Wasserstoff für die Industrie (4|2023)

Anschluss gesucht

Gestiegene Energiekosten und erwartbar steigende CO2-Preise belasten die Produktionskosten und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft am Standort Nord-Westfalen. Eine CO2-freie und günstige Alternative zu konventionellen Brennstoffen wird daher nicht nur im Bereich Prozesswärme dringend benötigt. | Text: Dr. Eckhard Göske
Vor allem energieintensive Unternehmen stehen zunehmend unter Druck, ohne dass aktuell eine preis- und mengentaugliche Alternative zu fossilen Brennstoffen zur Verfügung steht. Als Alternative zur oft geforderten Elektrifizierung bieten sich vor allem Wasserstoff und seine Derivate an, vorausgesetzt diese stehen rasch, in großen Mengen und preisgünstig zur Verfügung.
Wasserstoff steht verständlicherweise hoch im Kurs. So etwa im Klimahafen Gelsenkirchen, wo sich Unternehmen intensiv mit dem Einsatz von Wasserstoff beschäftigen, oder in der chemischen Industrie, zum Beispiel in Gelsenkirchen und Marl.

Henne, Ei und der Hühnerstall

Oft ist im Zusammenhang mit Wasserstoff vom Henne-Ei-Problem die Rede: Das Angebot ist noch nicht da, weil es keine gesicherte Nachfrage gibt, und umgekehrt. Unterschlagen wird dabei der „Hühnerstall”, in dem dieser Angebots-Nachfrage-Ausgleich stattfinden kann. Ohne die entsprechende Infrastruktur kann Wasserstoff weder angeboten noch nachgefragt werden.
Die Fernleitungsnetzbetreiber haben den Wasserstoffbedarf bei den potenziellen Abnehmern bereits abgefragt. Interesse besteht, auch wenn sich viele Unternehmen angesichts bestehender Unsicherheiten noch nicht festlegen wollen. Tatsächlich deutet sich an, dass der Wasserstoffmarkt zunächst langsam und ab 2030 schnell wachsen könnte. Elektrolyseleistung und Einspeisemenge werden voraussichtlich in den nächsten Jahren deutlich steigen, für die zu erwartende Nachfrage nach Wasserstoff würde das Erzeugungsangebot hierzulande aber bei weitem nicht ausreichen. Gut, dass das bundesweite Wasserstoffstartnetz mit über 11.000 Leitungskilometern Kontur annimmt und die Vorarbeiten zum Bau der ersten Wasserstoffpipelines in der Region trotz Verzögerungen in den Planungs- und Genehmigungsverfahren voranschreiten. Über das Pipelinenetz kann schließlich auch importierter Wasserstoff zu den Abnehmern transportiert werden.

Versuche bei Anwendung, Angebot im  Aufbau

Erste energieintensive Produktionsbetriebe haben bereits ihre Anlagen im Versuchsbetrieb mit Wasserstoff gefahren. Andere investieren in Elektrolyseure. Der damit erzeugte Wasserstoff soll dann dem Erdgas beigemischt werden. Die Pilotprojekte und Versuchsbetriebe dienen dazu, Erfahrungen mit der Integration von Wasserstoff in die Produktionssysteme zu sammeln. Das ist wichtig, weil längst noch nicht klar ist, welche besonderen Anforderungen an die Anlagen und Produktionsprozesse bei der Verwendung von Wasserstoff gestellt werden. Der Teufel liegt hier, wie so oft, im Detail. Auch die Westfalen AG unterstützt verschiedene Initiativen rund um Wasserstoff und Brennstoffzellen. Das Unternehmen versorgt seit 40 Jahren seine Kunden mit Wasserstoff und verfügt über eigene Produktions- und Abfüllstandorte, zuverlässige Quellen und eine funktionierende Logistik.
Neben der Nachfrageseite schreitet auch die Entwicklung angebotsseitig voran. Elektrolyseurhersteller wie Enapter aus Saerbeck sichern sich weltweit Aufträge, ein großer Elektrolyseur stellt derzeit seine Praxistauglichkeit im Pilotbetrieb im Bioenergiepark Saerbeck unter Beweis und Länder wie Norwegen, Irland, Schottland und andere suchen Abnehmer für Wasserstoff, um sicherzustellen, dass sich Investitionen in die Wasserstofferzeugung lohnen. Die Firma Cummins baut ihr neues Produktionszentrum für Wasserstoffzellensysteme in Herten auf. Die Anlage wird über eine anfängliche Produktionskapazität von 10 MW pro Jahr für die Entwicklung und Montage von Brennstoffzellenanlagen verfügen.

H2-Netze und -Anlagen

Der Hochlauf eines Wasserstoffmarktes kündigt sich durch erste konkrete Projekte und eine ordentliche Portion Optimismus einiger Marktteilnehmer an. Die Voraussetzung, damit Unternehmen Wasserstoff langfristig in der Produktion zur Prozesswärmeerzeugung einsetzen können, ist jedoch ein Markt, auf dem CO2-neutraler Wasserstoff als qualitativ hochwertiges, verständliches und sicher handhabbares Produkt angeboten und gehandelt wird. Dabei muss Wasserstoff preislich mit fossilen Alternativen konkurrieren können. Bei aller Begeisterung für Wasserstoff müssen deshalb Kosteneffizienz und ein nachfragegesteuerter Markthochlauf den Weg weisen. Inwieweit dies gelingt, bleibt abzuwarten, denn derzeit hängen alle konkreten Wasserstoffprojekte  noch an einer öffentlichen Förderung. Das betrifft Netze und Anlagen gleichermaßen.
Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE verdirbt mit seinen Power-to-X-Länderanalysen etwas die Stimmung, indem es vorrechnet, dass die Versorgung mit Power to X-Energieträgern wie Wasserstoff, Ammoniak, Methanol und synthetischen Kraftstoffen, gar nicht zu günstigen Preisen möglich sein wird. Das ISE hat im Auftrag der Stiftung H2Global für 39 Regionen in von der Stiftung selbst vorausgewählten Ländern untersucht, wo die Herstellung solcher Power-to-X-Produkte bis zum Jahr 2030 in Verbindung mit dem Transport nach Deutschland am günstigsten umsetzbar wäre. Das Ergebnis: Für den Import grünen Ammoniaks, Methanols und Kerosins bieten Brasilien, Kolumbien und Australien besonders gute Bedingungen. Importe von gasförmigem grünem Wasserstoff könnten aus Südeuropa oder Nordafrika stammen, sofern dafür rechtzeitig Pipelines zum Transport zur Verfügung stehen.
Doch die diesem Ergebnis zugrunde liegende Studie kann auch nur ein tiefer Blick in die Glaskugel sein. Die Studie beruht, wie alle anderen auch, auf Annahmen und Hypothesen. Welche Entwicklung Wasserstoff und seine Derivate in den nächsten Jahren international nehmen werden, ist nicht absehbar. Anders gesagt: gesichert ist wenig, die Potenziale sind enorm.
Rohr hochkant
© Canva/IHK
Weltweit sind über 1.040 Wasserstoffprojekte mit einem Volumen von 320 Milliarden US-Dollar angekündigt. Fast 800 dieser Projekte sollen nach Angaben der Hydrogen Councils aus Brüssel möglichst bis 2030 in Betrieb gehen. Zwar ist nur für 10 Prozent aller Wasserstoffprojekte die Finanzierung bisher gesichert, dennoch spricht einiges für Optimismus und ein wachsendes Vertrauen in die Wasserstoffzukunft. So dürfen zum Beispiel die Planungen für das nationale Wasserstoffstartnetz, dessen Leitungen auch durch Nord-Westfalen verlaufen, durchaus als ein weltweites Signal an alle potenziellen Exporteure von Wasserstoff verstanden werden. Die Botschaft ist klar: hier werden die Voraussetzungen für eine Wasserstoffzukunft geschaffen.
Die Lenkungswirkung des Europäischen Emissionshandels wird dabei von vielen Staaten antizipiert: CO2-Emissionen werden absehbar teuer, daher unterstützen viele Staaten ihre Industrie beim notwendigen Umbau. Das Problem dabei: Die Konzentration auf Großunternehmen und -projekte ist leichter und zeigt schneller Erfolge. Damit wird allerdings der energieintensive Mittelstand, Wachstums- und Wohlstandsträger insbesondere in Deutschland, benachteiligt.
Dabei reicht es, die Unternehmen den richtigen Weg wählen zu lassen, um eine gute, sprich wirtschaftliche Energiewende zu schaffen. Die marktwirtschaftlichen  Wirkungsmechanismen des Europäischen Emissionshandels steuern die Wirtschaft hin zur klimaneutralen Produktion.  
Nicht alle mittelständischen Unternehmen sind derzeit bereit in Vorleistung zu gehen, zumal sich das wirtschaftliche Umfeld durch Inflation, Fachkräftemangel und Bürokratie ohnehin verschlechtert. Hinzu kommen teils große Unsicherheiten im Hinblick auf europäische und geopolitische Entwicklungen. So ist nicht klar, welche Wasserstoffmengen wann und zu welchen Kosten zur Verfügung stehen. Auch internationale Wasserstoffpipelines existieren meist nur auf dem Papier.
Zumindest die politischen Rahmenbedingungen sollten aber für die Unternehmen planbar und verlässlich sein, denn: Das Investitionsrisiko für die Unternehmen ist ohnehin hoch.

Strom oder Wasserstoff?

Hinzu kommt, dass Produktionsbetriebe eine Grundsatzentscheidung treffen müssen: Setzen sie in Zukunft auf Wasserstoff oder schlagen sie den Weg in die Elektrifizierung ein? Keine einfache Entscheidung. Kaum jemand wagt heute eine Prognose, wie sich der Strompreis entwickeln wird. Mittelständische Unternehmen bevorzugen aber auf jeden Fall Technologieoffenheit, statt auf die Elektrifizierung als die „one-size-fits-all-Lösung“ zu setzen.
Jetzt gilt es, gemachte Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Dazu gehört zuallererst die umfangreiche Microsteuerung im Stromsektor, die kein Vorbild für den Wasserstoffmarkt sein darf. So weist David Bothe, Direktor bei Frontier Economics in einem Gastbeitrag im Handelsblatt vom 9. September 2023 zu Recht darauf hin, dass das Erneuerbare Energien Gesetz mit seinen detaillierten Vorgaben zu acht Technologien nicht zielführend ist. Schließlich ist schon länger bekannt, dass eine staatlich vorgegebene zentrale Planung in der Praxis ineffizient ist. Mit anderen Worten, was als Planungssicherheit gedacht war, entwickelt sich zum Bumerang.
Das Ziel des schnellen Ausbaus der E-Mobilität und Wärmepumpen etwa, also der stark beschleunigte Umbau der Fahrzeugflotte und der Gebäudeheizungen in Richtung Elektrifizierung, droht die verfügbare Infrastruktur zu überlasten. Stromnetze, Ladestationen und Erzeugungsleistungen lassen sich technisch nicht so schnell an die geplante Hochlaufrate anpassen, wie es notwendig wäre. Allein die Verteilnetze müssten verdoppelt bis verdreifacht werden. Das ist von den vielen Verteilnetzbetreibern, überwiegend Stadtwerke mehrheitlich in kommunaler Hand, im gewünschten Tempo kaum zu schaffen. Hinzu kommen weitere Anforderungen wie die kommunale Wärmeplanung, die Kommunen und Versorger vor große Herausforderungen stellen.

500 Unternehmen und ihre Wertschöpfungsketten

Derartige Risiken und Verzögerungen dürfen den Markthochlauf für Wasserstoff nicht behindern, denn das würde das Vertrauen gerade der wichtigen energieintensiven Unternehmen in die Zukunftsfähigkeit von Wasserstoff belasten. Energieintensive Unternehmen gibt es rund 500 in Nord-Westfalen, das sind mehr als 10 Prozent der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes. Diese Unternehmen sind Bestandteil von Wertschöpfungsketten, die auch über NRW hinaus Bedeutung haben. Fallen diese Unternehmen weg, können ganze Wertschöpfungsketten verschwinden. Das ist etwa in der Glasindustrie der Fall. Einmal produziertes Glas kann nicht wie zum Beispiel Stahl an anderen Stellen weiterverarbeitet werden. Ist die energieintensive Glasherstellung weg, werden hierzulande Fensterglas oder Glasflaschen nicht mehr hergestellt. Eine derartige Deindustrialisierung muss im Hinblick auf Resilienz und den Erhalt von Wertschöpfungsketten gleichwohl verhindert werden.

Effizienz entfesseln

In Zukunft muss die Effizienz wieder stärker im Fokus stehen. In diesem Bereich sind Unternehmen, die sich am Markt durchsetzen müssen, besonders stark.
 Unternehmen müssen dafür die richtigen Rahmenbedingungen vorfinden. Dazu gehört die Infrastruktur in Form des Wassernetzes aus neuen Wasserstoffpipelines und umgewidmeten Gasleitungen. Da diese Infrastruktur zu den natürlichen Monopolen gehört, liegt es nahe, dass der Staat die Netzbetreiber beim Aufbau des Wasserstoffnetzes unterstützt. Dafür müssen die Netze dann großen wie kleinen Unternehmen diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen. Das bleibt allerdings eine große Herausforderung für die Netzbetreiber. Der Weg in die Wasserstoffwelt ist steinig. Ob und in welcher Form er von Erfolg gekrönt sein wird, ist unklar. Wer besser mit Wasserstoff, mit anderen Energieträgern oder mehreren Energieträgern arbeitet, und wo der Wasserstoff am günstigsten produziert werden kann, regelt der Markt am besten.

Sie haben auch Interesse an Wasserstoff für Ihren Betrieb?

IHK-Energieexperte Thorsten Hahn hilft Ihnen gern weiter: Tel. 0251 707-214, E-Mail: thorsten.hahn@ihk-nordwestfalen.de