23. Januar 2025

Deindustrialisierung gefährdet Wärmewende

IHK-Ausschüsse diskutieren über kommunale Planungen
Münster. - Die kommunale Wärmeplanung soll der Industrie einerseits Sicherheit über ihre künftige Versorgung mit Wärme verschaffen – und sieht die Unternehmen andererseits auch in der wichtigen Funktion als örtliche Wärmeversorger. Doch noch ist vieles unklar: Wie lässt sich das Potenzial industrieller Abwärme vor Ort erschließen, wie können die Kosten der Energiewende insgesamt gestemmt werden? Darüber diskutierten jetzt die beiden IHK-Ausschüsse für Industrie und für Unternehmensverantwortliche Nachhaltigkeit bei einer gemeinsamen Sitzung in Münster. „Wir als Unternehmer müssen unsere Position stärker in den Vordergrund stellen“, warb Lars Baumgürtel dafür, dass die Industrie in der Bundes- und Landespolitik, aber auch in Fragen der Wärmeplanung in den Kommunen lauter wird.
Der Vizepräsident der IHK Nord Westfalen und Geschäftsführer der ZINQ GmbH & Co. KG in Gelsenkirchen nannte das Beispiel eines Stahlwerks, bei dem hohe Strompreise den Betrieb eines Elektroofens unwirtschaftlich gemacht haben. Die Deindustrialisierung habe längst begonnen, warnte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel. „Wandern energieintensive Unternehmen ab, ist auch die Wärmewende gefährdet“, erklärte er. Denn diese Unternehmen gelten in vielen Kommunen als Baustein für die örtliche Wärmeversorgung. Ohne ihre unvermeidlich entstehende Abwärme bricht ein wichtiger Baustein der kommunalen Wärmeplanungen weg.
Ihre Wärmeplanungen müssen Großstädte bis 30. Juni 2026 vorlegen, Kommunen mit weniger als 100.000 Einwohnern haben zwei Jahre mehr Zeit. Die Zweifel der IHK-Vizepräsidentin Tatjana Hetfeld daran, dass Unternehmen neben Planungssicherheit und ökologischen Effekten auch sinkende Kosten erhoffen könnten, teilte Dr. Andreas Hollstein. Auch wenn mancher anderes behaupte: „Regenerative Energien kosten Geld“, unterstrich der Geschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), Landesgruppe NRW. Als Gründe führte er an, dass Wärme vor allem im Winter benötigt werde oder Stromnetze für den Einsatz von Wärmepumpen ausgebaut werden müssten. Auf 721 Milliarden Euro bezifferte er den Preis für die Energiewende bis 2030. „Wir brauchen Ehrlichkeit, wo das Geld herkommen soll“, forderte Jaeckel.
Den Anteil der Wirtschaft an der Wärmeversorgung schätzt das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) sehr hoch ein, wie Hollstein ausführte. Auf 90 Terrawattstunden beziffert das LANUV das jährliche Potenzial unvermeidbarer Abwärme, die Hälfte davon soll wirtschaftlich nutzbar sein. „Reine Theorie“, urteilte der VKU-Geschäftsführer. In der Praxis blieben viele Fragen offen, einige davon nannte Hollstein: „Liefert die Wärmequelle durchgehend, wer investiert in die benötigte Infrastruktur, müssen Unternehmen dafür Eingriffe in den Produktionsablauf vornehmen?“ Außerdem entstehe Wärme oft nicht nahe an Wohngebieten, wo sie gebraucht werde. „Es braucht einen belastbaren Business Case, der die hohen Investitionskosten für die Abwärme-Nutzung berücksichtigt“, folgerte er.
Dennoch gibt es Beispiele, wie die Wärmeversorgung zwischen Unternehmen zuverlässig funktioniert – und das seit vielen Jahren. Markus Masuth, Geschäftsführer der Arsol Aromatics GmbH & Co. KG, stellte den seit 1987 bestehenden Wärmeverbund mit der Avangard Malz AG vor. Beide Unternehmen sind im Klimahafen Gelsenkirchen nur durch ein schmales Hafenbecken voneinander getrennt, das hielt die Investitionskosten niedrig. Arsol liefert über eine Rohrhochtrasse pro Stunde 120 Kubikmeter Wasser mit einer Temperatur von 105 Grad, zurück kommt die gleiche Menge mit einer Temperatur von 60 Grad. Dadurch vermeidet die Mälzerei jährlich 9.000 Tonnen CO2 und Ausgaben in beträchtlicher Höhe. Für Baumgürtel zeigt dies, dass gute „unternehmensspezielle Transformationspfade vor Ort und nicht an Schreibtischen in Berlin entwickelt werden“. Sein Anliegen: Der Bund solle Verantwortung abgeben, „weil wir vor Ort es besser, effizienter können“.