Arbeitskämpfe, Inflation und Kreditnot
Georgshütte bei Burgsolms 1882
Unser Bild der Weimarer Republik wird maßgeblich von der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise bestimmt. Bis dahin jedoch war die Lage keineswegs schlecht. Bis Herbst 1922 herrschte nahezu Vollbeschäftigung, bis der Arbeitsmarkt unter den Auswirkungen der Hyperinflation zusammenbrach. Nach Überwindung der Inflation und der darauffolgenden Deflation trat 1926 eine konjunkturelle Erholung ein. Allerdings blieben die seit Ende 1923 gestiegenen Arbeitslosenzahlen auf hohem Niveau und sorgten für soziale Konflikte. Generell litt die Wirtschaft unter Überkapazitäten einerseits und hohen Lohnkosten und Sozialabgaben andererseits. Das schmälerte die Erträge und verhinderte Investitionen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, setzten die Unternehmen auf Rationalisierung.
Friedensvertrag, Massenstreiks und Inflation
Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrags am 11. November 1918 musste die deutsche Wirtschaft auf Friedensproduktion umstellen. Dieser abrupte Übergang bereitete vielen Unternehmen massive organisatorische Probleme. Insbesondere Rüstungsbetriebe litten darunter, binnen vier Wochen ihre Produktion neu auszurichten. Demobilmachungsausschüsse sollten die Umstellung erleichtern, doch die gerieten schnell an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Angesichts der prekären Lage vieler Betriebe genehmigten sie zahlreiche Anträge auf Fristverlängerung, die es den Unternehmen erlaubten, die Kriegsproduktion befristet als „Notstandarbeiten“ fortzusetzen, um sie so vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren. Die Demobilisierungsausschüsse wurden am 31. März 1921 aufgelöst und durch Demobilmachungskommissare ersetzt, die bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme ihren Dienst taten.
Nach der schwierigen Umstellung auf Friedensproduktion gab es neue Probleme zu bewältigen. 1919 klagte die Handelskammer Dillenburg über eine „beständige Preiserhöhung“, die Hand in Hand mit Lohnerhöhungen gehe und die Inflation anheize. Ferner schädigten fehlende Transportkapazitäten die Produktion der Hüttenwerke. 1920 ging die Kammer mit dem Versailler Friedensvertrag hart ins Gericht. Mit den Rahmenbedingungen, besonders der Besetzung des Rheinlands und den Reparationslasten, sei dieser „eine Fortsetzung des Krieges nicht einmal mit anderen Mitteln“.
Arbeitskämpfe, die nach Kriegsende auch das Lahn-Dillgebiet erfassten und von der von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gebildeten Zentralen Arbeitsgemeinschaft (ZAG) nur unzureichend abgemildert werden konnten, verschärften die Lage. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Metallarbeiterstreik, der am 10. Januar 1921 begann, elf Wochen dauerte und auch andere Branchen erfasste. Die Unternehmen reagierten mit Aussperrungen und Kündigungsdrohungen; bei vielen Streiks kam es zu Ausschreitungen, sodass die Polizei Panzerwagen einsetzen musste. Ein Streik der Former bei den Burger Eisenwerken am 14. Juni 1928 griff auf die anderen Eisenwerke über und konnte erst durch die Vermittlung eines Sonderschlichters beendet werden. Noch bis zur Machtergreifung der Nazis erschütterten immer wieder heftige Arbeitskämpfe alle Teile der krisengeschüttelten Weimarer Republik.
Mitte 1923 kam es zum dramatischen Währungsverfall. Massenentlassungen verursachten erneut heftige Unruhen. Die Inflation, die der exportorientierten Industrie durchaus Vorteile verschafft hatte, hatte nun Formen angenommen, die jede Kalkulation unmöglich machten. Das Missverhältnis zwischen auf dem Papier ausgewiesenen „Gewinnen“ und dem tatsächlichen Substanzverlust wurde immer dramatischer. Die Reichsbank hielt mit der Ausgabe neuer Banknoten nicht Schritt, und so ließen Unternehmen, Körperschaften und Kommunen ab August eigenes Geld drucken. Auch die Kreise Biedenkopf und Dillenburg gaben 1.000-Mark-Scheine aus. Von diesem „Ersatzgeld“ unterschied sich das wertbeständige Notgeld, das durch Goldanleihen oder Sachwerte gedeckt war. Die IHK Wetzlar legte Scheine im Gesamtwert von 314.942 Goldmark auf, die für Lohn- und Gehaltszahlungen verwendet wurden.
Die Hochinflation des Jahres 1923 in Verbindung mit der Besetzung des Ruhrgebiets und der Unterbrechung der Kohleversorgung brachte die Produktion vorübergehend zum Erliegen. Betroffen waren zahlreiche Unternehmen - vom Fürstlich Solms-Braunfels´schen Gertrudisbrunnen und der Zigarrenfabrik Georg Wilhelm Gail bis hin zur Carolinenhütte, die im Oktober 1923 ihre Stilllegung anmeldete. Selbst Buderus legte seinen Kalksteinbruch Niedergirmes am 1. 6.1923 still. Einigen Firmen wie Leitz gelang es, mit gestreckter Arbeitszeit die Produktion fortzusetzen.
Kreditnot
Nach Überwindung der Inflation traten keineswegs wieder geordnete Verhältnisse in der Unternehmenslandschaft an Lahn und Dill ein. Im Gegenteil: 1924 herrschte Deflation – mit katastrophalen Folgen für die Unternehmen. Sie hatten große Schwierigkeiten, Kredite zu erhalten und litten unter Liquiditätsengpässen. „Das Berichtsjahr 1925“, bemerkt die IHK Wetzlar, „steht im Zeichen einer (…) Kapitalnot, die das Wirtschaftsleben heftig erschüttert.“ Besonders schwierig war die Situation für Ofen- und Herdproduzenten, denen der stockende Wohnungsbau Absatzprobleme bereitete. Viele sahen sich angesichts der durch die Kapitalknappheit verursachten Verschuldung gezwungen, ihre Betriebe still zu legen. Den anderen Unternehmen der Eisenindustrie ging es nicht besser: So legte der Hessen-Nassauische Hüttenverein am 18. Juli 1924 das Hochofenwerk Oberscheld still; die Neuhoffnungshütte Haas + Sohn kündigte der gesamten Belegschaft zum 19. Juli. Zur gleichen Zeit legten die Burger Eisenwerke das Eisenwerk Ehringshausen und kurz darauf zwei weitere Betriebe still. Zwar lief die Produktion meist überall nach wenigen Wochen wieder an, doch Ende September 1926 war die Belegschaftsstärke bei den meisten Betrieben noch weit vom Normalstand entfernt. Die Krisen der Nachkriegsjahre waren keineswegs ausgestanden – und am schwersten war wieder der Bergbau betroffen.
Die Krise des Erzbergbaus
Der Verlust der lothringischen Erzlager als Folge der Abtretung Elsaß-Lothringens an Frankreich machte zwar das Lahn-Dill-Revier und das Siegerland wieder zum größten Eisenerzgebiet Deutschlands, doch davon profitierten die Bergbauunternehmen nur für kurze Zeit: Denn bereits Mitte 1920 drängten wieder Auslands- und Übersee-Erze auf den deutschen Markt. Hinzu kam, dass die Eisenbahnverwaltung 1919 alle Ausnahme- und Notstandstarife für Lahn-Dill-Erze aufgehoben hatte. Die Streiks im Bergbau und in der Eisenindustrie verschärften die Lage noch zusätzlich. So zwang der Metallarbeiterstreik 1921 die Buderus´sche Bergverwaltung, zunächst Feierschichten einzulegen und schließlich ganze Zechen stillzulegen.
Die Deflation der Jahre 1924 – 1926 setzte den Eisenerzbergbau weiter unter Druck. Dramatische Absatzstockungen führten zu zahlreichen Grubenstillegungen. Als im Herbst 1924 auch die Burger Eisenwerke die Förderung aussetzten, wurden 500 Bergleute arbeitslos. 1925 lag die Eisenerzproduktion des Lahn-Dill-Gebiets bei knapp 502.000 t, was einem Drittel des Ergebnisses von 1913 entspricht. Unter dem Druck dieser Entwicklung gewährten Reichs- und Preußische Regierung dem Eisenerzbergbau im Sieg-, Lahn- und Dillrevier zum 1. Juni 1926 eine Absatzprämie von 2 RM pro t und fünf Monate später einen Ausnahmetarif, der eine Senkung der Transportkosten bis zu zehn Prozent brachte. Diese Subventionen verbesserten die Absatzlage und ermöglichten den Gruben, Ersatzinvestitionen nachzuholen und ihre Anlagen zu modernisieren. Nach einem halben Jahr wurden die Subventionen wieder reduziert, liefen schließlich ganz aus, wurden jedoch vom 1. April 1929 bis zum 31. März 1932 in kleinerem Umfang wieder aufgenommen. Sie bewahrten den Eisenerzbergbau vor dem völligen Erliegen.
Einen weiteren positiven wirtschaftlichen Impuls in zumindest bescheidenem Rahmen mag der vom „Fulda-Lahnkanalverein“ erkämpfte Teilausbau der Lahn bewirkt haben: Nach langem Hin und Her wurde ein von der Mündung bis nach Steeden ausgebauter Streckenabschnitt im Frühjahr 1929 dem Verkehr übergeben. Doch die Umschlagszahlen blieben angesichts der bald einsetzenden Weltwirtschaftskrise weit hinter den Erwartungen zurück, sodass der weitere Ausbau bis Wetzlar unterblieb.
Konzentrationsprozesse in der Eisenindustrie
Auch die Hüttenwerke kämpften mit massiven Problemen: Es kam zur Stilllegung zahlreicher Hochöfen. 1925 legten die Buderus‘schen Eisenwerke die Georgshütte still, 1927 erlitt die Haigerer Hütte das gleiche Schicksal. Nur die leistungsfähigsten Hütten in Wetzlar und Oberscheld überstanden die 20er Jahre. Allerdings fand auch das Hochofenwerk Oberscheld des Hessen-Naussauischen Hüttenvereins nach Kriegsende nicht mehr zu einem kontinuierlichen Betrieb zurück. Geschwächt durch Kohlemangel, Brennstoffversorgungsdefizite und Weiterverarbeitungsprobleme durch die firmeneigenen Gießereien, wurde im März 1926 Hochofen II ausgeblasen und an seiner Stelle der seit 1917 still liegende Hochofen 1 wieder in Betrieb genommen. Für den Betrieb von zwei Hochöfen fehlte es an Koks. 1927 setzte ein kurzer Aufschwung ein; Rationalisierungsmaßnahmen steigerten Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Hochofenwerks Oberscheld und damit des Gesamtunternehmens - allerdings zum Preis der Überschuldung.
Auch das Stromgeschäft der Hessen-Nassauischen Überlandzentrale GmbH litt unter den Betriebseinschränkungen des Hochofens. Der Hessen-Nassauische Hüttenverein verkaufte sie daher zum 1. 1. 1925 an den Bezirksverband Wiesbaden, der sie in die Naussauische Energie-GmbH einbrachte. Den gleichen Weg beschritt vier Jahre später auch Buderus mit dem Verkauf der Überlandzentrale Wetzlar an die Preußen Elektra AG. Insgesamt überstand die Buderus´sche Eisenwerke AG die Kriegs- und Nachkriegsjahre besser als der Hessen-Nassauische Hüttenverein, denn der Konzern verfügte über mehrere Eisen verarbeitende Betriebe, die eine breite Palette von Produkten abseits des hart umkämpften Ofen- und Herdmarktes anbot und so gegen Konjunkturschwankungen gewappnet war. 1923 erwarb Buderus die Maschinen- und Armaturenfabrik vorm. H. Breuer & Co. Etwa zur gleichen Zeit versuchten die Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke in Völklingen, Buderus zu übernehmen. Schließlich kam es zu einer Kooperation beider Unternehmen auf dem Edelstahlsektor. Am 29. 4. 1920 gründeten sie die Stahlwerke Buderus-Röchling AG, die mit Werkzeug-, Konstruktions-, Messer- und Feilenstählen an den Markt ging und bei voller Auslastung 1.200 Mitarbeiter beschäftigte.
Auch bei den Gießereien und den anderen Eisenverarbeitungsbetrieben gab es Übernahmeversuche und Fusionsbestrebungen; sie scheiterten jedoch am Widerstand der Eigentümerfamilien, die gegenüber fremdem Kapital misstrauisch waren und um ihre Unabhängigkeit fürchteten.
Optische und Feinmechanische Industrie
Oskar Barnack, Erfinder der Leica, um 1926
Am besten kam die optische und feinmechanische Industrie durch die Wirren der Weimarer Republik. Bis auf den Streik im Frühjahr 1921 war sie nicht von Arbeitskämpfen betroffen, weil die Branche aus produktionstechnischen Gründen weitgehend den Achtstundentag eingeführt hatte und meist eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Betriebsräten pflegte. Auch die Beschäftigtenzahlen belegen, dass es den Unternehmen wirtschaftlich relativ gut ging, Bei Leitz stieg die Zahl der Beschäftigten bis 1930 auf rund 2.400. Selbst in der Weltwirtschaftskrise gab es kaum Entlassungen oder Lohnreduzierungen. Sein Arbeitsfeld hatte der Projektionsapparate-, Fernrohr- und Filmprojektorspezialist schon vor dem Ersten Weltkrieg auf Mikroskope zur Untersuchung von Metallen und Mineralien ausgedehnt. Nach dem Krieg fand Leitz schnell wieder Anschluss an die technische Weltspitze. Die Produktion der „Leica“ (1924) wurde ein beispielloser Erfolg und zählt heute zu den Meilensteinen der Fotografieentwicklung. Die Produktion erreichte 1930 ca. 22.000 Stück, von denen die meisten in den Export gingen.
Die Firma Hensoldt & Söhne, die noch bis 1914 in den Heeresverwaltungen Abnehmer gefunden hatte, musste sich nach dem Krieg verstärkt um private Abnehmer bemühen. Dies gelang mit Fernrohren und Kleinmikroskopen, die ab 1921 in großer Stückzahl hergestellt wurden. 1927 belebte Hensoldt die Branche mit einem innovativen Epidiaskop. Da Kapital für weitere Investitionen fehlte, suchte Hensoldt Anlehnung an die Firma Carl Zeiss in Jena, die 1928 die Aktienmehrheit bei Hensoldt übernahm. Dies blieb der einzige Zusammenschluss von optischen und feinmechanischen Unternehmen im Raum Wetzlar.
Begünstigt durch die Inflation entstanden zwischen 1919 und 1922 viele kleine Maschinenbau- und Feinmmechanische Unternehmen, von denen einige nach 1923 wieder verschwanden, sich aber ebenso viele auf dem Markt etablierten. So auch die mechanische Werkstatt Robert Klings, der mit Rollen- und Kugellagern begann, rasch expandierte und 1927 in einen Fabrikneubau umsiedelte. Den Übergang von handwerklicher zu industrieller Fertigung vollzogen auch die 1882 gegründete Waagebauwerkstatt von Friedrich Dietrich I. in Merkenbach und die Optikmaschinenfabrik Loh in Wetzlar. Ein innovatives Unternehmen des Maschinenbaus kam 1919 hinzu, als der Ingenieur Carl Cloos in Haiger eine Apparatebau-, Maschinen und Metallwarenfabrik eröffnete, nach wenigen Jahren 80 Mitarbeiter beschäftigte und schließlich Aufträge aus der UDSSR, aus Frankreich und der Schweiz erhielt.
Cyrill Stoletzky