufen? Oder messen wir Kosten? Und wie messen wir das? So vermeiden wir Endlosschleifen und kommen schneller an den Punkt, an dem klar ist: Die Lösung funktioniert – und bringt den Mehrwert, den wir erwartet haben.
Gab es Projekte, bei denen menschliche Erfahrung und maschinelles Lernen aufeinanderprallten?
Wissing: Nicht im Konflikt. Aber es gibt Situationen, in denen das Erfahrungswissen der Mitarbeitenden entscheidend ist. Zum Beispiel bei der Auftragsvorhersage: Eine Person, die seit Jahren den Personaleinsatz plant, weiß genau, wann es eng wird. Der Algorithmus lernt das auch – aber er braucht dafür gute Daten. Am besten ist, wenn beide Perspektiven zusammenkommen. Dann wird die Lösung richtig gut.
Wo genau konkret gibt es bei FIEGE KI?
Wissing: Zum Beispiel bei den Warehouse Management Systemen (WMS). Da entwickeln wir einen Chatbot, der bei Fragen rund um die Bedienung der teils hochangepassten Systeme unterstützt. Dann haben wir ein Forecast-System, das das Auftragsvolumen vorhersagt, um Personal besser planen zu können. Und wir haben ein Customer-Claims-Management-Tool für die automatisierte Abwicklung von Schadens- und Verlustmeldungen. Dort erkennt ein KI-Agent, worum es in der E-Mail geht, und hilft beim Bearbeiten. Trotzdem bleibt immer ein Mensch in den Prozess involviert. Gerade bei Prognosen oder Planungen brauchen wir das Urteil derjenigen, die inhaltlich am tiefsten im Thema sind.
Viele Unternehmen ringen mit dem Nachweis von Nutzen – bei Ihnen gelingt das offenbar. Was sagen Ihre Zahlen?
Wissing: Beim Forecasting sparen wir zum Beispiel bis zu 25 Prozent Zeit in der Personalplanung. Auch das Customer Claims Management entlastet spürbar: Mehr als 20 Kunden nutzen es, viele Abläufe sind dort automatisiert. Das spart Zeit und entlastet den Kundenservice.
Inhalte, Technologie, Anforderungen – all das verändert sich. Wie sichern Sie, dass Ihr Chatbot nicht nur heute, sondern auch in fünf Jahren die richtigen Antworten liefert?
Wissing: Schon in der Planungsphase sprechen wir mit den Fachabteilungen: Wie oft ändert sich eure Dokumentation? Wer ist für Aktualisierungen verantwortlich? Und wo liegen die Dateien, auf die der Bot zugreifen soll? Für Standardprodukte betreuen wir das Monitoring oft zentral. Wenn es sich um eine Lösung für eine einzelne Abteilung handelt, liegt die Verantwortung meist dort – denn dort sitzt auch das Wissen. Wir haben technische Funktionen eingebaut, die regelmäßig prüfen, ob es neue Dokumente gibt. Wenn das der Fall ist, startet im Hintergrund ein Update-Prozess. Und natürlich fallen mit der Nutzung auch immer wieder Schwächen auf – zum Beispiel Fragen, bei denen der Bot noch keine gute Antwort liefert. Dann justieren wir nach: Wir ändern die Prompts, verbessern die Struktur oder ergänzen Inhalte. So entwickeln wir die Anwendung mit der Nutzung weiter, bewusst und kontinuierlich. Das bleibt auch so – und genau das ist gut.
Was raten Sie kleineren Unternehmen ohne Data- und KI-Abteilung?
Wissing: Klein anfangen – aber mit einem klaren Ziel. Überlegen Sie, wo in Ihrem Betrieb heute viel manuell läuft, wo Daten entstehen, aber noch nicht genutzt werden. Dort kann KI einen Unterschied machen. Wichtig ist: früh prüfen, ob daraus ein Produkt wird, das bleibt. Wenn nicht, stoppen Sie das Projekt, bevor Sie zu viel Aufwand hineinstecken und der Mehrwert ausbleibt.
Wenn Sie sich ein Wunschprojekt bauen könnten – welches wäre das?
Wissing: Ich mag klassische Machine-Learning-Fragen – Vorhersagen, Mustererkennung, systematische Verbesserung. Aber am meisten motiviert mich, wenn die Idee aus dem Fachbereich kommt und ich spüre: Das hilft wirklich. Dann weiß ich nämlich genau, wofür ich es entwickle.