Fachkräfte durch Einwanderung

Make it in Nord-Westfalen

Was die demografische Entwicklung seit Langem zeigt, ist während der Pandemie nur kurzzeitig in den Hintergrund getreten: Dem Land fehlen Fachkräfte. Für über 70 Prozent der Unternehmen ist der Fachkräftemangel sogar das größte Risiko für die Weiterentwicklung des Betriebs. Vor der Pandemie sahen nur gut 60 Prozent das größte Problem darin.
Das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, die beschäftigt oder suchend dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, war 2019 auf einem Höchststand. Seither sinkt die Zahl kontinuierlich von damals 834 000 auf prognostiziert rund 681 000 Fachkräfte in Nord-Westfalen, die 2029 dem Markt noch zur Verfügung stehen werden. (von Sabine Mayer, IHK-Abteilungsleiterin Ausbildungsberatung und Bildungpolitische Projekte)
Sorour Abbassi
Sorour Abbassi kommt aus dem Iran. Die Säkaphen GmbH bildet sie zur Lacklaborantin aus. © Pöhnert/IHK
Der Fachkräftemangel ist dabei sowohl ein Geschäftsrisiko als auch eine zentrale Frage der Standortsicherung. Er reicht über das Betriebsinteresse hinaus. Denn werden die Arbeitgeber weniger, wandern die Familien der Arbeitnehmer weg und mit ihnen schwindet die Infrastruktur, Schulen und Kitas schließen, Mobilität und Erreichbarkeit nehmen ab.
Der Königsweg der Fachkräftesicherung führte lange allein über die betriebliche Ausbildung. Sie bleibt der zentrale Baustein, reicht jedoch nicht mehr aus. Auch wenn man die Fachkräfteakquise strategisch begriffen und die eigene Arbeitgebermarke ausgebaut hat, gelingt es zwar, neue Zielgruppen wie Studienabbrecher oder An- und Ungelernte im Betrieb als Potenzial aufzubauen. Das gleicht den Mangel an Nachwuchs- und Fachkräften, und damit das Problem nicht besetzter Ausbildungsplätze und offener Stellen jedoch nicht aus. Auch die Nachfolge eines Betriebs funktioniert so nicht mehr.
Spätestens jetzt müssen Unternehmen alle Chancen zur Fachkräftesicherung in den Blick nehmen. Auch die Bundesregierung setzt bei ihrer Fachkräftestrategie auf die drei Säulen Inland, Europa und International. Die Gewinnung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland ist angesichts des enormen Bedarfs notwendig geworden.

Potenziale der Zuwanderung heben

Durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU können Fachkräfte auf dem europäischen Markt unproblematisch gesucht werden. Es ist aber sinnvoll, auch den Zuzug aus Drittstaaten zu nutzen, die aus demografischer Sicht ein hohes Potenzial haben - insbesondere in Asien, Nordafrika und Südamerika. Dort sind junge, gut ausgebildete Menschen nicht selten von Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung betroffen.
Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) wurde seit 2020 die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften nach Deutschland aus Ländern außerhalb der EU deutlich leichter. Es regelt aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen oder auch die Beschäftigungsvorgaben für Bewerber aus Drittstaaten. Beruflich qualifizierte Fachkräfte wie auch Hochschulabsolventen haben Zugang zu allen Berufen, in denen in Deutschland Arbeitskräfte gesucht werden, wenn sie eine dafür vergleichbare Qualifikation haben. Für Unternehmen bietet das Gesetz beschleunigte Verfahren und neue Beratungsangebote bei der Rekrutierung.
Das vor zwei Jahren in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird jedoch noch zu wenig genutzt. Insbesondere Nordrhein-Westfalen bietet mit der eigens eingerichteten Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung Nordrhein-Westfalen (ZFE NRW) für Unternehmen zusätzliche Unterstützung, um mehr Fachkräfte zu rekrutieren (siehe Interview Seite 20/21). Die Bundesagentur für Arbeit berät mit ihrem Arbeitgeberservice vor Ort bei konkreten Fragen und auch die IHK Nord Westfalen lotst ihre Mitgliedsbetriebe durch diesen Weg der Fachkräftegewinnung. In den Kommunen sind unter anderem kommunale Integrationscentren auf die Fragen von Einwanderung vorbereitet.
Wie unterschiedlich die Wege ausfallen, die Betrieb und ausländische Fachkraft zusammenführen, zeigen die Unternehmensbeispiele auf den folgenden Seiten. Manche Betriebe gehen über Kontaktstellen und schalten Stellenanzeigen über die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung ZAV der Bundesagentur für Arbeit oder bei Vermittlungsagenturen, andere gehen über persönliche Kontakte ausländischer Mitarbeiter. Auch Fachkräfte, die den Weg nach Deutschland suchen, nutzen zum Beispiel das Bundesportal „Make-it-in-Germany“. In jedem Fall folgen notwendige Klärungen unter anderem mit der ZFE oder in Fragen der Anerkennung mit der IHK (siehe Seite 24). Bei den künftigen Fachkräften sind gute Deutschkenntnisse eine der wichtigsten Voraussetzungen, um im Betrieb und im Land Fuß zu fassen. Unternehmen ihrerseits signalisieren ausländischen Bewerbern mit einer konkreten Willkommenskultur, dass sie im Betrieb Unterstützung erhalten und Wertschätzung erfahren.

Betriebe unterstützen

Ohne Fachkräfte aus Drittstaaten geht es nicht mehr. Dazu gehört die Anerkennung von Berufsabschlüssen, die im Ausland erworben wurden, nach einem Gesetz von 2012. Hier berät auch die IHK. Ist die Anerkennung erfolgreich, sind neun von zehn Bewerbern mit ausländischem Berufsabschluss erwerbstätig. Eine Erfahrung, die auch dafür spricht, die neuen Wege der Anwerbung zu beschreiten. Die gesteuerte Fachkräfteeinwanderung ist eine Chance, Menschen einzuladen, mit uns zu arbeiten und zu leben.

Tipps für Unternehmen

  • Die örtlichen Arbeitgeber-Services der Agenturen für Arbeit sind erste Ansprechpartner für Unternehmen, die Personal aus dem Ausland rekrutieren möchten. Im Netzwerk der Bundesagentur für Arbeit (BA) steht die „Zentrale Auslands- und Fachvermittlung“ (ZAV) für die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland und für besondere Berufsgruppen. Projekte wie „Thamm“ rekrutieren Fachkräfte speziell aus Nordafrika. Im Projekt „Hand in Hand for International Talents“ arbeiten erstmals IHK-Organisation und Bundesagentur für Arbeit international zusammen. Und auf Unternehmen Berufsanerkennung finden Betriebe Infos und Hilfe bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse von Fachkräften. Alle Infos gibt es bei der Arbeitsagentur oder auch unter der Hotline 0 800 45555 20.
  • Über das Portal der Bundesregierung „Make it in Germany“ können sich Unternehmen für ihre Suche nach Fachkräften aus dem Ausland informieren und direkt Stellenangebote einstellen. Sowohl für Betriebe als auch für Fachkräfte oder Ausbildungswillige gibt es eine Hotline der ZAV.
  • Zum Customer Center gehört die Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung (ZSBA), die ausländische Fachkräfte vor ihrer Antragstellung und zu geforderten Unterlagen berät.
  • Unternehmen können auch direkt Fachkräfte in Drittländern rekrutieren. Mit dem „Beschleunigten Verfahren“ nach Paragraf 81a AufenthG“ sind Einreiseverfahren mit Einverständnis der Einreisewilligen zusammen mit den zuständigen Stellen in Deutschland möglich. Unternehmen in NRW wenden sich an die Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung.
  • Nach einer kostenpflichtigen Beratung (aktuell 411 Euro) unter anderem zu den Voraussetzungen kann ein beschleunigtes Einreiseverfahren angestoßen werden. Die ZFE NRW veranlasst auch den Antrag auf Gleichwertigkeit von Qualifikationen nach Paragraf 4 BQFG Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz.
  • Nach dem Ankommen ist eine betriebliche Willkommenskultur wichtig. Hier gibt der Leitfaden des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung KOFA wichtige Tipps.
Ihre Ansprechpartnerin bei der IHK Nord Westfalen ist: Anke Leufgen, Tel. 0251 707-411, anke.leufgen@ihk-nw.de